Sabrina Repp: Was die jüngste deutsche Europaabgeordnete erreichen will
Am Dienstag konstituiert sich das neue Europaparlament in Straßburg. Mit dabei ist auch Sabrina Repp. Die 25-jährige Sozialdemokratin aus Mecklenburg-Vorpommern ist die jüngste deutsche Abgeordnete. Was treibt sie an?
Jonas Jordan/vorwärts
Sabrina Repp im Plenarsaal des Europaparlaments in Brüssel.
Sabrina Repp ist aufgeregt. An diesem Tag empfängt die jüngste deutsche Abgeordnete ihre erste Besuchergruppe im Europaparlament. Eine Gruppe Studierender von der Fachhochschule in Güstrow aus ihrer Heimat Mecklenburg-Vorpommern hat sich angekündigt. Die meisten von ihnen sind 21, nur vier Jahre jünger als Repp selbst, und das erste Mal in Brüssel. Sabrina Repp war im April schon mal zwei Tage auf Einladung ihres künftigen SPD-Parlamentskollegen Matthias Ecke aus Sachsen hier.
Bis dato kannte sie das Europaparlament nur aus der Ferne, beispielsweise von der preisgekrönten TV-Serie „Parlament“. In der Serie ist die „Mickey Mouse Bar“ auf der Plenarebene des Parlaments ein beliebter Treffpunkt der Protagonist*innen. Dort empfängt Repp auch den „vorwärts“ zum Interview.
Die Serie hat sie gerne gesehen, sie spiegele die Arbeit im Parlament gut wider, auch wenn manches etwas überspitzt gezeichnet sei, sagt die SPD-Politikerin nach den Eindrücken ihrer ersten Wochen.
Politik für junge Menschen machen
„Es ist alles für mich sehr neu. Es gibt so viele Dinge zu erledigen“, sagt Repp. Seit einem Jahr ist sie fertig mit dem Studium – und auf einmal Arbeitgeberin. Eben war sie noch dabei, ihre Bafög-Schulden zurückzubezahlen. Nun soll sie Angaben über Vermögenswerte von mehr als 5.000 Euro machen.
Bislang ist die junge Frau dabei auf sich allein gestellt. Bevor sich das Parlament konstituiert hat, durfte sie noch keine Mitarbeiter*innen einstellen. Unterstützung erhält sie dagegen von Kolleg*innen. „Delara hat mir sehr geholfen“, erzählt Repp. Gemeint ist Delara Burkhardt aus Schleswig-Holstein, die bis vor Kurzem die jüngste deutsche Abgeordnete war.
Insgesamt betrug der Anteil junger Menschen im Europaparlament zuletzt 3,88 Prozent, das Durchschnittsalter lag bei 49 Jahren. Dabei beträgt der Anteil der Menschen unter 30 Jahren in der gesamten EU 30 Prozent.
Diese Zahlen referiert Repp mehrfach an diesem Tag. Denn für sie sind sie ein Ansporn, diese „riesige Lücke“ zu füllen. „Ich will Politik für junge Menschen statt über sie machen.“
Dabei muss Repp einige Hürden überwinden. Eine Mitarbeiterin des Parlaments sagte zu ihr: „Sie sehen so jung aus. Ich dachte gar nicht, dass Sie Abgeordnete sind und musste Sie erst einmal googeln.“
Für einen demokratischen Ostseeraum
Manchmal gilt es aber auch, sprachliche Barrieren zu überwinden. Am Morgen zum Beispiel, während einer Sitzung ihrer sozialdemokratischen S&D-Fraktion, versuchte sie sich mit einem italienischen Kollegen zu verständigen, der weder Deutsch noch Englisch sprach. Seine Mitarbeiterin half und übersetzte von Italienisch auf Englisch. Mit ihm wird sie künftig im Kulturausschuss häufiger zusammenarbeiten. Außerdem wird sie Mitglied im Regionalausschuss sein.
Dort will sich Repp für einen demokratischen Ostseeraum stark machen und insbesondere mit osteuropäischen Partner*innen eng zusammenarbeiten. „Die europäische Politik kann keine westeuropäische Politik sein, sondern sie muss unsere Mitgliedsstaaten im Osten mehr in den Fokus nehmen. Das sehen wir gerade im Zuge des russischen Angriffes auf die Ukraine, wo unsere östlichen Nachbarn eine viel höhere Sensibilität hatten“, fordert sie.
Ihre eigene ostdeutsche Identität hat für die Sozialdemokratin eine besondere Bedeutung. In der knapp 4.000 Einwohner*innen zählenden Gemeinde Tessin im Landkreis Rostock ist sie aufgewachsen.
Eine sozialdemokratische Aufstiegsgeschichte
Sie selbst, Jahrgang 1999, hat den Mauerfall und die daraus resultierenden Umwälzungen nicht mitbekommen. Ihre Familie dafür umso mehr: Ihre Mutter war in der DDR Gärtnerin, nach der Wende arbeitslos und arbeitete später als Reinigungskraft.
Der Vater musste mit seinem Malergehalt von 1.400 Euro im Monat zeitweise die vierköpfige Familie alleine ernähren. Geld für Urlaube gab es nicht. Nur einmal reiste die Familie zusammen in den Harz. Wenn Repp im Sommer wegfahren wollte, dann waren die Ferienfahrten der evangelischen Kirche die einzige Möglichkeit.
Als sie ihren Eltern mitteilte, dass sie für das Europäische Parlament kandidieren wolle, sei deren erste Reaktion gewesen: „Das schaffst du doch eh nicht.“ Nicht weil sie nicht an ihre Tochter glaubten, sondern laut Repp schwang dabei mit: „Das ist nicht für Menschen wie uns. Menschen wie wir können das nicht schaffen.“ Also wollte sie zeigen, dass es doch geht.
