Kultur

Holocaust-Gedenktag: Wie jüdische Friedhöfe die Erinnerung wachhalten

Marcel-Th. Jacobs dokumentiert seit vielen Jahren jüdische Friedhöfe mit seiner Kamera. Seine Ausstellung „Haus der Ewigkeit“ ist nun im Willy-Brandt-Haus zu sehen. Im Interview sagt er, warum jüdische Friedhöfe heute ein Schattendasein führen.
von Kai Doering · 27. Januar 2023
Grab auf dem neuen jüdischen Friedhof im polnischen Wrocław: Nicht nur Vandalismus hinterlässt seine Spuren.
Grab auf dem neuen jüdischen Friedhof im polnischen Wrocław: Nicht nur Vandalismus hinterlässt seine Spuren.

Sie dokumentieren seit 18 Jahren jüdische Friedhöfe in Deutschland, Polen, Tschechien und der Ukraine in Schwarz-Weiß-Fotos. Was reizt Sie daran?

Mir geht es um zwei Dinge: Ich möchte zum einen ein Bewusstsein für einen Teil der jüdischen Alltagskultur schaffen, der vielen noch unbekannt ist, und zum anderen den Verfall dieser bedeutenden Kulturstätten fotografisch festhalten, nicht zuletzt für die nachfolgenden Generationen. Auf vielen jüdischen Friedhöfen bin ich bereits mehrere Male gewesen und immer haben sie sich in der Zeit zwischen meinen Besuchen verändert. Nicht nur Vandalismus hinterlässt leider seine Spuren, sondern mittlerweile auch der Klimawandel.

Ihr Anspruch ist zu dokumentieren und nicht zu inszenieren?

Genau, deshalb haben mein inzwischen verstorbener Ehemann Klaus Jacobs und ich uns auch bewusst entschieden, mit einer analogen Kamera Schwarz-Weiß-Aufnahmen zu machen. Die Friedhofslandschaften und Details der Grabstätten werden  authentisch fotografisch festgehalten. Eine Nachbearbeitung der Fotografien findet nicht statt. Eine besonders gute Zeit für die Aufnahmen ist der Winter, weil dann das Licht meistens besonders schön ist und es kaum Pflanzenwildwuchs gibt.

Ein jüdisches Grab gilt als ewiger Besitz der oder des Toten. Welche Bedeutung haben Friedhöfe im Judentum?

Eine sehr große. Sie stehen auf einer Stufe mit Synagogen und der Mikwe und sind ein ganz wichtiger Bezugspunkt in der jüdischen Kultur. Jüdische Friedhöfe sind für die Ewigkeit angelegt, das heißt, die Grabstellen dürfen nicht eingeebnet werden. Sie gelten als „Haus der Ewigkeit“, weshalb auch unsere Ausstellung so benannt ist. Interessant finde ich auch den persönlichen Aspekt: Durch die Namen und Informationen auf den Grabsteinen bekommen persönliche Biographien ein Gesicht. An ihnen lässt sich ablesen, wie das jüdische Leben vor Ort gewesen ist. So finden Sie auf den Friedhöfen heute die ganze gesellschaftliche Bandbreite, von Kaufleuten, Handwerkern, Industriellen und Bankiers bis hin zu Künstler*innen.

Gibt es einen Friedhof, der Sie besonders beeindruckt hat?

Da fällt mir zuerst der jüdische Friedhof in Czernowitz in der Ukraine ein, schon allein wegen der ungeheuren Größe. Hinzu kommt, dass das gesamte Areal fast baumlos ist, wodurch der Eindruck endloser Grabreihen bis zum Horizont entsteht. Und neben den Inschriften ist manchmal ein Foto des oder der Verstorbenen auf dem Grabstein angebracht. Das ist eher ungewöhnlich und entspricht überhaupt nicht der jüdischen Bestattungstradition. Ein zweiter Friedhof, den ich faszinierend finde, ist der Neue Jüdische Friedhof in Warschau. Auch hier ist das Gelände riesig. Das Besondere ist aber, dass man nahezu jede Strömung in der Gestaltung der Grabsteine wiederfindet. Vor dem Zweiten Weltkrieg existierte in Warschau die größte jüdische Gemeinde Europas. Auf beiden genannten Friedhöfen finden heute noch Bestattungen statt.

Unterscheidet sich der Umgang mit den Friedhöfen je nach Land?

Ja. Vandalismus oder Diebstahl gibt es auf Friedhöfen in Deutschland oder in der Tschechischen Republik weniger, in Polen und in der Ukraine geschieht beides deutlich öfter.

Welchen Platz nehmen jüdische Friedhöfe in unserer Erinnerungskultur ein?

Leider führen sie eher ein Schattendasein. Manche verfielen nach dem Zweiten Weltkrieg über Jahrzehnte oder gerieten in Vergessenheit. Mit dem „Freundeskreis zum Erhalt der jüdischen Friedhöfe im mitteleuropäischen Kulturraum e.V.“ wollen wir das gerne ändern und ein stärkeres Bewusstsein für die Bedeutung jüdischer Friedhöfe schaffen, zum einen mit unseren Ausstellungen, zum anderen mit einem Bildband, den wir im vergangenen Jahr herausgebracht haben. Gerade für Schulklassen bietet sich der Besuch auf jüdischen Friedhöfen an, weil sie die Geschichte über persönliche Schicksale nachvollziehbar macht und dadurch auch der Schrecken des Holocaust anders vermittelt wird.

Ihre Ausstellung „Haus der Ewigkeit“ ist nun zum ersten Mal in Berlin zu sehen. Bedeutet Ihnen das etwas?

Ja, Berlin ist schon ein besonderer Ort für uns. Schließlich hat das Projekt hier begonnen. Die Idee wurde hier geboren und unser Verein am 27. Januar 2018, dem Jahrestag zum Gedenken an die Befreiung des Konzentrationslagers Auschwitz, in Berlin gegründet. Schön finde ich, dass wir die Ausstellung im Willy-Brandt-Haus zeigen können. Zum Holocaust-Gedenktag ist das ein sehr passender Rahmen.

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Autor*in
Kai Doering
Kai Doering

ist stellvertretender Chefredakteur des vorwärts. Er betreut den Bereich Parteileben und twittert unter @kai_doering.

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