Europawahl in Ungarn: Warum Orbán plötzlich verwundbar ist
Bei der Europawahl in Ungarn war die Fidesz-Partei von Ministerpräsident Orbán zwar stärkste Kraft. Doch wie aus dem Nichts tauchte mit Péter Magyar ein neuer politischer Akteur auf und holte direkt 30 Prozent der Stimmen. Kann er Orbán in zwei Jahren stürzen?
picture alliance / ASSOCIATED PRESS | Denes Erdos
Nach der Europawahl: Péter Magyar gilt als der große Sieger in Ungarn.
Die Europawahlen brachten für Ungarn ein bemerkenswertes Ergebnis: Eine vor vier Monaten gegründete Ein-Mann-Bewegung gewann 30 Prozent der Stimmen. Der regierende Fidesz Viktor Orbáns verlor mehr als 8 Prozent, kommt aber immer noch auf 44,52 Prozent der Stimmen. Eindeutiger Wahlverlierer sind die bisherigen Hauptkräfte der Opposition, die beiden Mitte-Linksparteien MSZP und DK.
Deren gemeinsame Liste kam nur auf 8,14 Prozent und verlor damit 15 Prozentpunkte im Vergleich zu den Wahlen 2019. Mi Hazank, eine Fidesz-kritische rechtsnationalistische Partei, konnte ihren Stimmenanteil auf 6,75 Prozent verdoppeln. Da sich die neue Bewegung in Straßburg der EVP anschließen möchte, stellt das Wahlergebnis im Grunde eine weitere Rechtsverschiebung der ungarischen Politik dar.
Der Anfang vom Ende der Fidesz-Hegemonie?
Wie ist das Ergebnis interpretieren? Wie erwartbar, geht der Spin, den die verschiedenen Lager dem Ergebnis geben, in völlig unterschiedliche Richtungen. Das Regierungslager betont, dass Fidesz klarer Wahlsieger ist und in absoluten Zahlen mehr Stimmen als je zuvor bei einer Europawahl erhalten hat. Das Oppositionslager zeichnet dagegen das Bild des Anfangs vom Ende der Fidesz-Hegemonie. Tatsächlich sind 44,5 Prozent für eine Regierungspartei bei einer Zwischenwahl in Krisenzeiten ein durchaus respektables Ergebnis: Da hat man in anderen Ländern ganz andere Zahlen gesehen.
Dennoch hat die Wahl auch klar gezeigt, dass der Fidesz und Viktor Orbán verwundbar sind. Mehrere Faktoren waren dafür ausschlaggebend. Hierzu zählen der unvermeidbare Verschleiß nach 14 Jahren ununterbrochener Machtausübung, eine schwächelnde Wirtschaft, eine wachsende Frustration über die Defizite des vernachlässigten Gesundheitssystems sowie die höchste Inflationsrate Europas. Diese trifft gerade einkommensschwächere Bürger*innen besonders, die zu dem treuesten Wähler*innen des Fidesz zählen. Noch wichtiger erscheint aber etwas anderes: eine wachsende Unzufriedenheit über die Vettern- und Familienwirtschaft, mit der sich Fidesz-nahe Seilschaften in der ungarischen Wirtschaft und Administration seit 2010 breit gemacht haben.
Ein Orbán-Gegner aus dem Nichts
Die korrupte Selbstbedienung im „Mafia-Staat“ des Fidesz war denn auch das Hauptthema Petér Magyars, des aus dem politischen Nichts aufgetauchten Wunderknaben dieser Wahlen. Bis vor wenigen Wochen kannten nur Fidesz-Insider den Namen des ehemaligen Ehemanns der früheren Justizministerin Judith Varga. Magyar hatte über viele Jahre hinweg als mittlerer Nutznießer im Fidesz-Speck von der Karriere seiner Frau profitiert. Nach der Scheidung und nach dem Rücktritt seiner Frau im Frühjahr suchte er überraschend das Licht der Öffentlichkeit. Mit Hilfe einiger erfolgreicher Social-Media-Auftritte wurde er schlagartig einem breiten Publikum bekannt.
Seiner Kampagne zur Europawahl fehlte es nicht an Unterstützung und finanziellen Ressourcen. Das Ergebnis kann nur als spektakulärer Erfolg bewertet werden. Welcher, das sollte dabei nicht vergessen werden, nicht unbedingt zu Lasten der Orbán-Partei ging: Hauptopfer des Aufstiegs der „Tisza“-Partei Magyars sind vielmehr die etablierten Kräfte der Opposition, deren Stimmenanteil drastisch eingebrochen ist. Magyar hat von allen Oppositionsparteien Stimmen abgezogen.
Er vertritt eine politisch sehr heterogene Wählerschaft, die wenig mehr als die Abneigung zum Fidesz und zu Orbán eint. Die vom Auftauchen Magyars erhoffte Abspaltung von Teilen der Fidesz-Wählerschaft ist dagegen eher ausgeblieben: Lediglich zehn Prozent der Wähler Magyars sind, so Nachwahlanalysen, aus dem Fidesz-Lager hinübergewechselt.