„Ich finde es nicht gerecht, dass es solche unterschiedlichen Startvoraussetzungen auch in meiner Generation noch gibt, wo man ein Leben lang nicht die gleichen Chancen hat wie andere. Diesen Blick versuche ich auch ins Europäische Parlament zu tragen. Ich weiß, wie es den Menschen geht, die sehr wenig haben und jeden Tag darum kämpfen, einen Job zu finden und jeden Cent umdrehen zu müssen“, sagt Repp.
Sachsen statt Ausland
Ein Studium im Ausland konnte sie sich nicht leisten. Zum Bachelor ging sie nach Dresden und wohnte außerhalb, weil das günstiger war. Zu dieser Zeit lernte sie ihren Freund kennen, mit dem sie zum Master nach Mecklenburg-Vorpommern zurückkehrte.
Gemeinsam engagieren sie sich in Rostock bei den Baltic Blue Stars, einem Football-Verein. Repp mischt jetzt in der Nachwuchsarbeit des Vereins mit. Ihr Freund ist Quarterback in der Männermannschaft. Er ist auch Sozialdemokrat und finde das alles sehr spannend, was sie jetzt in Brüssel erlebe, erzählt sie.
Dennoch sei die künftige Pendelei zwischen Brüssel und Straßburg auf der einen sowie Mecklenburg-Vorpommern auf der anderen Seite durchaus auch herausfordernd für das Privatleben. „Bevor ich für eine Kandidatur zugesagt habe, habe ich erst mal mit meinem Partner besprochen, wie unsere Kinderplanung in den kommenden fünf Jahren aussieht“, erzählt Repp im Gespräch mit den Studierenden. „Noch vor fünf Jahren hätte ich nie gedacht, dass ich mal Europaabgeordnete bin oder auch nur dafür kandidiere“, sagt sie. Und das, obwohl sie schon im Hort im Kinderrat war, später Klassen- und Schulsprecherin wurde und mit 14 Jahren ihren Weg zu den Jusos fand.
Unterstützung von Manuela Schwesig
Die Jusos in Mecklenburg-Vorpommern waren es auch, die die Idee hatten, sie als Kandidatin aufzustellen. Was folgte, war bis zu ihrem Einzug ins Europaparlament ein langer Weg.
Erst innerhalb des eigenen Landesverbands, dann mit Blick auf eine aussichtsreiche Platzierung auf der Bundesliste. Dabei half ihr die Unterstützung von Ministerpräsidentin Manuela Schwesig. „Sie weiß, wie es ist, als junge Frau in der Politik zu sein.“ Aber auch eine Absprache mit der SPD in Sachsen-Anhalt, Repp als gemeinsame Kandidatin fürs Europaparlament ins Rennen zu schicken.
Repp will das in sie gesetzte Vertrauen nun zurückzahlen, auch in dem südlich gelegenen Bundesland ein Büro eröffnen und im August, wenn das Europaparlament mit seinen Sitzungen pausiert, mit dem „Waffel-Mobil“ der SPD Mecklenburg-Vorpommern durch Brandenburg, Sachsen und Thüringen touren, um die Genoss*innen im schwierigen Landtagswahlkampf zu unterstützen.
Denn mit ihrem Mandat geht nun auch eine Verantwortung einher, ist sie überzeugt. Sie ist eine von 14 „Einhörnern“, wie sie es selbst formuliert. Also eine von 14 Europaabgeordneten der SPD unter mehr als 350.000 Parteimitgliedern.
Ein weiteres „Einhorn“ mit fünf Jahren mehr Parlamentserfahrung ist Gaby Bischoff aus Berlin. Sie holt Repp ab, um gemeinsam zur konstituierenden Sitzung der Parlamentariergruppe der Europa-Union Deutschland zu gehen.
„Das ist mein erstes Mal in der fünften Etage“, freut sich Repp auf dem Weg dorthin. In Mecklenburg-Vorpommern ist sie stellvertretende Landesvorsitzende des überparteilichen Vereins. „Ich habe schon länger eine Verbundenheit und hoffe, das auch hier einbringen zu können“, sagt sie daher während einer Vorstellungsrunde. Diese Hoffnung erfüllt sich. Sie wird prompt zur stellvertretenden Sprecherin gewählt.
Nach einem Gruppenfoto mit den anderen Parlamentarier*innen von CDU, CSU, FDP, Grünen und der Tierschutzpartei hat Repp Zeit, mal durchzuatmen und ein paar E-Mails auf dem Handy zu beantworten. Ihr Büro im zwölften Stock hat sie erst mal nur provisorisch erhalten. An der Wand hängt noch eine Landkarte von Nordrhein-Westfalen. Sie stammt von Dietmar Köster, der seit 2014 für die SPD im Europaparlament saß und nicht wieder antrat.
Dann klopft es, ihre Kollegin Vivien Costanzo kommt zur Tür herein. Auch sie ist neu im Parlament. Gemeinsam gehen sie zum Presseabend der SPD-Gruppe, auf dem der Gruppensprecher René Repasi die drei Neuen überschwänglich den versammelten Medienvertreter*innen vorstellt.
Auch diese abendlichen Empfänge sind neu für Repp. „Neulich wollte mir jemand die Jacke abnehmen. Meinen Eltern hat noch nie jemand die Jacke abgenommen.“ Es stört sie, anders behandelt zu werden, nur weil sie nun Europaabgeordnete ist. Und doch sagt sie: „Es ist eine Riesenehre, das zu machen.“
ist Redakteur des „vorwärts“. Er hat Politikwissenschaft studiert und twittert gelegentlich unter @JonasJjo