Präsidentschaftswahl in Rumänien: „Dann hätte die EU ein echtes Problem“
In der entscheidenden Runde der rumänischen Präsidentschaftswahl treten mit George Simion und Nicușor Dan zwei Anti-Establishment-Kandidaten gegeneinander an. Im Interview sagt Anna-Lena Koschig von der Friedrich-Ebert-Stiftung, was ihre Präsidentschaft bedeuten würde – für Rumänien und für Europa.
IMAGO/NurPhoto
Einer von ihnen wird rumänischer Präsident werden: Nicușor Dan (l.) und George Simion (ganz rechts) beim Fernsehduell am 9. Mai.
Am Sonntag wird in Rumänien ein neuer Präsident gewählt. Den ersten Wahlgang am 4. Mai hat der Rechtsextreme George Simion mit knapp 41 Prozent der Stimmen deutlich gewonnen. Waren Sie von einem so starken Abschneiden Simions ausgegangen?
Nein, Simions Ergebnis war schon überraschend hoch. In der Rückschau ist es aber auch nicht vollkommen verwunderlich. Er war der haushohe Favorit und viele Prognosen, die in Rumänien immer mit Vorsicht zu genießen sind, haben ihn vorne gesehen.
Aus meiner Sicht haben die Entwicklungen der letzten Wochen und Monate nach der Annullierung der Präsidentschaftswahl im November sowie der Ausschluss von Călin Georgescu als Kandidat dazu geführt, dass Simions Sieg so deutlich ausgefallen ist. All das hat die Wut und die Enttäuschung auf die etablierten Parteien weiter verstärkt.
Anna-Lena
Koschig
Die Menschen sind von den etablierten Parteien enttäuscht und wollen einen echten Wandel.
Bei welchen Wähler*innen konnte Simion besonders punkten?
Simion hat über alle Wahlsegmente hinweg große Unterstützung bekommen. Besonders stark hat er in den ländlichen Gebieten abgeschnitten und bei wirtschaftlich schwächer gestellten Wähler*innen mit weniger Bildung.
Nicușor Dan, gegen den Simion jetzt in der Stichwahl antritt, wurde dagegen hauptsächlich von jüngeren, urbanen, besser gebildeten und wirtschaftlich stärkeren Wähler*innen gewählt. Mit Simion und Dan haben es gleich zwei Antisystemkandidaten in die Stichwahl geschafft. Der gemeinsame Kandidat der Regierungskoalition ist dagegen nur auf dem dritten Platz gelandet.
Wie erklären Sie sich das?
Hier hat sich ein Trend fortgesetzt, den wir bereits bei der annullierten Wahl im November gesehen haben. Die Menschen sind von den etablierten Parteien enttäuscht und wollen einen echten Wandel. Das ist kein neuer Befund, aber er drückt sich nun deutlich in Wahlergebnissen aus.
Was würde es jeweils bedeuten, wenn Simion bzw. Dan Präsident Rumäniens würde?
Zunächst mal gibt es bei beiden deutliche Überschneidungen. Beide haben ein klar konservatives Profil. Und beide treten als Kandidaten gegen das Establishment an. Nicușor Dans Slogan lautet „Ehrliches Rumänien: Institutionen im Dienste des Volkes“.
Der große Unterschied zu Simion ist, dass Nicușor Dan moderat konservative Positionen vertritt und proeuropäisch ist. Er stellt die EU und die Mitgliedschaft Rumäniens nicht infrage, setzt auch weiterhin auf die Mitgliedschaft in der NATO und würde die Ukraine weiter unterstützen.
George Simion steht dagegen für einen ganz anderen Kurs. Er will nicht, dass Rumänien die EU verlässt, würde sie aber wohl – ähnlich wie Victor Orbán in Ungarn – von innen heraus angreifen. Außerdem könnte er die Unterstützung für die Ukraine einstellen. Insofern hätte die EU ein echtes Problem, sollte Simion zum Präsidenten gewählt werden. In den vergangenen Tagen hat er seine Rhetorik auch nochmal deutlich verschärft und droht offen den Medien und der Zivilgesellschaft in Rumänien.
