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Neuer Labour-Chef: Was von Keir Starmer zu erwarten ist

Mit deutlichem Vorsprung ist Keir Starmer zum Nachfolger von Jeremy Corbyn an der Spitze der britischen Labour-Partei gewählt worden. Was hat er vor?
von Christos Katsioulis · 10. April 2020
Politisch bisher im Vagen geblieben: Keir Starmer ist neuer Vorsitzender der britischen Labour-Partei.
Politisch bisher im Vagen geblieben: Keir Starmer ist neuer Vorsitzender der britischen Labour-Partei.

Präzise, gründlich, gewissenhaft – das sind die Adjektive, mit denen Keir Starmer, der neue Labour-Vorsitzende meist beschrieben wird. Einen Charismatiker hat den Menschenrechtsanwalt und ehemaligen Generalstaatsanwalt Großbritanniens, der seit 2015 einen Londoner Wahlkreis im Parlament vertritt, eigentlich kaum jemand genannt. Und dennoch hat er das Rennen um den Parteivorsitz deutlich vor seinen beiden Mitbewerberinnen gewonnen. Mit 56 Prozent im ersten Wahlgang hat er ein klares Mandat erhalten. Nur für was eigentlich, fragen sich viele.

Politisch ist Starmer bisher vage geblieben

Denn auch wenn Keir Starmer seit Anfang Januar um den Parteivorsitz kämpfte, hat er es doch geschafft, politisch im Vagen zu bleiben. Seine gesamte Kampagne folgte dem Motiv, die Partei zu einen. Das bedeutete, dass er politisch in alle Richtungen blinken musste, um für eine Mehrheit wählbar zu sein. Anstatt sich in den inzwischen üblichen Schemata zwischen (gutem) Corbyn und (bösem) Blair zu verfangen, betonte er, dass er sowohl den politischen Linkskurs seines Vorgängers fortsetzen werde, als auch von den positiven Erfahrungen der letzten Labourregierung lernen werde.

In seinem Wahlkampf wurde hervorgehoben, dass er einerseits Redakteur eines trotzkistischen Blatts gewesen war und sich somit seine sozialistischen Sporen verdient habe, andererseits aber auch als ehemaliger Generalstaatsanwalt und damit Chef einer Behörde mit etwa 9 000 Mitarbeitern wertvolle Management- und Führungserfahrung mitbringe. Der New Statesman formulierte daraus die wahrscheinlich schönste, weil paradoxeste Schlagzeile: „Keir Starmer: der vernünftige Radikale“.

Abkehr von Corbyns moralischem Rigorismus

Besonders im Verhältnis zu seinem Vorgänger gelang es Starmer, einen Drahtseilakt zwischen Loyalität und Distanz zu vollführen. Schon als Teil des Schattenkabinetts setzte er sich in Fragen des Brexit immer mal wieder von Jeremy Corbyn ab und beeinflusste damit maßgeblich den Kurs der Partei hin zu einem zweiten Referendum. Aber als Kandidat gelang ihm der Drahtseilakt noch besser: Keir Starmer betonte unermüdlich, dass er das politische Erbe der Antiausteritätspolitik und des Linksschwenks von Corbyn weiterführen werde. Das Wahlprogramm von 2017 bezeichnete er immer wieder als Ankerpunkt für seine eigene Politik. Gleichzeitig setzte er sich jedoch in Fragen von Wählbarkeit, Parteimanagement und Professionalität implizit sehr deutlich von seinem umstrittenen Vorgänger ab.

Mit der Betonung, dass es das Ziel von Labour sein müsse, die Macht zu erlangen, rückte er von dem moralischen Rigorismus ab, der das Projekt von Corbyn teils umwehte. Besonders im Hinblick auf den kläglichen Umgang mit antisemitischen Mitgliedern der Partei distanzierte sich Keir Starmer sehr klar von den bisherigen Praktiken und verdeutlichte auch mit Bezug auf seine Vorerfahrung, dass er Fragen des Parteimanagements ernstnehmen werde. Dennoch blieb er für viele Parteimitglieder, aber auch viele Beobachter eher undurchschaubar und alle sind gespannt, welche Richtung er nun tatsächlich nach seiner Wahl einschlagen wird.

Eine diverse Mannschaft im Schattenkabinett

Es lohnt sich deshalb, genauer hinzuschauen, wen er in sein Schattenkabinett geholt hat und was seine ersten Schritte nach der Wahl waren. Und es gibt durchaus Anzeichen für eine Veränderung. Starmer hat das Schattenkabinett neu aufgestellt und es dabei geschafft, eine breit aufgestellte und diverse Mannschaft zusammenzustellen. Es fehlen zwar einige der loyalsten Corbynistas, aber dennoch ist auch der linke Flügel noch vertreten und es hat keine „Säuberung“ stattgefunden.

Die wichtigste Position, Schattenkanzlerin, hat er mit der ehemaligen Europaabgeordneten Anneliese Dodds aus Oxford besetzt, die ihn von Beginn an unterstützt hatte. Der Öffentlichkeit war sie bisher zwar eher weniger bekannt, in der Fraktion ist sie dafür jedoch sehr respektiert. Dodds war schon unter Corbyn in einer untergeordneten Rolle in diesem Portfolio angesiedelt, mit ihrem Aufstieg signalisiert der neue Vorsitzende daher gleichermaßen Verjüngung, Kontinuität und Wandel.

Daneben hat Starmer seine Rivalin um den Parteivorsitz, Lisa Nandy, als Schattenaußenministerin prominent platziert. Die andere Konkurrentin, Rebecca Long-Bailey, ist als Schatten-Erziehungsministerin ebenfalls auf einem wichtigen Posten untergebracht. Gleichzeitig hat er weitere jüngere und auch loyale Abgeordnete in Schlüsselpositionen geholt und die umstrittensten Personen aus dem Umfeld Corbyns aus der Fraktionsführung entfernt. So kann er ohne Vorbelastungen eine neue Führungsstruktur etablieren. Die gesamte neue Führungsriege steht für das Ziel des Zusammenbringens der Partei, aber auch für eine effektive Opposition gegen Johnson und seine Konservativen. Im Hintergrund wird deutlich, dass dieser Vorsitzende die Wahlen 2024 jetzt schon im Blick hat.

Ein deutliches Signal des Neuaufbruchs

Symbolträchtig hat Keir Starmer eines der ersten (digitalen) Treffen mit den Vertretern von Jewish Labour anberaumt. Damit hat er eines seiner plakativsten Versprechen mit Leben gefüllt und gleich zu Beginn seiner Amtszeit ein deutliches Signal des Neuaufbruchs gegeben. Damit nutzt Starmer die momentan marginalisierte Rolle als Opposition in der Coronakrise, um die Versöhnung der Partei voranzutreiben. Denn sobald schwierige politische Fragen auf ihn zukommen, sei es der Eintritt in eine Regierung der Nationalen Einheit mit den Tories oder auch die Frage, wie man mit der Politik von Boris Johnson in dieser Krise umgeht, braucht er eine schlagkräftige Partei und überzeugte Fraktion. Nur dann kann er effektiv Opposition leisten gegen einen Regierungschef, den sicherlich niemand als präzise, gründlich oder gar gewissenhaft beschreiben würde.

Der Text erschien zuerst im IPG-Journal.

Autor*in
Christos Katsioulis

leitet das Büro der Friedrich-Ebert-Stiftung in London. Zuvor leitete er das Büro der Stiftung in Athen und in Brüssel.

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