Ein deutlicher Warnschuss für Orbán
Für den Fidesz ist das Ergebnis ein deutlicher Warnschuss: Die Frustration über die Art und Weise der Machtausübung (weniger ihr ideologischer Charakter) hat im Kontext einer schwächelnden Wirtschaft und hoher Inflation einen kritischen Wert erreicht. Der Nimbus der Unbesiegbarkeit schwindet. Hinzu kommt, dass der von Orbán erhoffte Durchbruch der national-konservativen und rechtspopulistischen Parteien in Europa ausgeblieben ist. Letztendlich war es wahrscheinlich nur der emotionalen Kraft des Kernthemas der Fidesz-Kampagne – die Warnung, dass das Brüsseler Establishment Europa in einen Krieg gegen Russland treibt – das die Partei vor einer noch deutlicheren Abstrafung bewahrte.
Sozialdemokrat*innen und Liberale geschwächt
Für die Opposition, vor allem die sozialdemokratischen und linksliberalen Kräfte, könnte sich diese halbe Niederlage des Fidesz allerdings auch als Pyrrhussieg erweisen: Die bisherigen Oppositionskräfte gehen sehr geschwächt aus der Wahl hervor. Stattdessen dominiert eine politisch undefinierte Sammlungsbewegung unter Führung eines unerfahrenen und als schwierige Persönlichkeit geltenden Alleinunterhalters, der seinen Anhänger*innen im Wesentlichen Fidesz-Politik ohne Fidesz-Politiker*innen verspricht.
Ideologische Konturen sind bei Magyar wenig erkennbar, außer dass er auf keinen Fall als „links“ gelten möchte. Sein Stil ist Populismus pur: eine polemisierende Abrechnung mit „denen da oben“, eingebettet in eine Kampagne mit Happening-Charakter, in der es viel um die Sonnenbrille des Protagonisten ging. Die Zusammenarbeit mit „Politikern“ mit Erfahrung wird kategorisch abgelehnt. Für ernsthafte Inhalte blieb bisher keine Zeit – und einige Beobachter*innen fürchten, dass dies auch für die Zukunft nicht zu erwarten ist.
Heftige Kämpfe bis zur Parlamentswahl 2026
Für die Zeit bis zu den nächsten Parlamentswahlen im Mai 2026 ist mit einer Phase großer Instabilität und heftiger interner Auseinandersetzungen im Oppositionslager zu rechnen. Vor allem für die beiden sozialdemokratischen bzw. linksliberalen Parteien MSZP und DK ist die neue Situation eine Herausforderung. Die DK des früheren Ministerpräsidenten Ferénc Gyurczany hat die Rolle des Orbán-Hauptgegners an Petér Magyar abgeben müssen.
Dies ist ein erheblicher Nachtteil in einem entlang der Achse Fidesz-/Anti-Fidesz polarisierten Land, in dem ein nicht unbeträchtlicher Teil der Oppositionswähler*innen auf der beständigen Suche nach dem härtesten Orbán-Gegenspieler ist. Den Mitte-Links-Parteien ist es bei den Wahlen nicht gelungen, sich mit eigenen Themen Gehör und Profil zu verschaffen. Für die Zukunft drohen sie zwischen den beiden Kontrahenten Fidesz – Tisza zerrieben zu werden. Im Moment ist dies allerdings völlig ungeklärt. Die Konsolidierung einer One-Man-Show und ihre Umwandlung in eine echte Partei mit Sammlungscharakter ist eine Herkulesaufgabe. Dass Magyar und sein Umfeld ihr gewachsen sind, scheint eher unwahrscheinlich. Es kann daher genauso gut sein, dass sich die Bewegung Magyars als kurzlebiger Komet am Himmel der ungarischen Politik erweist: hell gestrahlt, schnell wieder verschwunden.
ist Leiter des Büros der Friedrich-Ebert-Stiftung in Budapest. Zuvor war er Referatsleiter der Internationalen Politikanalyse, des Referats für Mittel- und Osteuropa sowie Leiter der Büros in Warschau, Paris, London und Rom.
Teile und herrsche
Ueberall das Gleiche, autoritaer orientierte Politiker bekommen sehr viele Stimmen. Orban ist aufgrund seiner Haltung zu Migration auch bei uns nicht unbeliebt unter den einfachen Leuten - andere wichtige Themen werden in einer solchen Wahrnehmung ausgeblendet oder verniedlicht, da in das Thema auch alle anderen Probleme der Leute hineinprojiziert wird. In deren Vorstellungen der Loesungen solcher, bietet der starke Mann die rhetorish einfachsten - Populismus eben. Das ist die eine Seite. Haben wir es dort andererseits mit einem politischen Assistenten Orban's zu tun? So eine Art Scheinopposition? Man geht bis an die Grenzen des allegemein tolerierten Politikerverhaltens und zack: Abspaltung eines frueheren Parteigenossen und Machtmitinhaber. Bei bestimmten erwarteten Mehrheitskoalitionen in den naechsten Wahlen kann sowas durchaus gut funktionieren. Na ja, immherhin sah sich in einem solchen Falle Orban der I. Dazu gezwungen - mehr ist hier wirklich nicht zu sehen - ich wuesset gerne mehr, etwas aus dem Hintergrund. Die Opposition wird so weggeputscht, bevor sie zum Zuge kommen kann.