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Warum junge Menschen in Südosteuropa die EU als Chance sehen

Skepsis gegenüber den nationalen Regierungen, Begeisterung für die EU – zu diesem Ergebnis kommt eine Südosteuropa-Jugendstudie der Friedrich-Ebert-Stiftung. Vorwärts hat unabhängig von der Studie mit jungen Menschen im Kosovo, Serbien und Nordmazedonien über ihre Haltung zu Europa gesprochen.
von Marie Jelenka Kirchner · 26. April 2019
Viele junge Menschen in Südosteuropa haben wenig Vertrauen in ihre nationalen Regierungen. Ihre Hoffnungen ruhen auf der Europäischen Union.
Viele junge Menschen in Südosteuropa haben wenig Vertrauen in ihre nationalen Regierungen. Ihre Hoffnungen ruhen auf der Europäischen Union.

 „Alles in meinem Land ist ein großes Chaos“, beschreibt die 23-Jährige Elza K. aus Prishtina, der Hauptstadt des Kosovos. „Mein größter politischer Wunsch ist, dass unsere Parteien dieses Chaos endlich organisiert bekommen.“ Zuversichtlich ist sie nicht. Zu diesem Ergebnis kam kürzlich auch die Friedrich-Ebert-Stiftung (FES). Mehr als 10.000 junge Erwachsene in Südosteuropa wurden für eine Jugendstudie der FES zu ihren Einstellungen, Werten und Lebensrealitäten befragt. Dabei kommen die nationalen Regierungen nicht besonders gut weg.

Junge Menschen gehen auf die Straße

Die FES-Jugendstudie zeigt, dass junge Menschen in Südosteuropa der politischen Realität in ihren Ländern überdrüssig geworden sind. Bei der Einschätzung der Demokratie im eigenen Land überwiegt in der ganzen Region die Unzufriedenheit. Vergleichbar schlecht schneidet in der Bewertung die allgemeine sozio-ökonomische Lage ab. Diese Unzufriedenheit sorgte in vielen Ländern der Region für Proteste, zuletzt in Serbien. 

Die 28-Jährige Gordana N. aus Novi Sad ist mit ihrem eigenen Leben in Serbien zufrieden. Dass sie einen gut bezahlten Job hat, traut sie sich aber vor Gleichaltrigen nicht immer zu sagen. Zu groß sei dort – verständlicherweise – der Neid. Sozialdemokratie, so Gordana, habe in ihrem Land keine Chance. Sozialer müsse das System aber auf jeden Fall werden. „Die Säulen der Gesellschaft sind Ärzte und Menschen, die uns pflegen; Lehrer, die uns unterrichten und Polizisten, die uns beschützen: Wenn diese Säulen stabil sind, dann funktioniert ein Land. Aber in Serbien funktioniert davon nichts.“

Enthusiasmus für Europa

Gordana N. ist mit ihrer politischen Orientierung nicht allein, im Ländervergleich sind junge Menschen aus Serbien und Slowenien am weitesten links orientiert. Basierend auf den Ergebnissen kommen die Verfasser*innen der Studie zu dem Schluss, dass die jungen Menschen in Südosteuropa in den gegenwärtigen Trend des Millenial Socialism passen. Vor allem junge Menschen mit geringerem sozioökonomischem Status befürworten hier mehrheitlich einen starken Sozialstaat. Überhaupt weisen nur in Bulgarien junge Menschen stärkere nationalistische, nach rechts tendierende Trends auf. Patriotisch zeigen sich vor allem Albaner und Bulgaren, größer ist jedoch in der gesamten Region der Enthusiasmus für Europa.

Der 24-Jährige Mende aus Skopje ist zwiegespalten. Wie viele seiner Altersgenossen findet er die grundsätzliche Idee der EU vielversprechend und gut. Er kritisiert aber ein Fehlen an Gleichberechtigung bei der Europäischen Integration. Schwer getroffen hat ihn die Namensänderung seines Heimatlandes von Mazedonien zu Nordmazedonien. „Ich verstehe nicht, warum es für mich gut sein soll in einer Union mit Ländern zu sein, die Vorbehalte gegenüber meinem Land und meiner Kultur haben – das ist nicht solidarisch und das entspricht nicht den europäischen Werten. Wirtschaft und Geld dürfen nicht wichtiger sein als die eigene Kultur.“  

Großer Wunsch nach freien Reisen

Trotz angebrachter Kritik ist eine europäische (Teil-)Identität in der Region weit verbreitet, nicht zuletzt weil die EU im Vergleich mit nationalen Regierungen deutlich besser abschneidet und ein größeres Vertrauen genießt. Elza ist sich sicher, dass eine enge Bindung an die EU  für sie mehr Chancen auf ein erfülltes und besseres Leben bedeuten würde. Zur EU zieht es auch den 26-Jährigen Dritero K. aus Peja im Norden Kosovos, der in lokalen Projekten engagiert ist. „Ein Beitritt in die EU würde viel für mich bedeuten: Bildungschancen, die Teilnahme an internationalen Projekten und freies Reisen.“

Wie viele junge Menschen wünschen Elza und Dritero sich den Bewegungs- und Entfaltungsfreiraum, den sie ohne engen Anschluss an Westeuropa und Integration auf Augenhöhe für sich nicht sehen. Die Jugendstudie kommt zum klaren Ergebnis: Junge Menschen teilen die Wahrnehmung, dass die eigenen Regierungen und politische Kultur der individuellen Lebensqualität im Weg stehen. Kann die EU hier die Antwort sein?

Die 22-Jährige Vlora R. aus Skopje erklärt: „Eine Mitgliedschaft in der EU würde für uns ein wirtschaftlich stabileres Leben bedeuten und das würde ermöglichen, dass wir endlich an der politischen Kultur in Nord-Mazedonien arbeiten könnten.“ Für sie persönlich hieße das, so Vlora, dass sie eine Chance hätte, in ihrem Heimatland zu bleiben und den nötigen Wandel mitzugestalten. In der gegenwärtigen Situation zieht jedoch auch sie das Studium im Ausland vor.

Autor*in
Marie Jelenka Kirchner

Marie Jelenka Kirchner studiert in Krakau Zentral- und Osteuropastudien und arbeitet als Research Assistant für das „Institut für Demokratie“ in Skopje. Sie ist freiberufliche Europa-Referentin und hat kützlich das „European Thinkers Lab“ gegründet.

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