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Labour-Sieg erwartet: Warum Großbritannien vor einem Regierungswechsel steht

Nach 14 Jahren dürfte Großbritannien wieder eine Labour-geführte Regierung bekommen. Die Partei von Keir Starmer führt haushoch in allen Umfragen. Dabei wissen nur wenige, wofür Starmer eigentlich steht.

von Kai Doering · 4. Juli 2024
Auf dem Weg ins Wahllokal: Labour-Chef Keir Starmer mit seiner Frau Victoria

Auf dem Weg ins Wahllokal: Labour-Chef Keir Starmer mit seiner Frau Victoria

Rishi Sunaks Katze hatte es schon geahnt. „Ich denke, ich werde ihm wohl besser beim Packen helfen“, schrieb „Larry the Cat“ am 22. Mai im Kurznachrichtendienst X. Kurz zuvor hatte der britische Premierminister die Neuwahl des Parlaments für den 4. Juli angekündigt. Sunak ist bereits Larrys fünftes Herrchen, seit der damalige Premierminister David Cameron die Katze 2011 aus einem Londoner Tierheim in seinen Dienstsitz, die Downing Street Nummer 10, holte. @Number10cat lautet so auch der Name des – inoffiziellen – X-Accounts des Tiers.

Labour führt in den Umfragen haushoch

Am Freitag dürfte Larry Herrchen Nummer sechs bekommen, denn alle Umfragen sagen bei der Parlamentswahl in Großbritannien einen Erdrutschsieg für die Labour-Party hervor. Ihr Parteichef und Spitzenkandidat Keir Starmer dürfte nach gut 14 Jahren der erste sozialdemokratische Premierminister seit Gordon Brown werden.

„Ich würde alles, was ich habe, darauf setzen, dass Keir Starmer der nächste Premierminister ist“, sagt Thomas Fröhlich vom SPD-Freundeskreis London. Die Enttäuschung nach fünf konservativen Premierministern sei groß in der Bevölkerung. Hohe Preise nach dem Brexit und der Niedergang des Gesundheitssystems NHS täten ihre Wirkung. Das erklärt, warum Labour in den Umfragen mit 39 zur 21 Prozent fast doppelt so viel Zustimmung hat wie die noch regierenden Tories.

Zwei Unsicherheitsfaktoren für einen Labour-Wahlsieg

Gleichzeitig warnt Thomas Fröhlich vor einer zu großen Siegesgewissheit. Zum einen sei unsicher, wie sich die schottischen Wähler*innen entschieden. 2015 hatte Labour seine einstige Hochburg an die links-nationale Scottish National Party (SNP) verloren. Umfragen zufolge könnte Labour aber diesmal bis zu 30 der insgesamt 57 schottischen Sitze im britischen Parlament holen.

Ein weiterer Unsicherheitsfaktor seien die Wahlkreise, in denen es ein Dreier-Rennen zwischen Kandidat*innen von Labour, den konservativen Tories und den Liberalen gibt. Nach dem britischen Wahlrecht zieht nur die Person ins Unterhaus ein, die die Mehrheit der Stimmen im Wahlkreis erhält. Im Zweifel entscheidet eine Stimme über Sieg oder Niederlage. „Es gibt Stimmen, die sagen, dass Labour in eine Koalition gehen muss. Ich halte das aber für unwahrscheinlich“, so Fröhlich.

Wofür steht Keir Starmer?

Im Wahlkampf setzte Labour auf das das Motto „Change“. Nach 14 Jahren, darunter die zweimonatige Kurzzeit-Regierung von Liz Truss, sehnt eine große Mehrheit der Brit*innen diesen Wechsel herbei. Was sie dabei von Keir Starmer erwarten, ist jedoch unklar. „Seine größte Schwäche ist, dass die Menschen nicht wissen, wofür er steht“, sagt Thomas Fröhlich. Der 61-Jährige kann im Wahlkampf nicht mitreißen und wirkt bei seinen Auftritten hölzern. Britische Zeitungen nannten ihn schon „Mr. Boring“. Und doch hat es Starmer geschafft, nach der Übernahme des Parteivorsitzes 2020 Labour wieder zu einen und aus dem Umfragetief zu führen.

Dabei zog er erst mit 52 Jahren erstmals in Parlament ein. Vorher hatte er sich als Menschenrechtsanwalt einen Namen gemacht und u.a. Umweltaktivist*innen gegen McDonald’s vertreten sowie Entschädigungszahlungen für Bergarbeiter erstritten. Eine Stellung in der Staatsanwaltschaft brachte ihm den Ritterschlag ein. Seitdem darf sich der Labour-Chef „Sir Keir Starmer“ nennen. „Starmer hat ein Verantwortungsgefühl für die Gemeinschaft“, lobt Thomas Fröhlich vom Londoner SPD-Freundeskreis den Labour-Vorsitzenden.

Am Brexit dürfte nicht gerüttelt werden

Sollte er Premierminister werden, sind die Aufgaben für ihn und die Labour-Partei gewaltig. Die Menschen warten zum Teil monatelang auf einen Arzttermin, die Lebenshaltungskosten und die Energiepreise sind hoch. „Die wirtschaftliche Lage hier ist weiterhin dramatisch“, sagt Thomas Fröhlich – eine Folge der Misswirtschaft der Tories und des Brexits.

An letzterem dürfte jedoch auch eine Labour-Regierung nichts ändern. „Der Brexit ist durch. Es gibt keine Chance, dass daran gerüttelt wird“, meint Thomas Fröhlich. Trotz der immer stärker zu Tage tretenden Nachteile werde einen keinen Wiedereintritt Großbritanniens in die EU geben. Auch im Wahlkampf spiele das Thema keine Rolle. Stattdessen werde die neue Regierung eher bilaterale Abkommen mit einzelnen EU-Staaten schließen. 

Klar, dass sich Larry, die Katze aus der Downing Street Nummer 10, am Wahltag auch zur Wort gemeldet hat. „Ich habe bei dieser Wahl kein Stimmrecht, aber ich muss mit demjenigen zusammenleben, den Sie wählen“, schrieb sie am Donnerstag auf X. Und ergänzte: „No pressure“ (kein Druck).

Autor*in
Kai Doering
Kai Doering

ist stellvertretender Chefredakteur des vorwärts. Er betreut den Bereich Parteileben und twittert unter @kai_doering.

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Gespeichert von Armin Christ (nicht überprüft) am Do., 04.07.2024 - 18:33

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Nun erwarte Keir Starmer ca. 39% der Wählerstimmen und dank des britischen Wahlsystems wohl auch eine Mehrheit der Mandate weil die anderen Parteien (Tory, Liberale und die Rechten um Farange) erhebliche Stimmenanteile teilen. Starmer ist nicht sehr beliebt und SEINE Labourparty auch nicht, aber die Menschen haben die Schnauze voll von den Torys.
Es sei daran erinnert daß Jeremy Corbyn, ein echter Labour Politiker, bei den Wahlen 2017 über 40% bekam, aber sein Sieg wurde ja von den Opportunisten aus der eigenen Partei hintertrieben. Ich will also in ein paar Tagen nicht lesen: Starmer - unser Mann, Sozialdemokraten siegen ....... unser Vorbild ....... . Sein Vorgänger Blair at ja in Tateinheit mit unserem Schröder und dem Euroamerikaner Clinton etliches um die Internationale Sozialdemokratie zu schwächen.

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