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Europawahl: Welche Konsequenzen die SPD aus ihrem Ergebnis zieht

Mit 14 Prozent schneidet die SPD so schlecht wie bei keiner bisherigen Europawahl ab. Sorge macht beim Wahlabend im Willy-Brandt-Haus aber auch das starke Ergebnis der AfD. Parteichef Lars Klingbeil kündigt Konsequenzen an.

Enttäuscht, aber kämpferisch: SPD-Spitzenkandidatin Katarina Barley (Mitte) mit den SPD-Vorsitzenden Saskia Esken und Lars Klingbeil.

Enttäuscht, aber kämpferisch: SPD-Spitzenkandidatin Katarina Barley (Mitte) mit den SPD-Vorsitzenden Saskia Esken und Lars Klingbeil. 

Es herrscht eine eigentümliche Stille im Atrium des Willy-Brand-Hauses kurz bevor die erste Hochrechnung zur Europawahl bekanntgegeben wird. Irgendwo in der Menge werden zwei kleine Europafähnchen geschwenkt. Ansonsten ist die Stimmung eher angespannt. Das ändert sich auch nicht als um 18 Uhr die ersten Zahlen über die Monitore flimmern. Nur als das Ergebnis der AfD – zu diesem Zeitpunkt sind es 16,5 Prozent – zu sehen ist, geht ein Stöhnen durch die Menge.

SPD-Chef Klingbeil: „Wir werden das aufarbeiten.“

Um 18.28 Uhr treten dann die Spitzenkandidatin und die beiden SPD-Vorsitzenden vor die Menge. „Das ist ein richtig bitterer Abend. Da gibt es nichts zu beschönigen“, sagt Katarina Barley, die in den vergangenen Wochen überall im Land unterwegs gewesen ist, bei Großveranstaltungen ebenso wie bei zahlreichen Terminen vor Ort. Insgesamt sei die Stimmung dabei stets gut gewesen. „Das Erleben in diesem Wahlkampf war ein anderes als es das Ergebnis zeigt“, sagt Barley. Nun gelte es, zu analysieren, woran es gelegen hat.

Die erste Gelegenheit dazu wird es am Montag geben. Dann trifft sich der SPD-Parteivorstand. „Dass Dinge anders werden müssen, ist glasklar“, sagt bereits am Sonntagabend Parteichef Lars Klingbeil und verspricht: „Wir werden das aufarbeiten.“ Auch für die bevorstehenden Haushaltsberatungen innerhalb der Bundesregierung könnte das Auswirkungen haben. „Wir werden das Beste für unsere Leute rausholen“, verspricht Klingbeil.

Nach vorläufigem Endergebnis werden CDU und CSU Mit 30 Prozent bei der Europawahl deutlich stärkste Kraft, gefolgt von der AfD mit 15,9 Prozent. Die SPD landet auf Platz drei (13,9), die Grünen auf Platz vier (11,9). Das Bündnis Sarah Wagenknecht (BSW) holt aus dem Stand 6,2 Prozent der Stimmen. Die FDP kommt auf 5,2, die Linke auf 2,7 Prozent. Die Wahlbeteiligung war mit 64 Prozent die höchste bei einer Europawahl jemals.

Esken: „Sie werden nicht an die Macht kommen gegen uns.“

Neben dem Ergebnis der SPD zeigt sich der Vorsitzende vor allem frustriert über das starke Abschneiden der AfD. „Das ist ein Auftrag für alle Demokratinnen und Demokraten“, sagt Klingbeil. „Das ist nicht der Grund für uns, jetzt den Kopf in den Sand zu stecken, sondern zu sagen: Jetzt erst recht.“ Auch aus Sicht von Saskia Esken ist das starke Abschneiden der AfD die „bitterste Pille“ dieser Wahl. Vor den Gästen im Willy-Brandt-Haus kündigt die SPD-Vorsitzende an, sich den Rechtsextremen weiter in den Weg zu stellen. „Sie werden nicht an die Macht kommen gegen uns.“

Gleichzeitig nimmt Saskia Esken die oder den künftigen EU-Kommissionspräsidenten in die Pflicht. „An der Spitze Europas kann nicht eine Frau oder ein Mann stehen, der sich mit den Stimmen von Rechtspopulisten wählen lässt“, sagt Esken mit Blick auf EVP-Spitzenkandidatin Ursula von der Leyen, die im Wahlkampf mehrfach mit einer Zusammenarbeit mit der rechtsgerichteten EKR-Fraktion von Italiens Regierungschefin Giorgia Meloni geliebäugelt hatte.

