Kultur

Kinofilm „Wilma will mehr“: Wie sich eine Arbeitslose neu erfindet

Mit fast 50 steht Wilma wieder mal vor dem Nichts: Der Kinofilm „Wilma will mehr“ erzählt von einer arbeitslosen Facharbeiterin aus Ostdeutschland, die sich fern der Heimat neu erfindet und dadurch selbst findet. Mit einer grandiosen Fritzi Haberlandt in der Hauptrolle.

von Nils Michaelis · 1. August 2025
Fritzi Haberlandt in "Wilma will mehr"

Eine Frau erfindet sich (mal wieder) neu: Fritzi Haberlandt spielt Wilma.

Nach einer gemeinsamen Liebesnacht in einem Wiener Kleingartenhäuschen reden Wilma (Fritzi Haberlandt) und Max (Simon Steinhorst), wenn auch augenzwinkernd miteinander Klartext. Wilma hat es wegen der Jobsuche aus der Lausitz an die Donau verschlagen. Ihr österreichischer Bettgefährte ist Experte für Solartechnik. „Der typische Ostler ist spießig, neidisch und naiv“, sagt Max. „Aber wenigstens sind wir nicht verklemmt“, kontert Wilma trocken und mit leicht schelmischer Miene. Das war es dann zu dem Thema. Stand für einen kurzen Moment ein ausufernder Diskurs über Stereotype im Raum, endet die Szene anders als eingangs erwartet. Wie so oft in diesem Film.

Tanzdarbietungen im Blaumann

„Wilma will mehr“ erzählt von einer Frau, die sich immer wieder neu erfunden hat, nun allerdings die wohl größte Zäsur ihres an Brüchen reichen Lebens durchmacht. Zu DDR-Zeiten arbeitete Wilma als Elektrikerin und Maschinistin im Braunkohlerevier rund um Cottbus. Anfang der 90er-Jahre verlor sie ihre Arbeit, wie Tausende andere auch. Umschulung folgte auf Umschulung und Enttäuschung auf Enttäuschung. Der Berg an Zertifikaten wuchs, wirkliche Chancen blieben aus. Wilmas größte Freude besteht darin, das Fest der ehemaligen Mitarbeiter*innen des stillgelegten Großbetriebs in ihrer Provinzstadt zu organisieren und dabei im typischen Blaumann in Tanzdarbietungen mitzuwirken. Auch dadurch bewahrt sie sich ihre stolze Arbeiterinnen-Attitüde, zumindest gegenüber sich selbst.

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Die Handlung setzt Ende der 90er-Jahre ein. Die Wirren der frühen Nachwendezeit sind vergangen, aber nicht vergessen. Wilma ist nun Ende 40. Mehr als jemals zuvor steht sie vor dem Nichts. Ihren Job in einem Baufachgeschäft hat sie verloren. Und zuhause erwischt sie ihren Mann mit einer anderen Frau. Total entwurzelt (der erwachsene Sohn ist längst gen Westen gezogen), entschließt sich Wilma, ihr Glück in der Ferne zu suchen: in Wien, so wie ein früherer Werkskollege. 

Dort angekommen, reiht sich diese innerlich wie äußerlich etwas kantige, aber niemals eindimensionale Person ein in den Strom der ausgebeuteten Arbeitsmigrant*innen. Doch mit diesem tristen Dasein gibt sich Wilma nicht zufrieden. Immer wieder überrascht von dem, was sie entdeckt, aber umso beharrlicher bahnt sie sich ihren Weg vom prekären Rand in die Mitte der Gesellschaft. Vor allem aber lernt sie wieder, das Leben zu genießen. Dabei entdeckt und spürt sie sich komplett neu. Wo mag diese Reise enden?

Malocherin aus Ostdeutschland trifft auf Wiener Bürgertum

„Wilma will mehr“ lebt von der Komik, die entsteht, wenn die Lebenswelt einer bodenständigen, aber auf ihre Art reflektierten Malocherin aus Ostdeutschland auf bürgerlich-akademische Kontexte in Wien trifft. Der Film bietet aber auch der subjektiven, von Erinnerungen, Träumen und Einbildung geprägten Sicht der Protagonistin auf ihre neue Umgebung breiten Raum, sodass mitunter fast schon ein magischer Realismus entsteht. 

Dreh- und Angelpunkt des Ganzen ist Wilma und damit Hauptdarstellerin Fritzi Haberlandt. Ob stoisch schweigend oder ihr Herz ausschüttend, stets versteht es Haberlandt, verschiedenste Nuancen des Charakters hervorzukehren und damit die Neugier auf Wilma und ihren weiteren Weg aufrechtzuerhalten.

Für andere, durchaus nicht unwichtige Wegbegleiter*innen bleibt dabei wenig Platz. Als wollte Regisseurin und Drehbuchautorin Maren-Kea Freese ihrem Film eine Form geben, die Wilmas zum Lebensmodell gewordenem Selbsterhaltungstrieb entspricht: Dass sie sich nur auf sich selbst verlassen kann, wenn sie glücklich werden möchte. Allerdings entdeckt Wilma, dass es für manch eine Erfüllung eben doch andere Menschen braucht. Und auf nahezu märchenhafte Weise schließt sich der Kreis zu einer Leidenschaft, die sie einst auslebte, wenn sie gemeinsam mit Ex-Kolleg*innen die Erinnerung an die untergegangene Fabrik in ihrer Kleinstadt hochgehalten hat.

Ein Film zwischen Selbstfindungsstudie, Sozialdrama und Komödie

„Wilma will mehr“ wirbt dafür, ostdeutsche Biografien, insbesondere von Frauen, mehr zu würdigen. Angesichts eines ins Konservative abdriftenden Zeitgeistes soll deutlich gemacht werden, wie weit ein Teil Deutschlands bereits war, wenn es um die Emanzipation von Frauen im Berufsleben, insbesondere im technischen Bereich, geht. Der Hauptaspekt reicht aber über ostdeutsche Zusammenhänge hinaus und besteht darin, dass es auch in reiferen Jahren noch möglich ist, dem Dasein eine neue Richtung zu geben.

Leider verpufft die Wirkung des Films zu gewissen Teilen, weil ihm eine klare Form und damit auch eine eindeutige Richtung fehlt. Etwas unentschlossen pendelt „Wilma will mehr“ zwischen Selbstfindungsstudie, Sozialdrama und Komödie. Vor diesem Hintergrund ist es umso beeindruckender und bedeutsamer, was Haberlandt aus ihrer Figur herausgeholt hat.

„Wilma will mehr“ (Deutschland 2025), ein Film von Maren-Kea Freese, mit Fritzi Haberlandt, Thomas Gerber, Stephan Grossmann, Meret Engelhardt u.a., 110 Minuten.

Kinostart: 31. Juli. Weitere Informationen unter www.neuevisionen.de

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