Kultur

Annemarie Heinrich: Wie die Fotografin nach Berlin zurückkehrt

Sie fotografierte Frauen beim Melken oder bei der Apfelernte, aber auch Schauspieler*innen und Schriftsteller*innen. Mehr als 120 Aufnahmen der deutsch-argentinischen Fotografin Annemarie Heinrich werden nun im Willy-Brandt-Haus in Berlin gezeigt. 

von Julia Korbik · 19. Juli 2024
Experimentierfreudig und modern: Die Bilder der Fotografin Annemarie Heinrich sind jetzt im Willy-Brandt-Haus zu sehen.

Experimentierfreudig und modern: Die Bilder der Fotografin Annemarie Heinrich sind jetzt im Willy-Brandt-Haus zu sehen.

1926 machte sich ein 14-jähriges Mädchen mit seiner Familie von Deutschland aus auf den Weg nach Argentinien, um dort ein neues Leben zu beginnen. Dieses Mädchen war Annemarie Heinrich. In Südamerika lernte sie das Fotografieren und eröffnete bereits mit 18 Jahren ihr erstes Atelier. Aus dem Beruf wurde Berufung und im Laufe ihrer langen Karriere fotografierte Heinrich Berühmtheiten und Unbekannte, machte Selbstportraits, Landschaftsaufnahmen. Ihre Fotos landete immer wieder auf den Titelseiten von Magazinen und Zeitschriften. 

Rückkehr nach Berlin nach fast 100 Jahren

Fast 100 Jahre nach Heinrichs Abreise und fast 20 Jahre nach ihrem Tod präsentiert das Willy-Brandt-Haus die erste große Retrospektive dieser besonderen Fotografin und Künstlerin. Mehr als 120 Fotos zeigen die Bandbreite ihres Können. Ricardo Sanguinetti, Annemarie Heinrichs Sohn, sagte bei der Ausstellungseröffnung am Donnerstagabend, seine Mutter hätte gerne noch zu Lebzeiten eine Ausstellung in ihrer Heimat gehabt. Nun sei sie „nach Berlin zurückgekehrt“.

Dem schloss sich der der deutsch-argentinische Künstler und Fotodozent Lutz Matschke an, der zusammen mit Renata Jonic Konzept und Gestaltung der Ausstellung verantwortete: Annemarie Heinrich sei anwesend, sie sei „in ihren Werken“.

Arbeitende Frauen und der Alltag in Buenos Aires

Und diese Werke zeigen oftmals sorgsam inszenierte und choreografierte Porträtaufnahmen von Stars und Sternchen, darunter der Schriftsteller Jorge Luis Borges oder die argentinische First Lady Eva Perón, von Tänzer*innen und Schauspieler*innen. Im Studio setzte Heinrich auf ein geschicktes Spiel aus Licht und Schatten und retuschierte die Negative später so, dass die Gesichter fast skulptural erschienen.

Die Aufnahmen sind sorgfältig arrangiert und komponiert, kontrastreich und glamourös. In der Ausstellung finden sich jedoch auch andere Bilder, Bilder aus dem Alltag in Buenos Aires. In einer Serie widmete Heinrich sich arbeitenden Frauen und fotografierte diese beim Melken, bei der Apfelernte oder in der Fleischverarbeitung. Heinrich machte diese Frauen sichtbar – und behauptete sich selbst in einem Metier, das von Männern dominiert war. 

Kunst in einem politisch aufgeladenen Raum

Als Künstlerin war Annemarie Heinrich experimentierfreudig und modern. Die Ausstellung von Studierenden der weißensee kunsthochschule berlin – Heute Nacht gehen wir nicht schlafen. –, die ebenfalls seit diesem Freitag im Willy-Brandt-Haus zu sehen ist, hätte sie wahrscheinlich interessiert. Sie entstand im Rahmen eines Seminars, in dem die jungen Künstler*innen unter Leitung von Nader Ahriman und Nora Kapfer Herstellungs- und Transformationsprozesse von Materialien und Produkten reflektierten. Die daraus entstandene Collage auf großflächigen Stoffbahnen hat verschiedene Stufen durchlaufen – manuelle Bearbeitung, Fotografie, Druck – und erstreckt sich im Atrium des Willy-Brandt-Hauses über zwei Wände. 

Friederike Toeppe, eine der Studierenden, erklärte, es sei eine Herausforderung gewesen, Kunst für einen „so politisch aufgeladenen Raum“ zu gestalten. Man habe die besonderen Gegebenheiten des Raumes nutzen wollen und sich deshalb nicht für Einzelarbeiten entschieden, sondern für ein kollektives Werk. Während der gemeinsamen Arbeit daran, so Toeppe, habe man den anderen einen Teil von sich selbst offengelegt.

Die Collage zeige die „inneren Landschaften“ der beteiligten Künstler*innen. Im Ergebnis bildet diese somit vielschichtige künstlerische Perspektiven ab. Sie ist dynamisch, konfrontativ, chaotisch, persönlich – und lädt die Betrachtenden ein, mit ihren eigenen Perspektiven Teil des Kollektivs zu werden.

 

Die Ausstellungen:

Annemarie Heinrich. Fotografien zwischen Deutschland und Argentinien 1933-1987

19.09.2024 – 29.09.2024

Heute Nacht gehen wir nicht schlafen. Eine künstlerische Transformation durch Studierende der weißensee kunsthochschule berlin

19.09.2024 – 29.08.2024

Autor*in
Julia Korbik
Julia Korbik

studierte European Studies, Kommunikationswissenschaften und Journalismus in Deutschland und Frankreich. In Berlin arbeitet sie als freie Autorin und Journalistin.

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