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Europäisches Asylsystem: Was die Einigung der EU-Staaten bedeutet

Der Mitgliedsstaaten der Europäischen Union haben sich auf die sogenannte Krisenverordnung geeinigt. Die Reform des europäischen Asylsystems kommt damit voran. Das Europaparlament kündigt jedoch harte Verhandlungen an. Und die Zeit drängt.
von Kai Doering · 28. September 2023
Vor dem Durchbruch? Die EU-Mitgliedsstaaten haben sich auf die Kernelemente einer europäischen Asylreform geeinigt.
Vor dem Durchbruch? Die EU-Mitgliedsstaaten haben sich auf die Kernelemente einer europäischen Asylreform geeinigt.

Nach wochenlangem Ringen haben sich die EU-Mitgliedsstaaten auf ihre Position zur sogenannten Krisenverordnung geeinigt. Das teilte die spanische Ratspräsidentschaft am Mittwoch auf X, vormals Twitter, mit. Die Krisenverordnung ist ein elemantarer Bestandteil der geplanten europäischen Asylreform.

Warum soll das europäische Asylsystem verändert werden?

Die geplante Reform des Gemeinsamen Europäischen Asylsystems (GEAS) soll Geflüchtete gleichmäßiger innerhalb der EU verteilen und so für Entlastung in den am stärksten betroffenen Ländern – insbesondere in Südeuropa – sorgen. Außerdem soll die irreguläre Migration begrenzt werden.

Was sehen die Pläne vor?

Asylverfahren innerhalb der EU sollen deutlich verschärft werden. Geflüchtete aus Herkunftsländern, die als sicher als sicher eingestuft sind, sollen in zentrale Aufnahmeeinrichtungen an der Außengrenze der EU gebracht werden. Das trifft etwa auf Migrant*innen aus der Türkei, Indien, Tunesien, Serbien oder Albanien zu. In den Aufnahmeeinrichtungen soll innerhalb von zwölf Wochen geprüft werden, ob sie einen Anspruch auf Asyl haben. Ist das nicht der Fall, sollen sie unmittelbar abgeschoben werden. Für Menschen aus Ländern mit einer hohen Anerkennungsquote wie Afghanistan oder Syrien soll das Verfahren nicht gelten. Sie können weiterhin zunächst einreisen und innerhalb der EU auf ihren Asylbescheid warten.

Änderungen gibt es aber auch für die EU-Länder selbst. Wer, wie etwa Ungarn, keine Geflüchteten aufnimmt, soll künftig zu finanziellen Ausgleichszahlungen gezwungen werden. Zudem sehen die Reformpläne vor, dass abgelehnte Asylbewerber*innen künftig auch in Nicht-EU-Länder abgeschoben werden können, sofern sie eine Verbindung zu diesem Land haben. Was diese genau erfüllen muss, liegt im Ermessen des jeweiligen EU-Staates.

Warum ist die Krisenverordnung so umstritten?

Die Krisenverordnung, die die EU-Kommission ins Spiel gebracht hat, sieht u.a. vor, dass bei einem besonders starken Anstieg der Migration der Zeitraum verlängert werden kann, in dem Menschen in Aufnahmeeinrichtungen festgehalten werden können. Außerdem sind Mitgliedsstaaten nach der Krisenverordnung nicht mehr verpflichtet, Asylbewerber*innen zurückzunehmen, für die sie eigentlich zuständig sind, die aber in einen anderen EU-Staat weitergereist sind. In der Bundesregierung hatten deshalb insbesondere die Grünen die Krisenverordnung abgelehnt, weil sie eine generelle Absenkung des Schutzniveaus für Geflüchtete fürchten. Das Europaparlament hatte sich geweigert, seine Position festzulegen, bevor sich die EU-Mitgliedsstaaten geeinigt haben.

Tritt die Asylreform nach der Zustimmung der Mitgliedsstaaten nun direkt in Kraft?

Nein. Die Zustimmung der Mitgliedsstaaten war nur ein weiterer Schritt zur Reform des Gemeinsamen Europäischen Asylsystems. Die Krisenverordnung geht nun ins sogenannte Trilog-Verfahren mit Europäischer Kommission und Europaparlament. Erst wenn diese beiden EU-Institutionen zustimmen, kann die Reform in Kraft treten. Die SPD-Europaabgeordnete Birgit Sippel hat bereits angekündigt, darauf hinwirken zu wollen, „dass das individuelle Recht auf Asyl tatsächlich für alle Ankommenden gesichert bleibt, dass wir insbesondere die Rechte von Kindern in den Blick nehmen. Das heißt, dass Kinder und Jugendliche, auch Kinder in Familien, nach Möglichkeit nicht in die Asyl-Grenzverfahren kommen.“ Sippel erwartet nun „harte Verhandlungen“ zwischen Kommission, Mitgliedsstaaten und Europaparlament.

Wie werden die Reformpläne bewertet?

Bundeskanzler Olaf Scholz bezeichnete die Einigung auf die Krisenverordnung „gute Nachricht“. Die Asylrefom werde irreguläre Migration in Europa wirksam begrenzen und Staaten wie Deutschland dauerhaft entlasten. „Ein historischer Wendepunkt“, so Scholz auf X, vormals Twitter. Bereits vor dem Treffen der EU-Innenminister*innen in Brüssel in der vergangenen Woche hatte Bundesinnenministerin Nancy Faeser von einem „hervorragend ausgehandelten Kompromiss“ gesprochen. Auch Faeser erhofft sich von der Asylreform einen deutlichen Rückgang der Geflüchteten-Zahlen in Deutschland. Menschenrechtsorganisationen wie Amnesty International befürchten dagegen, dass mit der Reform „die Rechte von Menschen auf der Flucht ausgehebelt“ werden.

Wie geht es nun weiter?

Mit der „Verordnung für Krisensituationen und Situationen höherer Gewalt im Bereich Migration und Asyl“ wie die Krisenverordnung eigentlich heißt, ist der letzten von zehn Rechtstexten, die im Zuge der Asylreform geändert werden müssen, auf dem Weg ins Trilog-Verfahren zwischen Europäischem Parlament, dem Rat der Mitgliedstaaten und der EU-Kommission. Acht Texte sind werden hier bereits verhandelt. Die EU-Institutionen haben sich jedoch darauf verständigt, dass die Reform nur im Paket erfolgen kann. Das heißt: Scheitert eine der Verordnungen, scheitert die gesamte Asylreform. Wegen der im Juni 2024 anstehenden Europawahl drängt zudem die Zeit. Es bleiben also nur noch wenige Monate, um die Reform zu einem Abschluss zu bringen.

Autor*in
Kai Doering
Kai Doering

ist stellvertretender Chefredakteur des vorwärts. Er betreut den Bereich Parteileben und twittert unter @kai_doering.

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