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Agrarpolitik: Wie die französische Regierung auf Bauernproteste reagiert

Frankreichs will in den Verhandlungen zur Gemeinsamen Agrarpolitik der EU (GAP) „Ernährungssouveränität“ durchsetzen. Praktisch bedeutet das Garantiepreise für Bäuer*innen und Verbraucher*innen, aber vor allem mehr Subventionen.

von Kay Walter · 8. April 2024
Bauernproteste in der südfranzösischen Hafenstadt Marseille.

Bauernproteste in der südfranzösischen Hafenstadt Marseille.

In Deutschland eher weniger beachtet, spielt Agrarpolitik in Frankreich eine zentrale Rolle. Vor drei Monaten wurden Gabriel Attal – auch als Reaktion auf die Bauernproteste – von Präsident Macron die Regierungsgeschäfte als neuer französischer Premierminister übertragen. Attal kündigte umgehend Steuererleichterungen an, insbesondere für Dieselkraftstoff, den Abbau bürokratischer Regeln sowie finanzielle Hilfen im Falle von klimatischen Ereignissen und Tierseuchen.

Das beruhigte die aufgebrachte Situation, reichte den Bauern aber noch lange nicht aus. Sie fordern weiterhin weniger Regeln, aber dafür mehr Geld aus Brüssel; dazu Schutz vor angeblichen Billigimporten von Nahrungsmitteln. Und sie meinen damit nicht nur Fleisch aus Südamerika, sondern auch Weizen und Geflügel aus der Ukraine.

Agrarminister will Druck auf Brüssel machen

Agrarminister Marc Fesneau erläuterte vergangene Woche die Grundzüge eines neuen Gesetzes zur Ausrichtung der Landwirtschaft, das Anfang Mai vom Parlament behandelt wird. Der Minister drückt aufs Tempo, äußert die Hoffnung, das Gesetz schon im Juni zu verabschieden, um ab Herbst die konkrete Umsetzung auf den Höfen spürbar zu machen. Vor allem kündigte er an, deutlich mehr „Druck auf Brüssel“ auszuüben.

Die Strafen für Umweltvergehen seien „unverhältnismäßig“ und gehörten „überprüft“, sprich abgeschafft. Die für den Zeitraum 2023 bis 2027 gebilligten Maßnahmen zur Lockerung der Umweltauflagen der GAP seien nur ein erster Schritt, die GAP müsse umfassend vereinfacht werden. Die EU müsse „Ernährungssouveränität“ erlangen, wieder autark werden. Ziel sei, das richtige Gleichgewicht zwischen dem „Exportbedürfnis“ Frankreichs und der EU und dem „Schutzbedürfnis der Erzeuger“ vor unlauterem Wettbewerb zu finden.

Gegen Mercosur und CETA

„Ernährungssouveränität bedeutet, auf nationaler, europäischer und internationaler Ebene die Bedingungen dafür zu schaffen, dass unsere Landwirtschaft ein wirtschaftlicher und allgemeiner Machtfaktor bleibt“, erklärte Fesneau. Die Handelsabkommen Mercosur und CETA werden abgelehnt, weil dort Produktionspraktiken erlaubt werden, die die EU auf eigenem Boden verbietet. 

Frankreich, sei bereit, Kyjiw zu unterstützen, aber die Solidarität habe auch ihre „Grenzen“. Wie Polen, fordert Frankreich mehr Schutz vor Weizenimporten aus der Ukraine, sowie feste Quoten und automatisch greifende Schutzmaßnahmen bei deren Überschreitung.

Ukraine-Solidarität mit Grenzen

Schließlich fordert Fesneau ein „europäisches EGalim“, ein Gesetz nach französischen Vorbild, das einerseits den Bauern für bestimmte Grundnahrungsmittel einen Mindestpreis garantiert, und andererseits den Händlern und Supermärkten einen maximalen Preis gegenüber den Endverbrauchern auferlegt. 

