Kultur

Filmtipp „Speer Goes to Hollywood“: Das wahre Gesicht des Top-Nazis

Albert Speer entlarvt sich selbst: Der Dokumentarfilm „Speer Goes to Hollywood“ erzählt von dem Versuch von Hitlers Rüstungsminister, sich mit einem Kinofilm reinzuwaschen.
von ohne Autor · 12. November 2021
Meister der Verstellung: Nach seiner Haft startete Albert Speer eine weitere Karrierephase.
Meister der Verstellung: Nach seiner Haft startete Albert Speer eine weitere Karrierephase.

Albert Speer hat genaue Vorstellungen davon, wie der geplante Film über sein Leben ausfallen soll: je weiter entfernt von einem Dokumentarfilm, desto besser. „Es ist Malerei, nicht Fotografie“, sekundiert Andrew Birkin. Ein Kunstwerk, das nicht die Realität, sondern das Selbstbild des Protagonisten widerspiegelt. Und zwar so, dass sich möglichst viele Menschen damit identifizieren können.

Im Winter 1971 sitzen Speer und der aufstrebende Drehbuchautor zusammen, um den Plan für einen Spielfilm über das Leben von Hitlers Lieblingsarchitekten, Generalbauinspektor und Rüstungsminister voranzutreiben. Der Brite präsentiert ihm seinen Entwurf für ein Drehbuch, es basiert auf Speers umstrittenen „Erinnerungen“. Diese waren 1969 erschienen und entwickelten sich weltweit zum Millionen-Bestseller. Zwei Jahre später klopften die Paramount-Studios aus Hollywood bei Speer wegen einer Verfilmung an.

Entspannte Atmosphäre

Vanessa Lapas Dokumentarfilm rekonstruiert die Anfänge dieses Projekts. Grundlage sind die in Speers Villa geführten Gespräche über Birkins Skript, sie bilden die Tonspur. 40 Stunden wurden damals auf Tonband aufgezeichnet. Szene für Szene geht der junge Autor, der später mit Drehbüchern für „Der Name der Rose“ oder „Das Parfum“ auf sich aufmerksam machte, in entspannter Gesprächsatmosphäre mit dem 66-jährigen durch.

Diese imaginierten Szenen – die israelische Regisseurin illustriert sie mit Archivmaterial – sollen ihn zeigen, wie er sich selbst gefiel: Speer als Architekt monumentaler NS-Bauten. Speer als Rüstungsorganisator, der die Kriegswirtschaft bis kurz vorm Kollaps des „Dritten Reiches“ am Laufen hält. Speer auf Tuchfühlung mit den Mächtigsten der Nazi-Elite.

Speer spielt den Ahnungslosen

Streut der willfährige Drehbuchautor ausnahmsweise Fragen oder Gedanken zu den düsteren Seiten dieses strahlenden Weges ein, etwa zum Schicksal von Millionen Zwangsarbeitern, spielt Speer den Ahnungslosen oder Unbeteiligten.

Aus seiner Sicht sollte der enge Austausch mit dem jungen Filmschaffenden dazu dienen, seine Selbststilisierung zum unwissenden Künstler und „guten Nazi“, der sich von einer kleinen Verbrecherclique hatte missbrauchen lassen, auf eine neue Stufe zu heben. Viele Deutsche hatten sich mit dem in Speers „Erinnerungen“ transportierten Blick auf den Nazi-Staat nur zu gerne identifiziert. Welche Möglichkeiten sollte da erst ein Kino-Blockbuster bieten?

Jahrzehntelang verborgen

Jahrzehntelang blieben die Mitschnitte unveröffentlicht. Was wohl auch daran liegt, dass der Film am Ende nicht zustande kam, obwohl namhafte Regisseure wie Stanley Kubrick und Carol Reed in die Vorbereitungen involviert waren. Erst vor wenigen Jahren wurden die Tonbandaufnahmen entdeckt.

Lapas macht sie erstmalig einem breiten Publikum zugänglich, wenn auch nicht im Original. Weil die Qualität des Materials zu schlecht gewesen sei, ließ sie einen Teil der Transkripte von Schauspielern nachsprechen, lässt der Verleih wissen. Im strengen dokumentarischen Sinne könnte man diesen Mangel an Authentizität kritisieren.

Konzentrieren wir uns darauf, was gesagt wird und welche Absicht durchscheint, erweisen sich die Kassetten aus den frühen 70er-Jahren als ein wahrer Schatz. Sie zeigen einen Albert Speer, der von der öffentlichen Figur deutlich abweicht. Da bleibt wenig von der angeblich reumütigen, wenn auch niemals persönliche Schuld an Verbrechen gegen die Menschlichkeit zugestehenden und Aufklärungswillen simulierenden Persönlichkeit. Es war vor allem diese Maskerade, die ihn beim Hauptkriegsverbrecherprozess in Nürnberg vor dem Galgen rettete.

Speer entlarvt sich selbst

Wenn Speer mit Birkin über die Ausgestaltung des Bio-Pics diskutiert, erleben wir einen dem NS-Staat noch immer durchaus positiv gegenüberstehenden Karrieremenschen, der Erfolg und Leistung über alles andere stellt. Diesen „wahren“ Albert Speer haben kritische Biografien und Dokumentationen schon vor einigen Jahren enttarnt. In der unmittelbaren Begegnung mit Speers Selbstzeugnissen liegt aber dennoch ein besonderer Erkenntnisgewinn.

Speer entlarvt sich in vielerlei Hinsicht selbst. Entlarvend ist aber auch das Filmmaterial, das Lapas aus internationalen Archiven zusammengetragen hat. Es zeigt vieles von dem, was Speer angeblich nicht gesehen hat oder nicht sehen wollte. Und auch, auf welche Widerstände Speers Selbstvermarktung seinerzeit stieß. Im Grunde genommen macht erst dieses Material Lapas Film überhaupt erträglich.

Diese auf der Bildebene eingebauten Kontrapunkte zu Speers Erzählung – darunter sind etliche Szenen aus Nürnberg – leisten das, woran Birkin und viele andere, die dem polyglotten Grandseigneur nach 20-jähriger Haft zu öffentlicher Wirkung verhalfen, scheiterten. Speer, der große Manipulator: Dieser Film zeigt ihn in Reinkultur.

Info: „Speer Goes to Hollywood“ (Israel 2021), Regie: Vanessa Lapa, Drehbuch; Vanessa Lapa und Joelle Alexis, 97 Minuten

www.salzgeber.de/speer

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