Kultur

Regisseurin Julia von Heinz: „Die Antifa kann man nicht verbieten.“

Wie weit darf man gehen im Kampf gegen rechts? Um die Frage dreht sich der neue Film von Julia von Heinz „Und morgen die ganze Welt“. Im Interview spricht die Regisseurin über den Wert der Demokratie und ihre eigenen Erfahrungen in der Antifa.
von Kai Doering · 20. Oktober 2020
Luisa (Mala Emde) bei einer Demo gegen Nazis: Die Ereignisse sind von Jahr zu Jahr extremer geworden.
Luisa (Mala Emde) bei einer Demo gegen Nazis: Die Ereignisse sind von Jahr zu Jahr extremer geworden.

Sie sind bekannt geworden mit Filmen wie „Ich bin dann mal weg“, der auf einem Buch von Hape Kerkeling beruht. Was war Ihre Motivation, „Und morgen die ganze Welt“ zu drehen?

Ich habe immer auch gerne Auftragsproduktionen als Regisseurin angenommen, aber dieser Film ist für mich ein ganz besonderer. „Und morgen die ganze Welt“ ist mein bisher persönlichster Film. Teilweises ist er fast autobiografisch, auch wenn mein Leben sicher nicht so spannend war, wie das, was Luisa, die Hauptfigur, erlebt. Aber viele Emotionen, die sie durchlebt, oder Entscheidungen, die sie treffen muss, kommen aber aus meiner Erfahrung. Allerdings liegen die schon gut 20 Jahre zurück.

Sie waren damals bei der Antifa aktiv. Was ist davon in Ihren Film eingeflossen?

Eine zentrale Frage, die sich durch den Film zieht, ist die, wer überhaupt in solche Gruppen reinfindet. Häufig sind es privilegierte junge Menschen aus Akademikerfamilien, die zum einen eine besondere Verpflichtung empfinden, weil sie sich ihrer Privilegien bewusst sind, die zum anderen aber auch die Möglichkeit haben, die Gruppe jederzeit wieder zu verlassen. Im Film habe ich das zugespitzt, aber der Grundkonflikt ist real. Die Frage, wie sehr und wie dauerhaft man sich einer Sache verpflichtet, hat auch mich sehr beschäftigt und ich habe darüber häufig mit Freunden und Genossen von damals diskutiert. Manche sind bis heute dabeigeblieben, anderen sehen es nur als aufregende Jugendphase. Respekt habe ich vor den wenigen von damals, die danach tatsächlich in die Politik gegangen sind und heute in Stadtparlamenten für Radwege kämpfen.

Im Mittelpunkt Ihres Films steht die Frage, wie weit man gehen darf für seine politische Überzeugung und im Kampf gegen rechts. Wo sehen Sie die Grenze?

Ich glaube an die Demokratie. Deshalb möchte ich darauf vertrauen, dass das Gewaltmonopol beim Staat in den richtigen Händen liegt. Wenn man aber das Gefühl bekommt, dass staatliche Organe zu eng mit rechten Strukturen verbunden sind und die Machtausübung nicht mehr in der Mitte der Gesellschaft liegt, sondern am rechten Rand, verliert man das Vertrauen. Wenn sich Polizisten in WhatsApp-Gruppen rassistisch austauschen oder wenn Waffen der Bundeswehr für rechtsradikale Attentate benutzt werden, führt das zu einem Machtvakuum, das Menschen dazu bringen kann, selbst handeln zu wollen, um die  Demokratie zu verteidigen. Aus meiner Sicht kann das aber keine Lösung sein. Es ist vielmehr ein Problem. Und als solches beschreibe ich es auch im Film.

Haben Sie darüber auch mit ihren Hauptdarstellern diskutiert?

Ja, über dieses Thema haben wir viel gesprochen und alle hatten das Gefühl, wir müssten jetzt etwas tun. Allerdings beschränkt sich das im Moment zum Glück noch auf das Gefühl, man müsse Nazis immer wieder mit demokratischen Mitteln etwas entgegensetzen, etwa bei Demonstrationen. Immer wieder haben wir darüber diskutiert, wie weit man gehen darf, um die Nazis nicht zu sichtbar werden zu lassen. Müssen ihre Plakate mit Parolen, die andere Menschen herabwürdigen und verletzten, wirklich überall hängen? Müssen sie das Recht haben, ihre Stände überall aufzubauen, um ihr Material zu verteilen? Und wie weit darf man gehen, um etwas dagegen zu tun? Darum ging es immer wieder in unseren Gesprächen. Einiges davon findet sich auch im Film wieder.

Die erste Drehbuchfassung Ihres Films lag bereits 2002 vor. Vom NSU und der AfD ahnte damals noch niemand etwas. Haben die realen Ereignisse Ihren Stoff überholt?

Die Ereignisse sind von Jahr zu Jahr extremer geworden. Noch vor einigen Jahren hätte wohl niemand damit gerechnet, dass ein Walter Lübcke per Kopfschuss auf seiner Terrasse von einem Rechtsextremen ermordet wird. Oder dass nur eine Holztür ein Massaker in einer Synagoge verhindert. Oder dass neun Menschen in einer Shisha-Bar erschossen werden. All das hat die ursprüngliche Erzählung unseres Films übertroffen. Ursprünglich hatten wir eine Montage aktueller Ereignisse im Film, haben dann aber entschieden, dass wir darauf verzichten und mit der Erzählung zeitlos bleiben.

