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Ministerin Schulze: „Die humanitäre Lage in Sudan ist katastrophal“

Seit eineinhalb Jahren tobt in Sudan ein blutiger Bürgerkrieg, von der Weltgemeinschaft weitgehend ignoriert. Am Montag wird Entwicklungsministerin Svenja Schulz in die Region reisen. Was sie sich davon verspricht und wo Hilfe besonders nötig ist, sagt die Ministerin im Interview.

von Kai Doering · 15. November 2024
Entwicklungsministerin Svenja Schulze: „Die humanitäre Lage in Sudan ist katastrophal.“

Entwicklungsministerin Svenja Schulze: „Die humanitäre Lage in Sudan ist katastrophal.“

In der kommenden Woche reisen Sie in den Tschad. Was ist das Ziel Ihres Besuchs?

Der Tschad hat rund 700.000 Flüchtlinge aus dem östlichen Nachbarland Sudan aufgenommen, wo derzeit eine der größten Vertreibungen weltweit vor sich geht. Obwohl Tschad selbst eines der ärmsten Länder der Welt ist, riegelt es seine Grenzen nicht ab, sondern zeigt sich solidarisch mit den Flüchtlingen – mehr als 90 Prozent sind Frauen und Kinder. Tschad versorgt sie und bietet ihnen neue Perspektiven. Eine enorme Leistung. Die deutsche Entwicklungspolitik unterstützt sowohl die Flüchtlinge, als auch die Menschen im Tschad und setzt damit ein deutliches Zeichen der Solidarität und Menschlichkeit. Gleichzeitig bekommt der Krieg im Sudan und die Unterstützung durch Tschad viel zu wenig Aufmerksamkeit. Ich will, dass diese humanitäre Katastrophe nicht vergessen wird.

Sie werden auch die Grenzregion zum Sudan besuchen, wo seit eineinhalb Jahren ein blutiger Bürgerkrieg tobt. Warum spielt der auf der Weltbühne kaum eine Rolle?

Zunächst will ich mir an der Grenze, in Adré, selbst ein Bild machen. Ich spreche in den Camps und Hilfseinrichtungen mit Frauen und den Unterstützer*innen. Derzeit kommen in Adré wöchentlich rund 1.000 Flüchtlinge aus Sudan an. Den Frauen ist auf der Flucht oft Schreckliches widerfahren. Hier will ich zuhören und mehr über die Situation von den Frauen erfahren.

Der Bürgerkrieg im Sudan, der im April 2023 ausgebrochen ist, ist ein sinnloser Krieg, der mit zunehmender Dauer blutiger und komplexer wird. Regionale und internationale Friedensbemühungen, die u.a. von der Afrikanischen Union vorangetrieben werden, erzielten leider bisher keinen Durchbruch. Beide Kriegsparteien – die sudanesische Armee SAF und die Milzen der Rapid Support Forces RSF – glauben offenbar an einen militärischen Sieg. Das ist eine fatale Illusion auf Kosten der Bevölkerung. Es gibt aber keine Alternative, als sich international weiter für einen Waffenstillstand und einen politischen Prozess einzusetzen und mit allen Kräften auf die Konfliktparteien einzuwirken.

Deshalb haben Deutschland und Frankreich im April dieses Jahres zusammen eine Konferenz für die Humanitäre Hilfe für den Sudan ausgerichtet und am Rande der VN-Generalversammlung ein Treffen aller Nachbarn Sudans und internationaler Organisationen mitorganisiert. Diese Bemühungen setzt die internationale Gemeinschaft in verschieden Formaten fort.

Svenja
Schulze

Das darf uns nicht unberührt lassen.

Mehr als acht Millionen Menschen mussten wegen des Konflikts ihren Wohnort bereits verlassen. Zusätzlich sind zwei Millionen Menschen aus dem Sudan geflohen. Was bedeutet das für die Region?

Die humanitäre Lage in Sudan ist katastrophal – mit Folgen auch für die Nachbarn. Insgesamt sind mehr als 12,7 Millionen Menschen auf der Flucht. Rund 2,2 von ihnen sind in die Nachbarländer geflohen, eben vor allem nach Tschad, aber auch nach Südsudan und Ägypten. Doch die allermeisten Flüchtlinge – mehr als zehn Millionen Menschen – sind Binnenvertriebene in Sudan. Die Flüchtlingscamps sind überfüllt und es kommt dort häufig zu Todesfällen durch Infektionskrankheiten wie Masern und Cholera. Nach Angaben der Vereinten Nationen leiden 26 Millionen Menschen in Sudan an Hunger.

