Portugal: Wie der Aufstieg des Rechtspopulismus zu erklären ist
Noch vor wenigen Jahren galt Portugal als immun gegen Rechtspopulismus. Doch bei der jüngsten Parlamentswahl holte die rechtsnationale Chega mehr als 20 Prozent der Stimmen. Was die Gründe sind und was sie von der AfD unterscheidet, erklärt Fabian Schmiedel, Büroleiter der Friedrich-Ebert-Stiftung in Lissabon.
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Andre Ventura und seine rechtspopulistische Partei Chega waren die großen Gewinner der Parlamentswahl in Portugal.
Im Januar 2022 hat die Sozialistische Partei (PS) bei der Parlamentswahl die absolute Mehrheit geholt, die rechtspopulistische Chega spielte politisch keine Rolle. Nach der jüngsten Wahl liegen beide Parteien fast gleichauf. Wie ist das zu erklären?
Chega hat sich vor sechs Jahren als elitenkritische Partei gegründet. Ihr Vorsitzender André Ventura war vorher Mitglied der konservativen PSD. Diese war ihm zu wenig national, stand zu wenig rechts, zu stark in der Mitte. Es gab immer wieder Auseinandersetzungen mit der Parteispitze, auch weil Ventura im Kommunalwahlkampf abfällig über Sinti und Roma gesprochen hat.
Migrationskritisch, aber gemäßigt
2019 gründete er Chega. Die Partei hatte anfangs keinen besonders lautstarken migrationskritischen Kurs. Mittlerweile ist Chega zwar migrationskritisch, aber deutlich gemäßigter als andere rechte Parteien in Europa. Im Wesentlichen geht es ihnen um einen elitenkritischen Populismus. Sie wollen ein Bild der „Politiker da oben“ verkaufen, die unser Steuergeld verprassen und den Laden nicht am Laufen halten. In den vergangenen Jahren sind leider immer wieder Politiker wegen Vorteilsannahme in die Schlagzeilen geraten. Das hat Chega in die Karten gespielt.
Fabian
Schmiedel
Die Menschen können sich Lissabon nicht mehr leisten.
Sie profitieren also von einer Unzufriedenheit mit dem politischen Establishment?
Ja, ganz genau. Zwar hat sich Portugal seit dem Amtsantritt von António Costa 2015 wirtschaftlich enorm entwickelt, aber der Druck im Alltag der Menschen steigt merklich an. Viele Portugiesen im Großraum Lissabon haben keinen Hausarzt, ungefähr die Hälfte. Die Menschen können sich Lissabon nicht mehr leisten. Der Espresso, der einmal 60 Cent gekostet hat, den gibt es jetzt in Hipster-Coffee-Roaster-Bars für 3,80 Euro. Die Menschen müssen nach draußen ziehen. Die Infrastruktur in den Vorstädten kommt dem enormen Wachstum nicht mit.
Stimmung gegenüber Migranten ändert sich
Deshalb entwickelt sich so eine Unzufriedenheit bei den Menschen, die wir auch vor zwei Jahren mit einer Studie der Friedrich-Ebert-Stiftung zum Thema Pluralismus und Populismus festgestellt haben. Demnach halten sieben von zehn Portugiesen Politiker grundsätzlich für unehrlich. Zugleich möchten die Portugiesen beispielsweise auf dem Immobilienmarkt vor Ausländern bevorzugt werden. Das ist bemerkenswert für ein Volk, das ansonsten sehr offen, pluralistisch und progressiv denkt. Doch diese Haltung begann in den vergangenen Jahren zu kippen. Schon 2022 hat António Costa zwar die absolute Mehrheit geholt, die politische Linke insgesamt aber an Stimmen verloren.
Hat Costa der PS im Nachhinein mit seinem Rücktritt geschadet? Denn ohne die vorzeitigen Neuwahlen könnte sie immer noch mit absoluter Mehrheit regieren.
