SPD-Abgeordnete Rasha Nasr: Syrien-Forderungen der CDU sind zynisch
Die Eltern von Rasha Nasr kamen einst aus Syrien nach Deutschland. Der Sturz von Diktator Assad berührt die SPD-Abgeordnete daher besonders. Im Interview sagt sie, wo Deutschland jetzt helfen sollte, warum die Forderungen der CDU gefährlich sind und wieso sie sich auf ein Eis in Damaskus freut.
IMAGO / BeckerBredel
Tausende Syrer*innen in Deutschland bejubelten den Sturz des Assad-Regimes.
Was war Ihr erster Gedanke, als Sie von Assads Sturz erfahren haben?
Meine kleine Tochter ist eine Frühaufsteherin. Sie war um 6 Uhr wach. Da hatte ich sofort die Eilmeldung auf dem Handy, dass Assad gestürzt wurde. Es war ein freudiger Schockmoment. Ich stand da wie angewurzelt, weil es für mich so unfassbar war. Es war zwar eine sehr dynamische Situation, aber dass das innerhalb von Tagen passiert, damit habe ich nicht gerechnet.
Sie haben einmal im Gespräch mit dem „vorwärts“ gesagt: „Ich bin stolz darauf, syrische Wurzeln zu haben. Das ist ein kultureller Schatz, den nicht viele haben.“ Was bedeutet das vor dem aktuellen Hintergrund für Sie?
Ich bin stolz darauf. Denn ich habe gemerkt, dass es mir guttut, in die Debatten eine andere Perspektive reinzubringen, die unterrepräsentiert war. Deswegen war es mir auch wichtig, diese Woche während der Aktuellen Stunde im Bundestag zu sprechen, weil wir diese Veränderungen, die die Syrerinnen und Syrer gerade erleben, begleiten, unterstützen und aufpassen müssen, damit es für die Menschen in Syrien eine Verbesserung gibt. Da ist es sehr wichtig, dass Menschen wie meine Kollegin Lamya Kaddor von den Grünen und ich ein Sprachrohr für die syrische Community sein können, um die Interessen der Menschen in den politischen Betrieb einzubringen.
Im Bundestag sprachen Sie am Mittwoch von Ihrer persönlichen Verpflichtung und Verantwortung, den Wiederaufbau Syriens konkret zu unterstützen. Was heißt das genau?
Mich stimmt hoffnungsvoll, dass eine Delegation des Außenministeriums in der Region unterwegs ist, um erste Gesprächskanäle zu eröffnen. Mir ist wichtig, dass wir die zivilgesellschaftlichen Bestrebungen in Syrien unterstützen. Denn die Leute wollen mitmachen und ihr Land selbst gestalten. Syrien war lange Spielball von ausländischen Mächten, Putin, Erdogan, auch Israel. Deswegen möchte ich gerne, dass Deutschland dabei unterstützt, konkrete Verbesserungen für die Menschen möglich zu machen. Man muss versuchen, mit den neuen Machthabern Kanäle aufzubauen, darf aber nicht vergessen, dass das immer noch Islamisten sind. Es ist wichtig, dass nicht nur eine neue Regierung und eine neue Verfassung entstehen, sondern diese Regierung und diese Verfassung auch dem syrischen Volk zugutekommen.
Der CDU-Politiker Jens Spahn forderte unmittelbar nach Assads Sturz Chartermaschinen nach Syrien und eine Rückkehrprämie von 1.000 Euro für in Deutschland lebende Syrer*innen. Was denken Sie darüber?
Das ist das absolut falsche Signal und es verunsichert wahnsinnig viele Menschen. Jens Spahn hat damit bewiesen, dass er mit keiner einzigen Person aus der Diaspora gesprochen hat. Sonst hätte er diese Forderungen nicht gestellt. Die Union missbraucht das Schicksal von knapp einer Million Menschen in diesem Land für ihre Wahlkampfzwecke. Das finde ich unanständig und unerhört. Mich macht das fassungslos. Das ist auch zynisch. Denn mehr als 226.000 Syrerinnen und Syrer sind in sozialversicherungspflichtiger Arbeit in Deutschland. Das sind Menschen, die das Leben von Herrn Spahn erleichtern, weil sie ihm die Pakete nach Hause bringen, weil sie sein Büro sauber machen, weil sie dafür sorgen, dass er auf den Straßen dieser Republik unterwegs sein kann und eine Infrastruktur vorfindet, die funktioniert.
Rasha
Nasr
Wir hoffen, dass wir nächstes Jahr im Herbst nach Damaskus können.