Humanitäre Organisationen warnen vor einer Verschärfung dieser Hungersnot in einem bislang unbekannten Ausmaß. Insbesondere schwangere und stillende Frauen, Kinder und Menschen mit eingeschränkter Mobilität sind von akuter Mangelernährung oder den Hungertod bedroht. Das darf uns nicht unberührt lassen. Auch den Binnenflüchtlingen in Sudan gilt darum unsere Solidarität und das Bemühen, ihr Leid zu lindern. Unsere Entwicklungszusammenarbeit mit Sudan unterstützt diese Bevölkerungsgruppe ebenso wie die aufnehmenden Gemeinden vor allem im Osten Sudans mit Grundlegendem wie Wasserversorgung und menschenwürdigen Unterkünften. 

Der Tschad hat seither rund 700.000 Geflüchtete aus dem Sudan aufgenommen, obwohl es eins der ärmsten Länder der Erde ist. Wie lange kann das gutgehen?

Es ist ein großes Glück und eine enorme Leistung Tschads, der einheimischen Bevölkerung und der Flüchtlinge, dass trotz des großen Zustroms an Menschen die Lage bisher ruhig geblieben ist. Mehr noch: Die Flüchtlinge organisieren die Verteilung der Hilfen zum Teil selbstständig in den Lagern, die einheimische Bevölkerung zeigt sich solidarisch und teilt mit ihnen ihre kostbarsten Güter: Trinkwasser, Boden, Schulen für ihre Kinder, Krankenstationen, Dörfer und Städte. Zudem bringt der Staat die Integration voran. So sollen in den kommenden fünf Jahren insgesamt 100.000 Hektar Land an Flüchtlinge und besonders arme Menschen vor Ort vergeben werden. Ein Hektar pro Familie. Mit Unterstützung der Vereinten Nationen und Deutschlands können die Menschen es bewirtschaften – und so unabhängiger werden von Nothilfe. Das ist Hilfe zur Selbsthilfe im besten Sinne. Und es stärkt den sozialen Zusammenhalt.

Svenja
Schulze

Immer mehr Menschen im globalen Süden sind wegen Dürren, Überschwemmungen oder anderer Extremwetter auf der Flucht.

Seit 2021 sind Sie nicht mehr Umwelt- sondern Entwicklungsministerin. Trotzdem haben Sie sich zu Beginn der Weltklimakonferenz deutlich zu Wort gemeldet. Warum?

Weil Klimaschutz und Entwicklungszusammenarbeit sehr eng miteinander verwoben sind. Ein Beispiel: Immer mehr Menschen im globalen Süden sind wegen Dürren, Überschwemmungen oder anderer Extremwetter auf der Flucht. Der jüngste Bericht des Flüchtlingswerks der Vereinten Nationen belegt dies erneut eindrücklich. Mit Klimaschutz – etwa durch Förderung erneuerbarer Energien – und Klimaanpassung – etwa durch Unterstützung dürreresistenten Ackerbaus, der Bäuer*innen hilft, gegen Trockenheit besser gewappnet zu sein, können wir viel für das Klima und die Bevölkerung erreichen.

Im Kampf gegen den Klimawandel unterstützen Sie die Einführung einer globalen Milliardärssteuer wie sie etwa die Nichtregierungsorganisation „Oxfam“ fordert. Was versprechen Sie sich davon?

Alle rund 3.000 Milliardäre weltweit sollten jährlich Steuern in Höhe von mindestens zwei Prozent ihres Vermögens bezahlen. Das wäre ein wichtiger Beitrag zur globalen Gerechtigkeit. Schätzungen zufolge könnte eine solche Steuer jährlich etwa zusätzliche 250 Milliarden US-Dollar an Einnahmen bringen. Durch eine globale Milliardärssteuer könnten nicht nur Länder wie Deutschland, sondern auch Länder des globalen Südens dringend nötige Mehreinnahmen erzielen, denn Ultrareiche, die noch nicht ihren fairen Anteil am Gemeinwesen leisten, gibt es auch in vielen Entwicklungsländern. Für die Ultrareichen wäre es also nur ein kleiner solidarischer Beitrag für eine bessere und gerechtere Welt.

Das Interview wurde schriftlich geführt.

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