Wenn man von der Wahl 2022 ausginge, dann liefe die Legislaturperiode jetzt noch und die PS hätte die absolute Mehrheit. Ja, das stimmt. António Costa hat aber etwas sehr Vernünftiges getan, was Luis Montenegro jetzt nicht gemacht hat. Er ist zurückgetreten, nachdem gegen Personen aus seinem Umfeld ermittelt wurde. Bei Montenegro stellt sich die Frage, ob die Firma, die von ihm gegründet wurde, die später seine Frau und seine Söhne geführt haben, von Regierungsgeschäften profitiert hat und von der Regierung in der Auftragsvergabe bevorzugt worden ist. Montenegro ist direkt betroffen, Costa war es nicht. Und trotzdem trat Costa zurück. Ich halte ihn daher für einen echten Staatsmann.
Zurück zu Chega: Portugal galt lange Zeit als immun gegen Rechtspopulismus. War das ein Irrglaube oder hat sich innerhalb der portugiesischen Gesellschaft in den vergangenen Jahren etwas geändert?
Die überwältigende Mehrheit der Menschen in Portugal ist für gleiche Rechte von homosexuellen Paaren; dafür dass Menschen, die in Portugal geboren werden, auch die portugiesische Staatsbürgerschaft bekommen; dagegen dass Sozialleistungen an die Herkunft geknüpft werden. Das alles sind keine rechtspopulistischen Positionen. Die Menschen wählen eher Chega, weil sie unzufrieden damit sind, wie der Staat funktioniert, weil sie unzufrieden mit den politischen Eliten sind, weil Themen wie Gesundheit, Bildung und Wohnen aus ihrer Sicht nicht ausreichend adressiert werden.
Allerdings ändert sich gerade in Portugal auch die Einstellung gegenüber Migration. Zuvor waren Migranten überwiegend katholisch oder sprachen portugiesisch, weil sie aus den ehemaligen Kolonien kamen. Spätestens mit dem Brexit kommen nun auch Menschen aus dem asiatischen Raum: Nepal, Bangladesch, Indien oder Pakistan. Es kommen Leute, die anders aussehen. Die tragen vielleicht einen Turban, haben einen langen Bart. In den vergangenen Monaten hat Chega damit begonnen, gegen solche Menschen Stimmung zu machen.
Könnte man Chega als gemäßigter als andere rechte Parteien wie die AfD bezeichnen?
Im offiziellen Diskurs würde ich Chega als rechtsnationale Partei bezeichnen, die am rechten Rand steht, aber nicht die demokratischen Grundpfeiler des Staates angreifen will. Doch auch die AfD begann nicht als rechtsextreme Partei, sondern als rechtsnationale Partei und hat sich im Laufe der Zeit radikalisiert. Das ist die Sorge, die ich auch bei Chega habe.
Früher kommunistisch, heute rechtspopulistisch
In welchen Regionen war Chega besonders erfolgreich?
Portugal ist jetzt ein geteiltes Land. Während im Norden überwiegend konservativ gewählt wurde, hat Chega südlich von Lissabon sehr stark zugelegt und fast alle – mit einer Ausnahme – Wahldistrikte geholt. Chega ist insbesondere dort erfolgreich, wo früher linke Parteien stark waren. Das ist in der Region Alentejo , wo die Kommunistische Partei früher sehr stark war. Das ist leider auch an der Algarve, wo die Sozialisten sehr stark waren. Die Vorstädte von Lissabon haben früher kommunistisch gewählt und sich als Bollwerk gegen den Faschismus begriffen. Später war dort der Linksblock sehr stark. Jetzt ist es Chega. Auch weil die Menschen sie eher als Protestpartei wahrnehmen.
Wie geht es jetzt weiter in Portugal, nachdem der konservative Ministerpräsident Montenegro angekündigt hat, keine Koalition mit Chega eingehen zu wollen. Ist das glaubhaft? Und wenn ja, welche Alternativen gibt es?