Ingo Appelt: „Unsere Demokratie erfährt zu wenig Zustimmung.“

Zustimmung bekommen die SPD-Vorsitzenden und die Spitzenkandidatin aus dem Publikum im Willy-Brandt-Haus. „Ich kann Saskia Esken und Katarina Barley nur zustimmen, wenn sie sagen, dass der Kampf gegen rechts weitergehen muss“, sagt der Schauspieler Hans-Werner Meyer, der mit vielen anderen Unterstützer*innen in die SPD-Parteizentrale gekommen ist. „Mich enttäuscht vor allem, dass so viele Menschen die AfD gewählt haben“, sagt Meyer. Ähnlich sieht es Schauspieler-Kollege Axel Pape. „Wir müssen endlich den Hebel umlegen gegen die Verbreitung von Vorurteilen und Lügen“, fordert er.

„Unsere Demokratie wird verjuxt. Viele Menschen wählen leichtfertig die AfD, weil sie unzufrieden sind oder schlechte Laune haben“, versucht sich der Kabarettist Ingo Appelt in einer ersten Analyse und kritisiert: „Unsere Demokratie erfährt zu wenig Wertschätzung, dabei ist diese Errungenschaft nicht selbstverständlich. Hoffentlich muss sie nicht erst zerstört werden, damit die Leute es verstehen. Die Ampel-Koalition bringt nur minimale Kompromisse zustande. Das frustriert die Menschen.“

Auch ver.di-Chef Frank Werneke sieht eine Mitverantwortung für das Ergebnis bei der Ampel. „Die Europawahl war auch eine Abstimmung über die Politik der Bundesregierung“, sagt Werneke und fordert: „Die SPD muss mehr Klarheit und Profil zeigen, anstatt nur die Koalition zusammenzuhalten.“

Gaby Bischoff: „Ich hoffe, dass die Brandmauer steht.“

„Wir müssen noch mehr ackern, um die Themen, die für die Menschen wichtig sind, nach vorne zu bringen“, zieht Gaby Bischoff eine Schlussfolgerung aus dem Ergebnis der Wahl. Mit Listenplatz sieben wird die Berliner SPD-Abgeordnete dem Europaparlament auch weiterhin angehören. 

Auch ihre Stimmung ist im Willy-Brandt-Haus aber gedrückt. Als Beispiele für das „Ackern“ nennt Bischoff die Themen gute Arbeit und eine gerechte Gestaltung der Transformation. „Bei diesen Themen haben die Rechten immer dagegengestimmt“, ruft die SPD-Abgeordnete in Erinnerung.

Dass die extremen Rechten Kräfte im neuen Europaparlament deutlich stärker als bisher vertreten sein werden, macht Bischoff Sorgen. „Ich hoffe, dass die Brandmauer steht. Dann haben wir auch mit diesen Mehrheiten immer noch eine Chance, zu gestalten. Wenn die Konservativen jedoch umfallen und mit den Rechten zusammengehen, dann werden wir fünf harte Jahre für die Menschen in Europa haben.“

„In Europa braucht es jetzt ein Bündnis der Mitte“, fordert der stellvertretende SPD-Vorsitzende Achim Post, bis Ende vergangenen Jahres Generalsekretär der Sozialdemokratischen Partei Europas (SPE). „Der Flirt von Frau von der Leyen mit rechtsradikalen Kräften muss ein Ende haben.“

