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Rechtsruck nach Parlamentswahl in Portugal: Stürzt nun die Brandmauer?

Nach dem Erfolg der Rechten bei der Parlamentswahl steht Portugal vor einer Zerreißprobe. Werden die Konservativen gemeinsame Sache mit Rechtsaußen machen? Oder wagt die Sozialistische Partei (PS) einen historischen Schritt?

von Fabian Schmiedel · 20. Mai 2025
Der Spitzenkandidat der portugiesischen sozialistischen Partei Pedro Nuno Santos steht mit traurigem Gesichtsausdruck auf einer Bühne vor zwei Mikrofonen.

Der Spitzenkandidat der portugiesischen sozialistischen Partei Pedro Nuno Santos kündigt nach der Wahlniederlage seinen Rücktritt an.

Keine Umfrage hatte dieses Ergebnis in Portugal kommen sehen: Trotz Korruptionsvorwürfen gewinnt der konservative Premierminister Luís Montenegro die vorgezogenen Wahlen. Eine Compliance-Affäre hatte Montenegro vom Listenbündnis Demokratische Allianz (AD) im Februar zu Fall gebracht und den Portugiesen Neuwahlen beschert. Zum dritten Mal in nur drei Jahren. 

Portugal: Die Rechten als großer Gewinner

Der Grund: Als Anwalt und vor seiner Zeit als Regierungschef hatte Montenegro eine Beratungsfirma namens „Spinumviva“ gegründet. Als er Parteichef und Premierminister wurde, trat er die Firma an seine Frau und seine Söhne ab. Das fiel ihm im Februar in doppelter Hinsicht auf die Füße: Erstens wurde bekannt, dass ein paar der Firmen, für die er als Anwalt im Namen von „Spinumviva“ beratend tätig war, Regierungsaufträge erhalten. Und zweitens lebt er mit seiner Ehefrau in einer Zugewinngemeinschaft, womit er indirekt noch an der Firmentätigkeit mitverdient hatte.

Trotzdem steht nach der Wahl am vergangenen Sonntag fest: Der alte Premierminister wird auch der neue Premierminister sein, denn Montenegros AD hat die Wahlen unbeschadet überstanden. Seine Partei kommt auf knapp 33 Prozent, während die Sozialistische Partei (PS) auf 23,3 Prozent fällt. Nach Beendigung der Auszählung der vier Auslandswahlkreise ist zu erwarten, dass die rechtspopulistische Chega-Partei, die derzeit bei 22,6 Prozent steht, die PS noch überholen und den zweiten Platz einnehmen wird. Circa 1,6 Millionen im Ausland lebende Portugies*innen konnten sich an der Wahl beteiligen. Die komplette Auszählung der Stimmen wird bis zum 28. Mai erwartet.

Dritte Wahl in drei Jahren – ein fatales Signal

Hatte Chega bei der Parteigründung vor sechs Jahren nur einen Abgeordneten im Parlament, nämlich den Parteichef André Ventura selbst, könnten die Rechtspopulist*innen nun insgesamt 60 Sitze im Parlament gewinnen. Die Kommunistische Partei und der Linksblock gehören ebenfalls zu den Verlierern dieser Wahl. Während die linken Parteien insgesamt deutlich verlieren, haben die Affären dem konservativen Listenbündnis AD nicht einmal ein bisschen geschadet. Scheren sich die portugiesischen Wähler*innen also nicht um die Korruptionsvorwürfe, die ihrem Premierminister vorgehalten werden?

Bei einer Umfrage des Büros der Friedrich-Ebert-Stiftung in Portugal hatte sich bereits vor einem Jahr herausgestellt, dass sieben von zehn Portugies*innen ihre Politiker*innen per se für unehrlich halten. Nach den dritten Wahlen in nur drei Jahren ziehen sie es scheinbar vor, dass der Laden läuft und die Regierung stabil bleibt, egal ob der Premierminister krumme Geschäfte macht oder nicht. Ein fatales Signal für die demokratische Mitte. Der linken Opposition, die von der PS angeführt wurde, ist es trotz Korruptionsvorwürfen gegen Montenegro im Wahlkampf nicht gelungen, den Premierminister vor sich herzutreiben. Die Debatte um Montenegros Compliance-Affäre flachte schnell wieder ab. Danach plätscherte der Wahlkampf nur so vor sich hin. Umfragen zeigten Entfremdung und Desinteresse, die Wahlkampfkundgebungen waren eher spärlich besucht. Die große TV-Wahlarena mit allen Parteien hatte 100.000 Zuschauer*innen weniger als noch im vergangenen Jahr.

Wahlkampf am Strand und auf dem Motorbike

Die Wahlkampfmanager*innen mussten deshalb diesmal noch kreativer werden. Sie versuchten, die Kandidat*innen von ihrer persönlichen Seite zu zeigen: Der Spitzenkandidat der Sozialisten Pedro Nuno Santos fuhr cool mit dem Motorbike durch die Straßen, der konservative Luís Montenegro bestellte die Presse ans Meer, wo er ein Bad im kalten Atlantik nahm, der Gründer des Linksblocks postete ein Selfie von seinem Fallschirmsprung. All das war neu. Die Wahlprogramme und Themen hingegen nicht.