Dieser staatliche Eingriff auf beiden Seiten des Marktes – in Frankreich eine von Niemanden in Frage gestellte Selbstverständlichkeit – wäre in den meisten anderen Mitgliedsländern der EU, wenn nicht gleich explizit verboten, so doch als Eingriff in den Markt und die Gewerbefreiheit weder vermittel- noch durchsetzbar. Europaweit geltende und staatlich festgelegte Verkaufspreise werden, schon wegen der unterschiedlichen Wirtschaftskraft der Mitglieder, fast überall als illusorisch und als wirtschaftlich nicht wünschenswert betrachtet. Schon einmal, in den 1980er Jahren bekamen Europas Bauern Preisausgleichszahlungen, weil sie auf dem Weltmarkt nicht konkurrenzfähig waren. Folge dieser staatlich garantierten Preise waren die berüchtigten Milchseen und Butterberge.

Interesse aus Polen

Gleichwohl behauptet Fesneau im Interview mit France Inter, dass „der Vorschlag in Brüssel an Boden gewinne“. Er habe mit seinem deutschen Amtskollegen Cem Özdemir und EU-Landwirtschaftskommissar Janusz Wojciechowski gesprochen, der Interesse an der Initiative gezeigt habe. Er ließ wohlweislich unklar, ob er beide oder nur den polnischen Kommissar meinte.

Die EU hat 2022 knapp 243 Milliarden Euro Subventionen veranschlagt, davon 57 Milliarden Euro für Agrarsubventionen. Die bestehen aus zwei Pfeilern, dem Europäischen Garantiefonds für die Landwirtschaft und dem Europäischen Landwirtschaftsfonds für die Entwicklung des ländlichen Raums. Beide Pfeiler zusammengenommen bilden die Gemeinsame Agrarpolitik (GAP), die 1962 als Werkzeug zur Preisgarantie eingeführt wurde. Vom 1,2 Billionen Euro EU-Budget für die Jahre 2021 bis 2027 entfallen 387 Milliarden Euro auf die GAP, der Großteil auf Direktzahlungen an Landwirt*innen, für ökologische Betriebe und für Nachwuchsbäuer*innen.

Die Hälfte des Einkommens aus Brüssel

Weil das Gros der Mittel entsprechend der landwirtschaftlichen Flächen vergeben wird, bekommen die großen EU-Mitgliedsstaaten auch das meiste Geld aus dem Topf: Ganz vorne liegt Frankreich mit 9,5 Milliarden Euro, gefolgt von Spanien mit 6,9 und Deutschland mit 6,3 Milliarden. Das sagt allerdings nichts darüber aus, wie hoch die Zuschüsse pro Hektar und Betrieb ausfallen. Die hängen nämlich von der Betriebsstruktur und der Förderpolitik des jeweiligen Landes ab. Das meiste Geld pro Hektar erhalten die Bauern in Malta, Zypern und Griechenland. Frankreich liegt mit rund 250 Euro pro Hektar im unteren Mittelfeld und dabei hinter Deutschland.

Aber Frankreich ist und bleibt Agrarland, Lebensmittel haben eine komplett andere Bedeutung als etwa in Deutschland, mithin auch deren Produzent*innen. Dabei hat die französische Landwirtschaft weitgehend eine kleinbäuerliche Struktur. 91 Prozent der Betriebe erhalten Gelder im Rahmen der EU-Agrarsubventionen. Im Schnitt waren es zuletzt 27.000 Euro pro Jahr und Hof. Und für manchen Bäuer*innen war das die Hälfte des Einkommens.

Die ultranationalistischen Rechte des Rassemblement National gewinnt in der Bauernschaft vehement an Einfluss. Das Argument, die derzeitige EU schütze nur die Interessen der deutschen Autoindustrie, aber nicht sie, verfängt zusehends. Dem will und muss vernünftige Politik etwas entgegensetzen. Allein, Frankreich scheint derzeit geneigt, sowohl den Green Deal der EU als auch manche Gemeinsamkeit mit Deutschland diesem Ziel zu opfern. 

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Kay Walter

ist freiberuflicher Journalist in Paris.

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