Kinofilm „Treasure“: Mit dem Taxi nach Auschwitz
Ein Holocaust-Überlebender und seine Tochter erforschen die Geschichte ihrer Familie in Polen: Der Film „Treasure“ zeigt, wie schmerzhaft und befreiend die Aufarbeitung der Vergangenheit sein kann. Und das auch mit den Mitteln der Komik.
Lukasz Bak/Alamode Film
Während ihrer Reise durch Polen machen Edek (Stephen Fry, links) und Ruth (Lena Dunham) allerlei Grenzerfahrungen durch.
Im Taxi geht es zunächst bis nach Lodz. Dort war Edek Rothwax bis in den Zweiten Weltkrieg hinein zu Hause. An einer heruntergekommenen Häuserwand prangt ein Graffito mit einem Galgen, an dem ein Davidstern hängt. „Einst war es schön hier“, sagt Edek zu seiner Tochter Ruth. Sie sind die Hauptfiguren des Films „Treasure“.
Beide sind von New York in die polnische Metropole gereist, um sich auf die Spuren ihrer jüdischen Familie zu begeben. Auf diesem Trip in die Vergangenheit begegnen Vater und Tochter auf ganz unterschiedliche Weise den traumatischen Erfahrungen von Edek, dessen gesamte Familie im Holocaust umkam. In Ruth lebt diese Verlusterfahrung fort. Die innere und äußere Reise gilt aber auch dem von Missverständnissen geprägten Tochter-Vater-Verhältnis. Auf beiden Ebenen gerät einiges in Bewegung.
Die joviale Fassade des Vaters einreißen
Was transgenerationale Traumata in Menschen anrichten können, die vergangenes Leid nur aus Geschichtsbüchern und Erzählungen kennen, findet seit einigen Jahren immer mehr Beachtung. „Treasure“ macht diese Prozesse anhand der von Bindungsängsten und einer Essstörung geplagten Ruth anschaulich.
Über das grausame Schicksal seiner Verwandten hat ihr Vater nie mit ihr gesprochen. Der versteckt sich hinter seinem wuchtigen Körper und seinem jovialen Auftreten. Mit dem Trip nach Polen will Ruth die Fassade einreißen und Edek dazu bringen, sich seinem Schmerz zu stellen. Und dadurch auch selbst Heilung erfahren.
Misstrauen gegenüber Jüdinnen und Juden
Mit „Treasure“ schließt Regisseurin und Co-Drehbuchautorin Julia von Heinz ihre Trilogie von Filmen über den Umgang mit der NS-Vergangenheit ab. Ihre erste internationale Produktion (die Weltpremiere war auf der Berlinale) basiert auf dem autobiografisch gefärbten Roman der amerikanisch-australischen Autorin Lily Brett. Diese hatte sich in den 90er-Jahren tatsächlich mit ihrem Vater nach Polen aufgemacht, um den Wurzeln ihrer jüdischen Familie nachzuspüren.
Im selben Jahrzehnt ist die Verfilmung angelegt. Wenige Jahre nach dem Fall des Eisernen Vorhangs erleben die Enddreißigerin Ruth und Rentner Edek ein Land im Umbruch. Menschen kommen auch deswegen nach Polen, um verlorenes Eigentum zurückzufordern. Die beiden New Yorker*innen erleben, wie Jüdinnen und Juden Misstrauen und Ablehnung entgegenschlägt.
Touristen-Programm in Polen
Dabei liegt Edek nichts ferner, als die Rückgabe der Fabrik seiner Eltern einzuklagen. Überhaupt würde er das Vergangene lieber ruhen lassen.
Edek will für sich und seine Tochter ein Gute-Laune-Touristen-Programm durchdrücken und sabotiert Ruths Reiseplan, wo er nur kann. So besteht er darauf, nicht mit der Bahn, sondern im Taxi durch Polen zu reisen - mit Blick auf die Deportationszüge der Nazis eine vielsagende Bedingung. Nachdem er die Wohnung seiner Kindheit betreten hat, setzt sich in ihm etwas in Gang, das sich zunächst schwer deuten lässt.
Was Edek und Ruth während ihres Trips von Warschau über Lodz und Krakau bis zur Gedenkstätte Auschwitz-Birkenau er- und durchleben, tritt uns als Dramedy entgegen. Der Ansatz, Ernstes und Schweres in leichter, wenn nicht gar komischer Form zu erzählen, funktioniert ziemlich gut. Vor allem auch deswegen, weil er den unbewältigten Schmerz und die gestörte Kommunikation zwischen den Protagonist*innen besonders effektvoll zum Vorschein bringt.
Lena Dunham als Ruth und der ihren Vater verkörpernde Stephen Fry agieren über weite Strecken als Counterparts, die mit großer Mühe und über einige Umwege sich selbst und damit zueinanderfinden. Dunham, bekannt aus der US-Serie „Girls“, und der britische Top-Star Fry („Der Hobbit“) bestechen durch ihr facettenreiches, bisweilen sehr körperliches Spiel, das meist in Halb-Totalen eingefangen wird. So entsteht ein besonderer Sog.
Plädoyer gegen das Vergessen und Verdrängen
Besonders stark sind jene Momente, in denen sich in Ruth und Edek etwas vollzieht, das sich nicht in Worten auflösen lässt. Man darf vermuten, dass die besondere Eindringlichkeit im Agieren der Hauptdarsteller*innen auch daher rührt, dass persönliche Erfahrungen mit eingeflossen sind. Beide Schauspiler*innen entstammen jüdischen Familien mit Wurzeln in Polen und Ungarn.
Julia von Heinz' Film ist ein Plädoyer gegen das Vergessen und Verdrängen. Und zwar nicht nur in Bezug auf den Mord an den europäischen Juden. Deutlich wird dies etwa dann, wenn Ruth im Hotel-Fernseher das Leiden der Kurd*innen im Irak unter Saddam Hussein verfolgt.
Konterkariert wird dieser zeitlose Anspruch allerdings durch die ästhetische Gestalt des Films. Bis ins letzte Detail wurde versucht, das Polen der Nachwendezeit zum Leben zu erwecken. Auch das Grading blieb nicht verschont: Die Farbabstufung des Ganzen erinnert an blasse TV-Bilder östlicher Provenienz aus den frühen Neunzigern. Auch gerät die Annäherung zwischen Vater und Tochter am Ende schematischer als vermutet.
Insgesamt aber ist Julia von Heinz ein sehr berührender Film über eine komplexe Materie mit hoher Fallhöhe gelungen. Zudem ist „Treasure“ ein weiterer Beweis dafür, dass leichte Form und Tiefgang kein Widerspruch sein müssen.
„Treasure – Familie ist ein fremdes Land“ (Deutschland/Frankreich 2024), Regie: Julia von Heinz, Drehbuch: Julia von Heinz und John Quester, nach dem Roman „Zu viele Männer“ von Lily Brett, Bildgestaltung: Daniela Knapp, mit Lena Dunham, Stephen Frey, Zbigniew Zamachowski, Maria Mamona u.a., 112 Minuten.
Im Kino
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