Hat sich die Gesellschaft seit Ihrem Engagement bei der Antifa vor 20 Jahren politisiert?

Ja, diesen Eindruck habe ich. Mein Gefühl ist, dass politisches Engagement wieder breiter geworden ist weniger in einem elitären Kreis stattfindet. Das kam sicher durch den Rechtstruck, der seit einigen Jahren stattfindet, aber auch durch die Klimabewegung und die Trans-Gender-Debatten. Viele Diskussionen, die wir vor 20 Jahren geführt haben, sind heute Mainstream. Vor 25 Jahren waren wir die verrückten Spinner, weil wir in der veganen „Volxküche“ gekocht haben. Heute stapeln sich vegane Kochbücher in den Buchhandlungen. Bei der Antifa hatten wir damals quotierte Redelisten, weil wir das Gefühl hatten, dass sonst die Männer zu viel zu Wort kommen. Heute ist die Forderung nach einer Frauenquote fast ein gesellschaftlicher Konsens.

Wie bewerten Sie die immer wieder aufkommende Debatte über ein Antifa-Verbot?

Die Antifa kann man nicht verbieten. Sie ist ja kein Verein mit einer Mitgliedskartei. Antifa ist eine Haltung. Wenn von „der Antifa“ die Rede ist, spricht man über lose und autonome Zusammenhänge, denen niemand fest zugeordnet werden kann. Insofern ist das für mich ein Scheindebatte, die zur politischen Profilierung genutzt werden soll.

Kritiker werfen Ihnen vor, Sie würden in Ihrem Film rechte und linke Gewalt gleichsetzen. Was antworten Sie denen?

Der Gedanke, linke und rechte Gewalt gleichzusetzen, ist zynisch. Rechte Gewalt richtet sich gegen Menschen, die nicht einem bestimmten Weltbild entsprechen, weil sie anders aussehen, einen anderen Glauben haben oder eine andere sexuelle Orientierung. Linke Gewalt richtet sich häufig gegen Gegenstände. Wenn sie sich gegen Menschen richtet, dann gegen die, die sich aus freien Stücken für eine unmenschliche Ideologie entschieden haben. Jeder Nazi kann ja morgen entscheiden, keiner mehr zu sein. Menschen mit einer anderen Hautfarbe können das nicht. Trotzdem heiße ich Gewalt gegen Menschen nicht gut. In meinem Film mache ich viele Andeutungen auf die sogenannte Hufeisentheorie, um sie bewusst zu widerlegen. Deshalb zeige ich z.B. sehr bewusst sowohl ein linkes als auch ein rechtes Zentrum. Der Zuschauer kann sich dann ein eigenes Bild davon machen, wie unterschiedlich das ist, was dort geschieht. Aus meiner Sicht zeigt der Film deutlich, dass man links und rechts nicht gleichsetzen kann.

Wenn Nazis in deutschen Filmen vorkommen, dann meistens eher historisch. Wünschen Sie sich mehr politische Filme, die aktuelle Entwicklungen zum Thema machen?

Ich wünsche mir generell, dass das Kino unsere Gesellschaft wieder mehr widerspiegelt, dass also Filme das zeigen, was um uns herum passiert. Ich mag persönliche Filme, und solche, die mitten aus dem Leben kommen. Eine größere Bandbreite an Themen und Stimmen von Menschen, die in der Gesellschaft am Rand stehen, täte dem Kino gut. In Frankreich bekommt man davon deutlich mehr zu sehen als bei uns.

Welche Zuschauer wünschen Sie sich für Ihren Film besonders?

Ganz besonders wünsche ich mir Menschen im Alter der Protagonisten, die also etwa Anfang 20 sind. Das ist die Generation, die jetzt dran ist, unsere Gesellschaft zu gestalten. Deshalb sollte sie sich die Fragen stellen, die ich versuche, im Film aufzuwerfen. Genauso freue ich mich aber über Zuschauerinnen und Zuschauer, die in den 70er Jahren selbst politisch aktiv gewesen sind und mit dem Film vielleicht motiviert werden, wieder gegen rechts auf die Straße zu gehen. Und im besten Fall hat der Film auch einen Einfluss auf die Menschen zwischen 35 und 50, die ich als eher unpolitisch erlebe. Das würde mich sehr freuen.

Nach dem Filmstart Ende Oktober gehen sie auf Tour durch Deutschland, um mit den Zuschauern zu sprechen. Warum ist Ihnen das wichtig?

Die Kinos leiden unter Corona mit am meisten. Die Tour soll deshalb auch eine Unterstützung für sie sein. Für mich persönlich ist der Austausch mit dem Publikum ein riesen Gewinn. Ich habe zuletzt zwei Fernsehfilme gedreht. Da bekommt man Reaktionen nach der Ausstrahlung allenfalls in den Kritiken oder den sozialen Medien. Auf den direkten Kontakt mit den Zuschauerinnen und Zuschauern freue ich mich deshalb besonders.

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Autor*in
Kai Doering
Kai Doering

ist stellvertretender Chefredakteur des vorwärts. Er betreut den Bereich Parteileben und twittert unter @kai_doering.

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