Vergessene „Heldinnen“: Ausstellung zeigt Frauen im Widerstand gegen Nazis
Die Geschichtswissenschaft hat den Einsatz von Frauen im Widerstand gegen das Nazi-Regime lange vernachlässigt. Eine Ausstellung in der Gedenkstätte Deutscher Widerstand in Berlin erzählt nun ihre vergessenen Geschichten.
© Gedenkstätte Deutscher Widerstand
Die Ausstellung „Frauen im Widerstand gegen den Nationalsozialismus" ist bis zum 3. November 2024 in der Gedenkstätte Deutscher Widerstand zu sehen.
Rose Schlösinger ist 35 Jahre alt, als sie einen Brief an ihre Tochter Marianne verfasst. „Und sei froh, so oft Du kannst“, steht da geschrieben. „Jeder Tag ist kostbar, es ist schade um jede Minute, die man traurig zugebracht hat. Meine Liebe zu Dir soll Dich ein ganzes Leben lang begleiten.“ Gezeichnet: „Deine Mama“. Am 5. August 1943 fällt in der Berliner Haftanstalt Plötzensee das Beil. Rose Schlösinger, einst Mitglied der Sozialistischen Arbeiterjugend, stirbt, weil sie sich den Nazis widersetzte.
Ihr Brief liegt seit Mittwoch in der Gedenkstätte Deutscher Widerstand in Berlin aus. Rose Schlösinger ist eine der Frauen, die Claudia Roth (Grüne) bei der Eröffnung der Ausstellung „Frauen im Widerstand gegen den Nationalsozialismus“ ihre „Heldinnen“ nannte. „Sie alle haben ihr Leben riskiert, ihre Freiheit gefährdet und auch die ihrer Familien“, sagte die Kulturstaatsministerin bei einem Festakt in der Berliner St. Matthäus-Kirche. „Es hat zu lange gedauert, bis sich Politik und Gesellschaft an sie erinnerten.“
Bundestag beschloss Würdigung
Die Ausstellung ist noch bis zum 3. November 2024 zu sehen. Sie geht auf einen Beschluss des Bundestages von 2019 zurück, der mit dem Projekt „den Mut und die Leistungen der Frauen im Widerstand gegen die nationalsozialistische Diktatur“ würdigt. Denn Frauen im Widerstand gegen das Nazi-Regime seien von der männlich dominierten Geschichtswissenschaft lange vernachlässigt worden, sagte Roth. Zahlreiche Widerstandskämpferinnen hätten sich so ins Private zurückgezogen und ihre Geschichten nie erzählt, weil sie niemand danach fragte. Doch auch wenn die Würdigung nun spät komme, sei sie wichtig für die Familien jener Frauen. Die Kulturstaatsministerin sieht in den Frauen Vorbilder für heute. „Die Frauen des Widerstands geben uns auf, unseren Handlungsspielraum hier und heute zu nutzen, um die Demokratie zu beschützen, zu verteidigen und zu erhalten“, sagte sie.
Tatsächlich sind außer prominenten Beispielen wie Sophie Scholl oder Liselotte Hermann wenige Widerstandskämpferinnen bekannt. Ein Team an Wissenschaftler*innen um den Gedenkstätten-Leiter Johannes Tuchel erforschte deswegen über fünf Jahre die Biografien tausender Frauen. Die Ausstellung stellt hunderte Biografien vor und richtet ihren Fokus auf 23 sehr unterschiedliche Lebensgeschichten. Weitere Frauen werden in einer Medienstation sowie auf einem Porträtband vorgestellt, das sich durch die Ausstellung zieht. Auch die Website zur Ausstellung bietet umfangreiche Einblicke in die Biografien.
334 Frauen in Berlin ermordet
Erstmals werden in der Ausstellung auch jene Frauen gewürdigt, die wegen ihres Widerstands von den Nazis ermordet wurden. Allein in Berlin wurde an 334 Frauen das Todesurteil verstreckt, erklärte Johannes Tuchel, Leiter der Gedenkstätte. 216 von ihnen seien enthauptet worden. Der Vorwurf lautete meist Landesverrats, Spionage oder „Wehrkraftzersetzung“, ein weit gefasster Begriff, der dem Unrechtsregime zahlreiche Urteile ermöglichte.
Die Ausstellung betrachtet im Besonderen die geschlechtsspezifischen Schwierigkeiten jener Frauen im Widerstand und danach. So erinnerte der Berliner Kultursenator Joe Chialo (CDU) an Hedwig Porschütz, die von der Ermordung bedrohte Jüdinnen und Juden versteckte. Ihr Antrag auf Anerkennung als politisch Verfolgte wurde in den 1950ern von Berlins Innensenator Joachim Lipschitz (SPD) abgelehnt, weil Porschütz zeitweise als Prostituierte gearbeitet hatte. Ihr Einsatz wurde nie gewürdigt, sie und ihre Familien lebten lange Zeit in bitterer Armut.
Ort: Gedenkstätte Deutscher Widerstand, Stauffenbergstraße 13-14, 10785 Berlin,
Öffnungszeiten: Montag bis Freitag: 9 – 18 Uhr, Samstag, Sonntag und an Feiertagen: 10 – 18 Uhr