International

Präsidentschaftswahl in Rumänien: „Es gibt ein riesiges Misstrauen“

Nach der Annullierung der Wahl im vergangenen Jahr wählt Rumänien am Sonntag einen neuen Präsidenten. Ob das aufgewühlte EU-Land danach zur Ruhe kommt, bezweifelt die Leiterin des Büros der Friedrich-Ebert-Stiftung in Bukarest, Anna-Lena Koschig, jedoch.

von Kai Doering · 29. April 2025
Demonstration vor dem Verfassungsgericht in Bukarest im März: Der Ausschluss von Călin Georgescu von der Präsidentschaftswahl polarisiert in Rumänien.

Demonstration vor dem Verfassungsgericht in Bukarest im März: Der Ausschluss von Călin Georgescu von der Präsidentschaftswahl polarisiert in Rumänien.

Eigentlich sollte in Rumänien bereits im vergangenen November ein*e Nachfolger*in für Präsident Klaus Johannis gewählt werden. Erst lag völlig überraschend nach dem ersten Wahlgang der weithin unbekannte Călin Georgescu vorn. Schließlich wurde die Wahl kurz vor dem zweiten Wahlgang vom rumänischen Verfassungsgericht für ungültig erklärt. „Ein staatlicher Akteur“, bei dem es sich um Russland handeln soll, habe in den Wahlprozess eingegriffen, um Georgescu zu begünstigen. Für den 5. Mai wurde nun ein neuer Wahltermin angesetzt. Georgescu darf hier nicht antreten. Die rumänische Wahlkommission hat ihn im März von der Wahl ausgeschlossen.

Nachdem die Präsidentschaftswahl im vergangenen Jahr vom Verfassungsgericht annulliert wurde, soll nun am kommenden Sonntag in Rumänien ein*e neue*r Präsident*in gewählt werden. Wie ist die Stimmung im Land?

Ein großer Teil der Bevölkerung in Rumänien ist aus meiner Sicht noch unentschieden, blickt dieser Wahl aber mit Sorge entgegen. Dabei geht es weniger um die Sorge, dass ein Kandidat oder eine Kandidatin gewinnen oder zumindest in die zweite Runde einziehen könnte, die oder der eine sehr anti-europäische Haltung einnehmen könnte. Vielmehr fürchten die Menschen nach den Erfahrungen aus dem vergangenen Jahr ein weiteres Wahldebakel. Die Durchführung sicherer und transparenter Wahlen scheint in Rumänien weiter eine große Herausforderung zu sein.

Anna-Lena
Koschig

Es wird einfach sein, die Legitimität dieser Wahl im Nachhinein in Zweifel zu ziehen.

Es wurde also nicht auf die Vorgänge um Călin Georgescu reagiert, wegen der die erste Runde der Wahl im vergangenen Jahr annulliert wurde?

Die Frage, was im vergangenen Jahr passiert ist, wurde nicht ausreichend beantwortet und steht immer noch im Raum. Die Wahl wurde laut Verfassungsgericht annulliert, weil es zu einer massiven Beeinträchtigung des Wahlprozesses gekommen war. Diese Entscheidung stützte sich auf Dokumente, die von den rumänischen Geheimdiensten freigegeben wurden und auf eine ausländische Einmischung in den Wahlprozess hinwiesen. Georgescu wurde zudem vorgeworfen, dass er die Kosten seines Wahlkampfs nicht offengelegt hatte und dass Wahlwerbung nicht als solche gekennzeichnet worden war. Es gab zwar eine Stellungnahme des Verfassungsgerichts und später hat auch dessen Präsident zu den Untersuchungen ein Interview gegeben, aber es gab weder die Vorlage von Beweisen noch einen Einblick in das Material, das verwendet wurde, sodass in großen Teilen der Bevölkerung weiter Zweifel an der Richtigkeit der Annullierung der Wahl bestehen.

Die zuständigen Behörden und die Regierung haben Versuche unternommen, das Wahldebakel aufzuarbeiten und Lehren aus den Vorgängen zu ziehen. Mit einer Dringlichkeitsverordnung wurde Anfang des Jahres versucht, einige strukturelle Mängel zu beheben. Vieles ist aber weiter ungeklärt und die Maßnahmen, die ergriffen wurden, werden voraussichtlich nicht dazu führen, dass die Wahl im Anschluss nicht durch bestimmte Gruppen wieder angezweifelt werden kann. Wir beobachten zum Beispiel schon jetzt vor der Wahl eine Überlastung des Wahlbüros, das für die Bearbeitung von Beschwerden zuständig ist. Es wird einfach sein die, Legitimität dieser Wahl im Nachhinein in Zweifel zu ziehen.

Spielen die Annullierung der Wahl und der Ausschluss von Călin Georgescu im Wahlkampf eine Rolle?

Ja, die Annullierung und Georgescu selbst spielen eine große Rolle. Seit dem Ausschluss Georgescus von der Wahl Mitte März ist es allerdings ruhiger um ihn geworden. Interessant wird sein, welcher Kandidierende die Wähler*innen Georgescus zu sich ziehen kann. Georgescu selbst hat bisher keine Wahlempfehlung abgegeben, war aber zuletzt häufiger mit dem Kandidaten der rechtsextremen AUR, George Simion, zu sehen. Die AUR hat Georgescu auch bei der annullierten Wahl unterstützt. Und Simion hat vor einigen Tagen in einem Interview mit Steve Bannon gesagt, er könne sich bei einem Wahlsieg vorstellen, Georgescu als Premierminister einzusetzen.