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6 Kommentare

Gespeichert von Armin Christ (nicht überprüft) am Mo., 10.06.2024 - 08:14

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"Sorge macht beim Wahlabend im Willy-Brandt-Haus aber auch das starke Ergebnis der AfD." Immer diese Fixierung auf den afd anstatt das eigene Versagen mal zu analysieren. Die spd hat sich dieses Wahlergebnis selbst zuzuschreiben weil inhaltlich NICHTS mehr rüberkommt was nur den Anschein von sozialdemokratisch hätte. Atlantizismus, Abkehr von der Entspannungspolitik, Bildungsnotstand ab der Kita, Lauterbach, Rentenkürzung, Konzernpolitik ...........
Das muss alles mal aufgearbeitet werden !!!! Und zwar nicht mit Sprüchen, sondern mit Realpolitik. Wenn da ein Scholz mit Barley auf einem Plakat mit Frieden wirbt - für wen ist denn das noch glaubwürdig ????

Gespeichert von Rudolf Isfort (nicht überprüft) am Mo., 10.06.2024 - 11:24

Antwort auf von Armin Christ (nicht überprüft)

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(Ich darf ARMIN CHRIST durch ein Beispiel unterstützen.)
Während einer Wahlveranstaltung berichtete Frau Barley, bei ihrem letzten Besuch in der Ukraine habe ihr eine alte Frau gesagt: Wenn wir in der Ukraine reale Bomben und Granaten und ihre Verheerungen ertragen können, dann solltet ihr in der Bundesrepublik doch auch (- wenigstens -) unsere Not ertragen können. Frau Barley erzählte das sehr berührt und berührend, darin der Betroffenheit Frau Baerbocks in nichts nachstehend, auf die Frage einer jungen Zuhörerin, die angesichts der nicht zu ertragenden Zustände in der Ukraine Friedensbemühungen anmahnte. Etwas analytischer, muss man sich angesichts Frage und Antwort schon über den geradezu wundersamen Umstand tief verneigen, dass sich eine alte Frau in der geschundenen Ukraine über unsere Befindlichkeit ihrer eigenen Lebensumstände Gedanken macht – und just dieser alten Frau begegnet Frau Berley bei ihrem Besuch, kommt er zu einem Gespräch mit ihr.

Wegen der Friedensbemühungen beruhigte Frau Barley die Fragerin mit Hinweis auf stattfindende Gespräche – über Getreideabkommen, Gefangenenaustausch und einen weiteren, den ich vergessen habe. Gespräche dieser Art können vielleicht Russlands Bereitschaft zu Friedensgesprächen beweisen, mit der geforderten diplomatischen Friedensinitiative aber haben sie nichts, aber auch gar nichts zu tun.
„Sprüche ... (statt) Realpolitik“.
(Da ich Frau Barley sehr schätze, hätte ich liebend gern etwas anderes berichtet.)

Gespeichert von Helmut Gelhardt (nicht überprüft) am Mo., 10.06.2024 - 13:15

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Eine bundesdeutsche SPD, die sich in weiten Teilen selbst entsozialdemokratisiert hat, die sich insbesondere von der 'Linder-FDP' am neoliberalen Nasenring ein um das andere Mal durch die politische Arena ziehen lässt, die die Grundfesten der Friedenpolitik von Brandt/Bahr unreflektiert über Bord wirft - kann politisch nicht bestehen. Eine SPD, die politisch einer 'Merz-Black-Rock-CDU' nicht Paroli bieten kann - macht sich selbst überflüssig. Armin Christ spricht von Traurigkeit. Ich finde das schockierend.

Gespeichert von Peter Schulte (nicht überprüft) am Mo., 10.06.2024 - 14:54

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Gespeichert von Martin Holzer (nicht überprüft) am Mo., 10.06.2024 - 17:07

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Die SPD sollte jetzt mal kleinere Brötchen backen und sich um existentielle Probleme kümmern, z.B. im Osten überhaupt noch über die 5 Prozent-Hürde zu kommen. Es wird sonst schwer eine Brandmauer zu errichten, wenn die eigenen Steine noch nicht mal bis zur Bordsteinkante reichen.