Kultur

Kinodrama „Gotteskinder“: Vom unfreien Geist einer christlichen Freikirche

Wenn Glaubensgebote der Gemeinschaft mit persönlichen Bedürfnissen kollidieren: Der Film „Gotteskinder“ zeigt das Leben in einer strenggläubigen Freikirche in Deutschland. Ein berührendes, aber auch beunruhigendes Drama.

von Nils Michaelis · 24. Januar 2025
Mark Waschke in "Gotteskinder"

Darauf hat Timo (Serafin Mishiev) lange gewartet: Sein Vater David (Mark Waschke, rechts) vollzieht mit einem Gemeindemitglied (Seumas F. Sergant) die Taufe.

Christliche Freikirchen finden in Deutschland immer mehr Zulauf. Wohl auch deshalb, weil der Begriff „Freikirche“ für viele positiv besetzt ist. Man denkt im ersten Moment vor allem an die Freiheit gegenüber tradierten kirchlichen Strukturen. 

Freikirchen im Visier des Verfassungsschutzes

Doch wie steht es um die innere Freiheit der Mitglieder solcher Gemeinden? Immer wieder ist von autoritären Verhältnissen und hohem Anpassungsdruck zu hören. Mitunter werden dort sogar Hass und Hetze gepredigt. So beobachtet der Verfassungsschutz zwei Freikirchen in Baden-Württemberg, weil sie den Staat und seine Gesetze abschaffen wollen: Das hat etwas von „Reichsbürgern“ mit Kruzifix. Nach Ansicht von Expert*innen sind allerdings nur die wenigsten freikirchlichen Gemeinden als extremistisch einzustufen.

Wie erleben es Menschen, Teil einer Freikirche in Deutschland zu sein? Was geschieht, wenn individuelle Bedürfnisse den Leitlinien der Gemeinde widersprechen? Darum geht es in dem Spielfilm „Gotteskinder“. Im Zentrum steht eine Familie, wie sie für eine streng evangelikale Freikirche kaum mustergültiger sein könnte. Doch dieses Bild bekommt im Laufe der Handlung immer mehr Risse.

Zu dieser Familie gehören Hannah und Timotheus, auch „Timo“ genannt. Mit ihren Eltern wohnen sie in einem großen Haus auf dem Land, es scheint ihnen an nichts zu mangeln. Die beiden Heranwachsenden sind dabei, ihren Platz in der Gemeinschaft zu finden, die vor allem von ihrem Vater David tatkräftig unterstützt wird. In Seminaren zeigt Hannah jungen Menschen, worauf sie sich im Gemeindeleben einzulassen haben. Während einer Zeremonie schwört sie, „bis zur Ehe rein zu bleiben“ und ihren „Vater zu ehren“. Auch Timo bereitet sich auf einen besonders weihevollen Moment vor: seine Taufe, nach urchristlicher Auffassung stilecht in einem See.

Im Konflikt mit dem Keuschheitsgelübde

Im Leben von Hannah und Timo ist ziemlich viel vorgezeichnet, möchte man meinen. Doch es kommt anders. Bei Hannah liegt das an Einflüssen von außen. Eines Tages begegnet sie dem neu zugezogenen Nachbarsjungen Max und verliebt sich in ihn. Mit ihrem Keuschheitsgelübde ist das nicht zu vereinbaren. Manch ein Glaubenssatz scheint ins Wanken zu geraten.

Timo wiederum bringt etwas in die Bredouille, was in ihm selbst angelegt ist. Ihm ist bewusst geworden, homosexuell zu sein. Laut seiner religiösen Auffassung begeht er damit eine Sünde und so sucht er verzweifelt nach „Heilung“. Seitdem er sich zu einem Freund hingezogen fühlt, wird dieser innere Konflikt immer größer. Es wird nicht bei einem inneren Konflikt bleiben.

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Mit „Gotteskinder“ ist Regisseurin und Drehbuchautorin Frauke Lodders eine packende Innenperspektive zum Thema Freikirchen gelungen. Ihr Film zeigt, wie zwei junge Menschen die wohl schwierigste Herausforderung bewältigen, die sich in dieser Lebensphase stellt: Sollen sie den Regeln ihrer strenggläubigen Eltern und ihrer vertrauten Gemeinschaft folgen oder ihr bisheriges Leben aufgeben? 

Komplexe Lebenswelten anstelle einfacher Antworten

Frauke Lodders vermeidet einfache Antworten. Vielmehr macht sie die Komplexität der Lebensrealität der Geschwister deutlich und konfrontiert uns immer wieder mit überraschenden Wendungen. Das hat zur Folge, dass das Spannungslevel stets ganz oben bleibt.

Mittels dieser Coming-of-Age-Handlungsstränge und eines präzisen Blicks auf die Hauptfiguren wird das innere Gefüge einer evangelikalen Freikirche sehr anschaulich. Einige religiöse Zusammenkünfte haben einen modernen Anstrich und erinnern an Partyevents. Doch der Kern des Ganzen geht in eine ganz andere Richtung. 

Hannahs und Timos Vater versinnbildlicht diesen Kontrast besonders deutlich. „Wenn wir euch neugierig gemacht haben, dann kommt doch nach der Celebration in die Lounge“, sagt David zu ein paar Neuankömmlingen. Doch daheim, im Kreis der Familie, hat er keine Mühe, den strengen und strafenden Vater zu geben. Der auch als „Tatort“-Kommissar bekannte Mark Waschke verkörpert diese Figur zunächst mit der ihm eigenen Zurückgenommenheit und scheinbaren Regungslosigkeit. Doch auch diese unerschütterliche Fassade bröckelt irgendwann.

Ein mehrfach ausgezeichnetes Werk

„Gotteskinder“ vermeidet eindimensionale oder überzogene Eindrücke. Eingerahmt von einer etwas sterilen Alltäglichkeit tritt einem umso eindringlicher vor Augen, was das Leben in einer derartig gelagerten Parallelgesellschaft für die Bewusstseinsbildung junger Menschen bedeuten kann. Ein sehr berührendes, aber auch beunruhigendes Werk, das bereits vor seinem Kinostart mehrfach ausgezeichnet wurde.

„Gotteskinder“ (Deutschland 2023), ein Film von Frauke Lodders, mit Flora Li Thiemann, Michelangelo Fortuzzi, Bettina Zimmermann, Serafin Mishiev, Mark Waschke u.a.

www.wfilm.de

Kinostart: 30. Januar

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