Welchem Kandidierenden werden die größten Chancen zugestanden, Präsident*in zu werden?

Das ist sehr schwer zu sagen, weil die Umfragen leider nicht sehr zuverlässig sind. Und wir haben ja auch aus der annullierten Wahl gelernt, dass Überraschungen möglich sind. Nach jetzigem Stand ist wahrscheinlich, dass Simion in die zweite Runde einzieht. Welchem anderen Kandidierenden das gelingen kann, ist bisher noch sehr unklar. Möglich wäre der gemeinsame Kandidat von Sozialdemokrat*innen, Liberalen und des Ungarnverbands Crin Antonescu. Er hatte sich vor einigen Jahren aus der Politik zurückgezogen und tritt als unabhängiger Kandidat an. Ebenfalls im Rennen ist der ehemalige Premierminister Victor Ponta, der auch als Unabhängiger antritt. Und dann gibt es noch den Bukarester Oberbürgermeister Nicușor Dan und die Liberale Elena Lasconi, die beim letzten Mal in der annullierten Stichwahl gegen Georgescu angetreten wäre. Die Dynamik ist aber sehr groß. In den letzten Tagen kann sich noch sehr viel verändern. Diese Woche stehen einige wichtige öffentliche TV-Debatten an.

Anna-Lena
Koschig

Die Menschen haben den Eindruck, dass die wirklich wichtigen Themen derzeit auf der Strecke bleiben.

Călin Georgescu war vor allem wegen seiner Videos auf TikTok sehr erfolgreich. Findet der Wahlkampf auch diesmal vor allem im Internet statt?

Der Wahlkampf hat sich noch stärker ins Digitale verschoben. Alle Parteien haben ihre Hausaufgaben gemacht und sind diesmal stärker online vertreten. Das bedeutet aber nicht, dass der klassische Straßenwahlkampf weniger stattfindet.

Nach der Annullierung der Wahl und dem Ausschluss Georgescus von der neu angesetzten Wahl gab es Proteste in Bukarest. Wie groß ist der Vertrauensverlust in das politische System in Rumänien?

Ich habe ja schon in einem Interview kurz nach der Wahl im vergangenen Jahr gesagt: Wo kein Brennholz, da kein Feuer. Der Sieg Georgescus, so überraschend er kam, war nicht die Ursache, sondern ein Symptom dessen, was sich schon seit längerem in Rumänien aufgebaut hat. Es gibt ein riesiges Misstrauen in die etablierten Parteien, in öffentliche Institutionen und die Politik allgemein, das sich in den letzten Monaten nun noch gesteigert hat. Und diese Unzufriedenheit wird bislang weder von den politischen Akteuren noch von öffentlichen Institutionen adäquat adressiert. Statt sich der Ursachen dieses Misstrauens anzunehmen, arbeitet man sich höchstens an den Symptomen ab. Dabei wäre es überfällig, die Ursachen anzugehen.

Gibt es unter den Präsidentschaftskandidat*innen jemanden, dem das gelingen könnte?

Das ist bisher nicht mein Eindruck. Alle Kandidierenden stehen entweder für das etablierte politische System oder für das Ziel, es komplett einzureißen. So richtig positive, optimistische Aussichten sehe ich da leider gerade nicht. Hinzu kommt, dass als Reaktion auf den Erfolg Georgescus im November alle Parteien und Kandidierenden ihren Diskurs nach rechts verschoben haben, weil sie meinen, damit erfolgreich sein zu können.

Ihre Aussichten für die Zeit nach der Wahl sind also eher negativ?

Zur schwierigen politischen Situation kommt die wirtschaftliche Lage mit einer hohen Inflation und einem riesigen Staatsdefizit hinzu, auf das Rumänien zusteuert. Die Menschen haben den Eindruck, dass die wirklich wichtigen Themen derzeit auf der Strecke bleiben. Viele sind daher auch einfach froh, wenn die Wahlen vorbei sind und man sich wieder auf anderes konzentrieren kann. Die Baustellen, die vor der Regierung und dem künftigen Präsidenten liegen, werden groß sein. Umso wichtiger ist es, dass einer der proeuropäischen Kandidierenden das Rennen macht.

Was kann, was sollte die Europäische Union tun?

Bestimmte Herausforderungen betreffen alle Länder der EU, zum Beispiel der Umgang mit Online-Plattformen im Wahlkampf. Hier eine europäische Regelung oder zumindest einen gemeinsamen Umgang zu finden, wäre für alle Länder ein Fortschritt. Darüber hinaus halte ich es für entscheidend, mit den progressiven Stimmen und den demokratischen Akteuren im Land in Kontakt zu bleiben. Dabei sollte man auch den demokratischen Entwicklungen und den Schritten, die Rumänien in den letzten Jahren durchaus gemacht hat, gerecht werden.

Autor*in
Kai Doering
Kai Doering

ist stellvertretender Chefredakteur des vorwärts. Er betreut den Bereich Parteileben und twittert unter @kai_doering.

Weitere interessante Rubriken entdecken

Gespeichert von Armin Christ (nicht überprüft) am Di., 29.04.2025 - 10:05

Permalink

"Statt sich der Ursachen dieses Misstrauens anzunehmen, arbeitet man sich höchstens an den Symptomen ab"
Das sind ja Zustände wie sie hier auch zu beobachten sind.

Schreibe einen Kommentar

Klartext

  • Keine HTML-Tags erlaubt.
  • Zeilenumbrüche und Absätze werden automatisch erzeugt.
  • Website- und E-Mail-Adressen werden automatisch in Links umgewandelt.