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SPD-Außenexperte Schmid: „Das ist eine Schicksalswahl für Georgien“

Mit Spannung wird die Parlamentswahl in Georgien am Samstag erwartet. Besonders für den möglichen EU-Beitritt des Landes spielt der Wahlausgang eine große Rolle, sagt SPD-Außenexperte Nils Schmid – und warnt die Regierung vor Wahlfälschungen.

von Kai Doering · 25. Oktober 2024
Wahlplakate in Georgiens Hauptstadt Tblisi: Die Opposition verfolgt größtenteils einen klar europäischen Kurs.

Wahlplakate in Georgiens Hauptstadt Tblisi: Die Opposition verfolgt größtenteils einen klar europäischen Kurs.

Am 26. Oktober wird in Georgien ein neues Parlament gewählt. Welche Bedeutung hat diese Wahl für das Land?

Das ist eine Schicksalswahl für Georgien und für die europäische Orientierung des Landes. Die Regierungspartei „Georgischer Traum“ geht davon aus, dass sie ganz klar gewinnen wird und möglicherweise sogar eine verfassungsändernde Mehrheit erreicht. Die Opposition rechnet sich aber auch eine echte Chance aus, die Regierungspartei in die Opposition zu schicken. Sollte es so kommen, ist die entscheidende Frage, wie dann konkret eine Regierung gebildet wird. Denn eine wichtige Oppositionspartei ist die Partei des früheren Premierministers Michail Saakaschwili. Sie ist sehr umstritten und polarisiert nicht nur jetzt im Wahlkampf. Kräfte aus dem liberalen und dem sozialdemokratischen Lager versuchen deshalb schon länger, eine echte dritte Kraft aufzubauen, um die Polarisierung zwischen den Saakaschwili-Leuten und denen des bisherigen starken Mannes Georgiens, Bidsina Iwanischwili, zu überwinden. Die spannende Frage wird sein, wie weit das gelingt.

Unter dem „Georgischen Traum“ hat sich Georgien immer weiter von einem möglichen EU-Beitritt entfernt. Welche Rolle spielt die bevorstehende Wahl hierfür?

Bei einer Fortsetzung des jetzigen Regierungskurses wird der EU-Beitritt Georgiens nicht stattfinden können. Mein Eindruck ist nicht, dass die Regierungspartei sich dessen bewusst ist und bereit wäre, Maßnahmen zurückzunehmen, die dem EU-Beitritt im Wege stehen, wie etwa das „Agentengesetz“, mit dem Nichtregierungsorganisationen und Medien, die mehr als 20 Prozent ihres Geldes aus dem Ausland erhalten, unter eine Art Generalverdacht gestellt werden. Die Regierung ist auch nicht willens, entschieden Maßnahmen voranzutreiben, die von der EU-Kommission vorgegeben worden sind, als Voraussetzung für die Aufnahme von Beitrittsgesprächen, wie der Kampf gegen die Korruption im Land und das Zurückdrängen des Oligarcheneinflusses im politischen Leben. Letzteres würde ja auch das Fundament ihrer Macht infrage stellen, da sie klar unter dem Einfluss des Oligarchen Iwanischwili steht. Jeder Schritt Richtung EU und damit zur Stärkung der Rechtsstaatlichkeit, zum Kampf gegen Korruption, zur Wahrung der Medienfreiheit, ist ein Schritt, der die Macht der Regierungspartei in Frage stellt.

Was ist in dieser Frage von der Opposition zu erwarten?

Die Opposition verfolgt größtenteils einen klar europäischen Kurs. Das Problem ist eher, dass das Parteiensystem in Georgien wie in vielen post-sowjetischen Staaten nicht besonders gefestigt ist und sich sehr stark an Führungsfiguren orientiert, also von Oligarchen geprägt ist. Es gibt zwar den Versuch, eine neue sozialdemokratische Kraft aufzubauen unter einem ehemaligen Premierminister der, der sich von der jetzigen Regierungspartei abgewendet hat. Aber da muss sich erst zeigen, wie erfolgreich das sein wird. Trotzdem ist es wichtig, dass es jetzt in Georgien eine auch inhaltlich unterfütterte sozialdemokratische Partei gibt, nachdem sich der „Georgische Traum“ lange als eine solche präsentiert hatte. Georgien hat ja eine stolze sozialdemokratische Tradition, an die sich gut anknüpfen ließe.

Im Frühjahr gab es in Georgien wochenlange Proteste auf den Straßen gegen das sogenannte Agentengesetz. Im September waren Sie mit den außenpolitischen Sprecher*innen der anderen Bundestagsfraktionen zu Besuch in Georgien. Was war das Ziel der Reise?