Nach Angaben des Instituts für Arbeitsmarkt- und Berufsforschung (IAB) arbeiten aktuell 62 Prozent der Syrer*innen in Deutschland in systemrelevanten Berufen. Müsste man nicht umgekehrt alles dafür tun, dass sie auch hierbleiben?
Genau, darum geht es mir ja. Es gibt eine Gruppe von Menschen, die nach Syrien zurückkehren wollen. Es ist ihre Heimat und wir sollten sie dabei unterstützen, wenn sie das von sich aus wollen. Doch der überwiegende Teil der Syrerinnen und Syrer ist hier heimisch geworden und hat eine Perspektive gefunden. Mehr als 160.000 von ihnen sind seit 2015 deutsche Staatsbürger*innen geworden. Statt populistisch zu agieren und Leute über Nacht rauszuschmeißen, müssen wir an die Arbeitsverbote ran. Wir müssen dafür sorgen, dass Abschlüsse schneller anerkannt werden. Berufsprachkurse und Integrationskurse müssen ausgebaut werden. Wir brauchen mehr Lehrerinnen und Lehrer und müssen die Kinderbetreuung verbessern. Denn dass deutlich weniger syrische Frauen als Männer in sozialversicherungspflichtiger Arbeit sind, hat zu einem großen Teil mit der fehlenden Kinderbetreuung zu tun.
Laut einer Forsa-Umfrage sind 92 Prozent der Deutschen dafür, dass syrische Flüchtlinge, die in Deutschland eine reguläre Arbeit gefunden haben, auch dauerhaft bleiben können, sogar 75 Prozent der AfD-Anhänger*innen. Funktioniert die Integration besser als häufig behauptet?
Das ist genau der Punkt, auf den ich immer hinauswill. Lasst die Leute arbeiten! Dadurch erfährt man Selbstwirksamkeit. Die Akzeptanz steigt ins Unermessliche, wenn die Leute in die Lage versetzt werden, sich um sich selbst zu kümmern. Deswegen bin ich eine Verfechterin davon, dass Arbeitsverbote gar nicht erst ausgesprochen werden, sondern alle Menschen sofort eine Arbeitserlaubnis bekommen. Wir müssen in der nächsten Legislaturperiode noch mal beim Fachkräfteeinwanderungsgesetz ran und mehr Spurwechsel ermöglichen. Die angesprochene Zahl beweist, dass das, was ich in den letzten Jahren erzählt habe, der richtige Weg ist.
In den vergangenen zehn Jahren sind rund eine Million Menschen aus Syrien nach Deutschland gekommen. 160.000 von ihnen sind, wie Sie angesprochen haben, inzwischen deutsche Staatsbürger*innen. Was könnte das langfristig für die deutsch-syrischen Beziehungen bedeuten?
Das ist ein Schatz, den wir damit haben, und den müssen wir heben. Ich erlebe in Dresden eine syrische Community, in der viele Menschen, die deutsche Staatsbürgerschaft bekommen haben, die als Geflüchtete 2015 gekommen sind. Vielen ist gar nicht bewusst, welche Rechte und Pflichten mit der Staatsbürgerschaft einhergehen. Viele Syrerinnen und Syrer suchen dahingehend Orientierung. Deswegen ist es für mich wichtig, dass ich mit der syrischen Community darüber spreche, was die Bundestagswahl bedeutet, welche Parteien es in Deutschland gibt, welche Inhalte diese vertreten, wie so eine Wahl funktioniert und was die Erst- und Zweitstimme jeweils bedeutet. Denn für viele ist es das erste Mal, dass sie die Möglichkeit haben, an einer freien Wahl teilzunehmen. Dabei möchte ich sie gerne unterstützen. Das ist ein Potenzial und eine Chance, zu erleben, was es bedeutet, in einer Demokratie zu sein.
In einem früheren Interview schwärmten Sie vom weltbesten Eis im Café Bakdasch auf dem Markt in Damaskus. Wollen Sie dort nun mal wieder ein Eis essen gehen?
Auf jeden Fall. Mein Vater hat auch gesagt: „Jetzt ist es endlich wieder so weit. Wir können zurück nach Syrien.“ Wir hoffen, dass es wieder eine Direktverbindung von Berlin nach Damaskus gibt. Darauf warten wir noch. Denn der Weg über Beirut und mit dem Auto weiter nach Syrien ist sehr beschwerlich. Ich möchte gerne meine Eltern begleiten und sie sind nicht mehr die Jüngsten. Wir hoffen, dass wir nächstes Jahr im Herbst nach Damaskus können. Dann hoffe ich sehr, dass ich auf dem Basar in Damaskus ein Milcheis mit Pistazien von Bakdasch essen kann.
ist Redakteur des „vorwärts“. Er hat Politikwissenschaft studiert und twittert gelegentlich unter @JonasJjo
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