Wie positionieren sich die Parteien, deren Kandidat*innen im ersten Wahlgang unterlegen waren, vor der Stichwahl?
PNL und UDMR haben sich bereits für Nicușor Dan ausgesprochen. Die Sozialdemokraten haben angekündigt, sich nicht zu positionieren. Diese Haltung ist in der Partei nicht unumstritten. SPE und S&D-Fraktion haben ja bereits vor einigen Tagen dazu aufgerufen, Dan zu wählen.
Ähnlich sieht es auch der proeuropäische Flügel der rumänischen Sozialdemokraten. Im Rest der Partei gibt es offenbar die Meinung, man könne mit einem Präsidenten Simion schon irgendwie umgehen. Das könnte eine gefährliche Strategie sein.
Welche Kompetenzen hat der Präsident in Rumänien überhaupt?
Deutlich stärkere als in Deutschland. Besonders viel Einfluss hat er auf die Außenpolitik Rumäniens. Auch bei der Besetzung bestimmter Posten wie der Verfassungsrichter hat er ein Mitspracherecht. Und nach einer Parlamentswahl entscheidet er, welche Partei er mit der Regierungsbildung beauftragt. Auch hier ist sein Einfluss nicht zu unterschätzen.
Anna-Lena
Koschig
Ein entscheidender Faktor könnte die Wahlbeteiligung sein.
Nach dem ersten Wahlgang der Präsidentschaftswahl hat Rumäniens sozialdemokratischer Ministerpräsident Marcel Ciolacu seinen Rücktritt erklärt. Es dürfte also bald Neuwahlen geben.
Das muss nicht sein. Entweder findet sich eine andere Koalition oder es gibt eine Minderheitsregierung. Für eine Neuwahl des Parlaments gibt es jedenfalls keinen Automatismus – zumal die Angst vor Neuwahlen in Rumänien recht groß ist, da niemand weiß, was dann passieren würde.
Wie ist die Stimmung in Rumänien zurzeit?
In den vergangenen Jahren haben in Rumänien kaum politische Debatten in der Öffentlichkeit stattgefunden – mit den bekannten Folgen, die sich auch bei den jüngsten Wahlen gezeigt haben. Mein Eindruck ist, dass einige tiefere politische Debatten, gerade nachgeholt werden – und zwar auf allen Seiten des politischen Spektrums. Insofern sehe ich in dieser tiefen Zäsur auch Postitives, dass sich die Dinge neu sortieren und neue Allianzen entstehen können.
Spricht man in Bukarest mit den Menschen, sind viele besorgt, wie es im Land weitergeht. Nach der ersten Wahlrunde ist die rumänische Währung stark eingebrochen, sodass sich viele neben der politischen Instabilität viele um die wirtschaftliche Lage sorgen.
Was ist Ihr Tipp, wie die Präsidentschaftswahl am Sonntag ausgeht?
Das ist extrem schwer zu sagen, da die Umfragen in Rumänien wie gesagt leider nicht sonderlich zuverlässig sind. George Simion bleibt Favorit, da sein Vorsprung im ersten Wahlgang wirklich groß gewesen ist. Aber abschreiben sollten man Nicușor Dan nicht, zumal er zuletzt eine Aufholjagd starten konnte.
Auch die einzige TV-Debatte, bei der beide Kandidaten anwesend waren, hat Dan genutzt, um sich als fachkundigen und integeren Pro-Europäer und Demokraten zu präsentieren. Ein entscheidender Faktor könnte die Wahlbeteiligung sein. Je höher sie ist, desto eher profitiert Nicușor Dan.
Bleiben dagegen viele Wähler*innen frustriert zu Hause, wäre das ein Vorteil für George Simion. Insofern denke ich, dass das Ergebnis durchaus offen ist und wir einem engen Rennen entgegenblicken.
Dirk Bleicker | vorwärts
ist stellvertretender Chefredakteur des vorwärts. Er betreut den Bereich Parteileben und twittert unter @kai_doering.