Die PS muss sich fragen: Wollen wir weiterhin der Korken auf der Flasche sein, die Konservativen stützen und den Geist des Rechtspopulismus nicht aus der Flasche rauslassen? Oder wollen wir, so wie es auch der zurückgetretene Parteichef Pedro Nuno Santos verfolgt hat, das Bündnis nach links als Ziel ausrufen? Letzteres hat bei den Wahlen nicht geklappt. Die Linke ist von einer Mehrheit sehr weit weg. Deshalb gewinnen die Stimmen in der PS, die die Annäherung an die Konservativen für die richtige Option halten, an Einfluss.
Montenegro hat zwar eine Koalition mit Chega ausgeschlossen. Doch sein Außenminister hat noch in der Wahlnacht relativiert, dass es auch andere Formen der Zusammenarbeit gebe. Deshalb kann man erwarten, dass Chega und die Konservativen zumindest Gespräche führen. Ich halte es für glaubwürdig, dass Montenegro die Brandmauer aufrechterhält. Ich glaube auch, dass er jetzt nach den Wahlen stabil im Sattel sitzt. Seine internen Kritiker hat er mit dem besseren Wahlergebnis ruhig gestellt.
Rechte Mehrheit für Verfassungsreform
Was mir Sorgen macht, ist eine mögliche Verfassungsreform. Die linken Parteien haben zusammen keine Sperrminorität mehr. Die Parteien rechts der Mitte, inklusive Chega, haben die notwendige Zwei-Drittel-Mehrheit, um die Verfassung in Portugal zu reformieren. Chega möchte zum Beispiel die Position des Staatspräsidenten stärken, der stärkere Befugnisse bekommen soll, beispielsweise wenn es um die Ernennung des Generalstaatsanwaltes und der Richter am Verfassungsgericht geht.
Fabian
Schmiedel
Die PS kann Aufholjagd.
Wird die nächste Regierung diesmal die vollen vier Jahre halten?
Bereits im Herbst stehen Kommunalwahlen an und im Januar die Neuwahl des Staatspräsidenten. Laut der Verfassung darf der Staatspräsident in den letzten sechs Monaten seiner Amtszeit das Parlament nicht mehr auflösen. Selbst dann nicht, wenn es keinen neuen Haushalt geben sollte. Also müssen sich die Parteien im Herbst zusammenraufen, wenn es um die Verabschiedung des Haushaltes geht.
Chega wird versuchen zu provozieren und die PS wird sich entscheiden müssen, ob sie einen Staatshaushalt einer konservativen Minderheitsregierung der Stabilität halber unterstützt. Ich kann mir vorstellen, dass man sich in der Opposition stärken und als Stabilitätsanker verkaufen will. Denn nach drei Wahlen in drei Jahren würden die Portugiesen es wahrscheinlich bevorzugen, dass die beiden großen Parteien zumindest punktuell zusammenarbeiten, als dass es zu Neuwahlen oder gar eine Beteiligung der Rechtspopulisten kommt.
Die PS dürfte auch wenig Interesse daran haben, bei Neuwahlen noch mehr Stimmen zu verlieren.
Ja, aber ich würde die PS noch lange nicht abschreiben. Die PS kann Aufholjagd. Das hat sie in der Vergangenheit immer wieder gezeigt. Die PS war die Partei, die Portugal in die Demokratie und später auch in die Europäische Union und auch in die Modernisierung geführt hat. Das haben die Leute nicht vergessen. Die Grundstruktur der PS im ganzen Land ist sehr solide und sehr stabil in den Dörfern, in den kleinen Städten, in den Verbänden, in den Vereinen, in den Gewerkschaften. Daher ist die PS in der Lage, landesweit wieder gute Ergebnisse zu erzielen.
ist Redakteur des „vorwärts“. Er hat Politikwissenschaft studiert und twittert gelegentlich unter @JonasJjo
Übrall das Gleiche ...
... Migration, Migration ... Solange die gefühlt wahllos Migration aus allen Teilen der Welt anhält, werden die Rechten stärker. Die tatsächliche Aufnahmekapazitäten und Integrationskraft spielen dabei kaum noch eine Rolle. Es geht immer darum die Wahlen zu gewinnen und nicht darum "Recht zu haben".