Europaparlament: „Die Abgeordneten der SPD werden geschlossen gegen von der Leyen stimmen“
European Union 2018 - Source : EP
Die Staats- und Regierungschefs wollen Ursula von der Leyen zur neuen Präsidentin der EU-Kommission machen. Wie bewerten Sie den Vorschlag?
In den Personalfragen, in denen das Europäische Parlament mitzubestimmen hat, ist der Vorschlag des Europäischen Rates nicht tragbar – auch über die Frage des Kommissionspräsidenten hinaus. Da sind sich alle 16 SPD-Abgeordneten einig.
Wie begründen Sie Ihre Ablehnung?
Dafür gibt es politische wie institutionelle Gründe. Institutionell halte ich es für eine Unverschämtheit, dass sich der Rat anmaßt, die Position des Parlamentspräsidenten zum Gegenstand seiner Verhandlungen zu machen. Wen das Parlament zu seinem Präsidenten macht, geht die Staats- und Regierungschefs nichts an. Den Vorschlag, Ursula von der Leyen zur Kommissionspräsidentin zu machen, lehne ich zum einen politisch ab, denn sie verfügt über keinerlei europäisches Profil. Ich halte sie sogar für schwächer als José Manuel Barroso, denn der war immerhin vorher portugiesischer Ministerpräsident. Auch institutionell halte ich den Vorschlag für sehr schwierig, da sie nicht als Spitzenkandidatin bei der Europawahl angetreten ist.
Was bedeutet das für von der Leyens Kandidatur?
Das Parlament hat jetzt die Aufgabe, den Vorschlag zu bewerten. Die Abgeordneten der SPD werden geschlossen gegen sie stimmen. Dass Ursula von der Leyen die notwendige Anzahl von Stimmen im Parlament bekommt, sehe ich im Moment nicht.
Wo sehen Sie Widerstand?
Die Linken werden gegen sie stimmen, die Grünen auch. Die Liberalen sind für sie, große Teile der Christdemokraten ebenfalls. Aus der konservativen EKR-Fraktion könnte sie Stimmen bekommen. Von ganz Rechts wird sie dagegen keine Stimmen bekommen.
Wie wird sich die S&D-Fraktion positionieren?
Darüber diskutieren wir kommende Woche in der Fraktionssitzung. Nicht nur von den deutschen Abgeordneten gibt es starken Widerstand gegen Ursula von der Leyen.
Wie fatal wäre es aus Ihrer Sicht, wenn tatsächlich keiner der Spitzenkandidaten Kommissionspräsident wird?
Das wäre eine absolute Katastrophe. Im Wahlkampf haben wir den Bürgerinnen und Bürgern das Versprechen gegeben, dass sie bei der Europawahl über die Führung der Kommission abstimmen. Der Vorschlag, der jetzt auf dem Tisch liegt, ist ein Rückfall ins späte 20. Jahrhundert, wo die Staats- und Regierungschefs unter sich ausgekungelt haben, wer in Brüssel das Sagen hat. Das dürfen wir nicht zulassen.
Am Mittwoch hat das Parlament David-Maria Sassoli zum neuen Präsidenten gewählt – und ist damit dem Vorschlag des Rates gefolgt. Sehen Sie da eine Vorfestlegung, dass es auch dem Rest des Pakets zustimmen könnte?
Nein. Ich denke, wir müssen jede Personalentscheidung getrennt voneinander betrachten. Wir haben David Sassoli nicht zum Parlamentspräsidenten gewählt, weil es der Rat so wollte, sondern weil er ein profilierter Europäer und Sozialdemokrat ist, der dem Europäischen Parlament die Würde zurückgeben kann, die sein Vorgänger Antonio Tajani verspielt hat.
Dem Europaparlament wird vorgeworfen, es hätte sich nicht rechtzeitig zur Besetzung des Kommissionspräsidenten positioniert. Teilen Sie die Kritik?
Das ist völliger Unsinn! Das Europaparlament ist am Dienstag zum ersten Mal nach der Europawahl zusammengekommen. Die Fraktionen müssen sich erst kennenlernen und strukturieren. Viele Abgeordnete sitzen noch auf Umzugskartons. Der Rat hat diese Situation geschickt genutzt und uns politisch überrollt.
Welche Folgen hätte es, wenn Ursula von der Leyen im Parlament durchfällt?
Dann ist der Vorschlag des Rates abgelehnt und er muss einen neuen machen. So zerstritten wie der Rat im Moment ist, kann es mit einem neuen Vorschlag dann aber möglicherweise dauern.
Droht der EU damit Stillstand?
Nein. Das Parlament ist arbeitsfähig und der Rat kann die Positionen, für die er zuständig ist – den EZB-Chef und den Präsidenten des Rates – ja auch wählen. Ich mache mir da keine Sorgen.
Dirk Bleicker | vorwärts
ist stellvertretender Chefredakteur des vorwärts. Er betreut den Bereich Parteileben und twittert unter @kai_doering.