Das Ziel unserer Reise war, angesichts der zunehmenden autoritären und undemokratischen Tendenzen der Regierung in Georgien, im Land deutlich zu machen, dass wir erwarten, dass es freie und faire Wahlen Ende Oktober gibt. Wir wollten aber auch eine deutliche Botschaft im Land zu hinterlassen, dass bei Fortsetzung des jetzigen Kurses ein EU-Beitritt oder die Aufnahme von EU-Beitrittsgesprächen ausgeschlossen ist. Die Unterstützung des EU-Beitritts ist in der Bevölkerung ja konstant sehr groß. Er ist sogar ein Verfassungsziel. Aber die jetzige Regierung hat trotz gegenteiliger Beteuerung in der Sache, vor allem auch mit der Verabschiedung des Agentengesetzes nach russischem Vorbild den Weg in die EU versperrt, weil damit einfach die Entfaltungsmöglichkeiten der NGOs, der Zivilgesellschaft eingeschränkt werden. Das haben wir bei unserem Besuch sehr deutlich gemacht.

Wie kommt es in der Bevölkerung an, dass der Beitrittsprozess auf Eis gelegt worden ist?

Bei unserem Besuch haben wir mit vielen Aktivisten aus der Zivilgesellschaft gesprochen. Sie sind extrem besorgt, dass sich die Tür nach Europa dauerhaft oder zumindest für sehr lange Zeit schließen könnte. Die große Unterstützung für den EU-Beitritt in der Bevölkerung hat man während der Proteste gegen das Agentengesetz im Frühjahr gesehen. Sie haben ja letzten Endes die Unterstützung für den EU-Beitritt ausgedrückt. Gleichzeitig gibt es ein verlogenes Spiel der Regierungspartei, die sich immer mit Europa-Fahnen ablichten lässt und beteuert, dass sie weiterhin den EU-Beitritt anstrebt, während sie gleichzeitig durch ihre Taten das Gegenteil bewirkt. Auch deshalb ist die Spannung vor der Wahl am Samstag in der georgischen Bevölkerung sehr groß.

Bei Ihrem Besuch haben Sie die Forderung nach freien und fairen Wahlen unterstrichen. Was befürchten Sie?

Von der Durchführung der Wahlen wird viel abhängen. Deshalb haben wir unsere Erwartung nach freien und fairen Wahlen so stark betont. Insbesondere in den ländlichen Regionen sehe ich die Gefahr von Wahlfälschungen. Und dann ist natürlich die Frage, was nach der Wahl geschieht. Wenn die Regierungspartei trotz offenkundiger Wahlfälschung darauf beharren sollte, gewonnen zu haben, dann muss man erneut mit Massenprotesten rechnen. Es wird deshalb auch internationale Wahlbeobachtungsmissionen vom Europarat und von der OSZE geben. Es wird ganz entscheidend darauf ankommen, wie diese unabhängigen Wahlbeobachter die Durchführung der Wahl bewerten.

Auch für Russland geht es um einiges bei dieser Wahl. Wie groß ist Ihre Sorge einer russischen Einflussnahme?

Die Frage spielt ja auf die These an, dass die derzeitige Regierungspartei bzw. Bidsina Iwanischwili ein direktes Instrument Moskaus ist. Das ist aus meiner Sicht zu kurz gedacht, denn er verfolgt eine eigene Agenda, nämlich die Machtabsicherung. Da braucht es gar keinen direkten russischen Einfluss. Aber es gibt natürlich enge Verbindungen von Iwanischwili nach Russland über seine Unternehmen, sodass die derzeitige Regierung aus russischer Sicht sehr genehm ist. Trotzdem ist Russland nicht darauf angewiesen, dass Iwanischwili weiter regiert. Auffällig ist aber die Übernahme der Putinschen Herrschaftsmethoden, also des ausländischen Agentengesetzes. Ebenso die Verteufelung des vorgeblich so dekadenten Westens, der die traditionellen Werte von Ehe und Familie durch Anerkennung homosexueller Ehen und ähnliches untergräbt. Da werden Legenden in die Welt gesetzt, die genau den russischen Narrativen entsprechen und die EU-feindlich sind, um die eigene Macht zu zementieren und Unterstützung aus der konservativen, vor allem ländlichen Bevölkerung zu erreichen. Insofern sieht es aus wie das Drehbuch aus Moskau und das ist sehr beunruhigend.

 

Der Gesprächspartner

Nils Schmid ist außenpolitischer Sprecher der SPD-Bundestagsfraktion.

Autor*in
Kai Doering
Kai Doering

ist stellvertretender Chefredakteur des vorwärts. Er betreut den Bereich Parteileben und twittert unter @kai_doering.

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