Wenngleich Migration und Sicherheit im Wahlkampf eine größere Rolle spielten als bei den Wahlen zuvor, waren diese Themen nicht ausschlaggebend. Dass dies nicht die primären Sorgen der Portugies*innen sind, musste selbst Rechtspopulist und Chega-Chef André Ventura in einer seiner Wahlkampfreden zugeben. Chega zielt auf die allgemeine Unzufriedenheit mit dem politischen Führungspersonal ab, und das, obwohl deren Abgeordnete selbst wegen Ermittlungen durch die Staatsanwaltschaft in die Schlagzeilen gerieten. So wurde ein Chega-Abgeordneter beim systematischen Kofferklau am Lissabonner Flughafen erwischt; ein anderer trat wegen Prostitution von Minderjährigen zurück.

Rechte gewinnen vor allem in Portugals Vorstädten

Die primären Sorgen der Portugies*innen sind also weder Migration noch Sicherheit, sondern viel grundlegender: Wie können wir unsere Mieten bezahlen? Wann bekomme ich endlich einen Arzttermin? Fährt mein Bus pünktlich oder fährt er überhaupt? Wie sicher ist mein Arbeitsplatz? Das sieht man insbesondere daran, dass Chega in den rasant wachsenden Vorstädten Lissabons und Portos zulegen konnte, wo sich genau diese Fragen aufdrängen. Nur die Hälfte der Menschen im Großraum Lissabon hat einen Hausarzt oder eine Hausärztin. Die beiden großen Volksparteien haben all die Probleme wie auch in den Jahren zuvor bestens beschrieben, doch an neuen, innovativen Lösungen fehlte es weiterhin.

Für eine Parlamentsmehrheit reicht es für das konservative Listenbündnis nicht. Montenegro braucht daher einen Partner zum Regieren. Immer wenn Journalist*innen ihn vor der Wahl gefragt hatten, ob er nicht doch mit den Rechtspopulist*innen gemeinsame Sache machen würde, brummte Montenegro ein glaubwürdiges „Não é não“ – „Nein heißt Nein“ – in deren Mikrofone. Doch bereits in der Wahlnacht relativierte der Parteivize und geschäftsführende Außenminister Paulo Rangel: „Das Nein bezog sich nur auf formale Koalitionen.“ Nun spekuliert ganz Portugal: Ist also eine Duldung einer konservativen Minderheitsregierung durch die rechtspopulistische Chega doch denkbar? Die konservative Brandmauer nach Rechtsaußen könnte damit deutliche Risse bekommen.

Keine Koalition, aber eine Duldung?

In der PS wird es deshalb eine dynamische Debatte darüber geben, ob man nicht doch eine konservative Minderheitsregierung stützen sollte, um die Rechtspopulist*innen an einer Regierungsbeteiligung zu hindern. Der Plan jedenfalls, Mehrheiten links der Mitte zu suchen und Chega damit in Schach zu halten, ging diesmal nicht auf. PS-Generalsekretär Pedro Nuno Santos, der sich für ein Linksbündnis einsetzte, hält es weiterhin für falsch, eine konservative Minderheitsregierung zu stützen. „Mir steht die Rolle nicht zu, eine Stütze für diese Regierung zu sein, und ich glaube, dass sie auch der PS nicht zustehen sollte“, sagte er am Wahlabend vor seinen Anhänger*innen. Doch er mochte in dieser notwendigen Debatte über die Rolle der PS kein „Hindernis“ sein und verkündete deshalb noch in der Wahlnacht seinen Rücktritt.

Der ehemalige Innenminister und Costa-Vertraute José Luís Carneiro hat seine Kandidatur bereits angekündigt und wirbt für eine Annäherung der beiden großen Volksparteien, um eine stabile Regierung zu garantieren und ein weiteres Wachsen der Rechtspopulist*innen zu verhindern. Denn die Portugies*innen sind zunehmend ungeduldig mit ihren Politiker*innen. Seit der Nelkenrevolution 1974 gab es 24 Regierungen, von denen nur sechs gehalten haben.

PS hofft auf mehr Erfolg bei Kommunalwahlen 

Für eine gute Grundlage zum stabilen Regieren hatte die Vorgängerregierung unter António Costa gesorgt und den Konservativen traumhafte Bedingungen beschert. Die Staatsverschuldung liegt derzeit unter dem Niveau Frankreichs und Spaniens. In den letzten zehn Jahren wuchs Portugals Wirtschaft um durchschnittlich zwei Prozent. Der Mindestlohn liegt jetzt bei 870 Euro und hat sich damit fast verdoppelt. Und noch nie waren so viele Menschen in Arbeit wie heute.

Im Herbst stehen landesweite Kommunalwahlen an, bei denen die PS ihren ersten Platz verteidigen will. Und im Januar 2026 wählen die Portugies*innen einen neuen Staatspräsidenten. Mit dem Blick in die Geschichte kann sich die PS noch Hoffnungen machen. Im Jahr 1985 hatte sie mit 20,8 Prozent ihr schlechtestes Ergebnis bei einer Parlamentswahl geholt und nur wenige Monate darauf, im Januar 1986, gewann Mário Soares die Präsidentschaftswahlen in einer fulminanten Aufholjagd mit 51 Prozent der Stimmen. Die PS darf sich nun allerdings nicht allzu lange mit sich selbst beschäftigen, sondern muss die Reihen zügig wieder schließen. Nur so kann sie optimistisch auf die nächsten beiden Wahlen schauen.

Dieser Text ist zuerst im IPG-Journal erschienen.

Autor*in
Fabian Schmiedel

ist Projektkoordinator im Büro der Friedrich-Ebert-Stiftung in Lissabon.

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