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Neues Einwanderungsgesetz: Schmach für Macron, Erfolg für Le Pen

Das französische Parlament hat es abgelehnt, den Entwurf von Innenminister Gérald Darmanin für ein neues Einwanderungsgesetz überhaupt zu diskutieren und schon dessen Einbringung verhindert. Eine irrwitzige Allianz von ultrarechten und ultralinken Kräften machte das möglich.

von Kay Walter · 13. Dezember 2023
Frankreichs Präsident Emanuel Macron

Beim Thema Migration hat Frankreichs Präsident Emmanuel Macron eine Schlappe erlitten.

Es war eine schallende Ohrfeige für den sonst so selbstgewissen Innenminister Darmanin. So heftig, dass er Präsident Emmanuel Macron am Montag umgehend seinen Rücktritt anbot. Der lehnte das Gesuch ab, schon weil die Initiative für das neue und deutlich verschärfte Einwanderungsgesetz von ihm selbst ausging. Und insofern ist es auch eine klare Niederlage für den Präsidenten selbst. Was ein Befreiungsschlag für seine Politik hätte werden sollen, hat sich als Bumerang erwiesen.

Der Reihe nach. Macron hat bereits seit Wochen eine große Initiative für ein neues Einwanderungsrecht angekündigt, dass den Präsidenten zurückführen sollte in die Rolle des maßgeblichen Gestalters der Politik. Auf dieser Basis und in diesem Auftrag entstand Darmanins Gesetzentwurf. 

Das Credo von Macrons Politik namens "en même temps" ("gleichzeitig") sollte wiederbelebt werden. Mit einer ausgewogenen Kombination aus repressiven und liberalen Maßnahmen, sollte ein gesellschaftlicher Ausgleich erreicht werden. 

Angespanntes Klima

Doch das Klima, in dem die Debatte stattfindet, ist ausgesprochen angespannt. Die deutliche Mehrheit der Franzosen erwartet und fordert nach den Attentaten der vergangenen Wochen eine strengere Einwanderungspolitik. Der islamistisch motivierte Mord an einem Lehrer in Arras Mitte Oktober und die Attacke beim Eiffelturms Anfang Dezember werden als jüngste Beispiele einer langen Reihe betrachtet und verschieben den Diskurs zunehmend nach rechts.  

Schlagworte bestimmen wie in Deutschland die Debatte: mehr und schnellere Abschiebungen, weniger Unterstützung für Flüchtlinge. Faktisch ist das weitgehend Unsinn. Für Abschiebungen gibt es klare, auch völkerrechtlich bindende Regeln, ganz abgesehen davon, dass Frankreich überhaupt nur einen Bruchteil der Flüchtlingszahlen von Deutschland aufgenommen hat. Und staatliche Unterstützungsleistungen liegen in Frankreich sowieso nahe Null. 

Zum zentralen Streitpunkt hat sich die medizinische Versorgung entwickelt. Linke und sämtliche Hilfsorganisationen halten sie für ein Menschenrecht, die Rechte bezeichnen sie in trauter Eintracht von bürgerlichen Republikanern bis zur Rechtradikalen um Marine Le Pen oder Eric Zemour als „Pull-Faktor“, der abgeschafft gehöre.  

Crashtest mit Ansage

Der Crashtest für Darmanins Gesetz kam am Montag mit Ansage, denn die Grünen hatten ihren Antrag, schon dessen Beratung abzulehnen, lange angekündigt, die sonst kaum noch existierende Fraktionsgemeinschaft NUPES hatte Unterstützung zugesagt. 

Dass Le Pens Anhänger alles unterstützen, was Macron und seinem Kabinett eine Niederlage zufügen kann, war ebenfalls klar. Und dass die konservativen Republikaner sich von so etwas wie „Verantwortung für die Geschicke des Landes“ verabschiedet haben, musste Innenminister Darmanin, der ursprünglich aus dieser Partei kommt, auch wissen.

Das abstruse Zusammenspiel von Links und Rechts fand zusammen und bereitete der Regierung ein absehbares Fiasko. Eine Schmach. Selten hat man Marine Le Pen derart maliziös lächeln sehen, wie beim Verlassen der Nationalversammlung am Montagabend. Glücklich sei sie über die Zurückweisung des Innenministers und darüber, „das französische Territoir (was sich mit Staatsgebiet nur unzureichend übersetzt, sondern auch Lebensart meint) beschützt zu haben“.

Le Pen triumphiert

Zu Recht betrachtet sie den gesamten Prozess als ihren Sieg, und zwar auf ganzer Linie. Sie hat erreicht, gleichzeitig die Regierung zu schlagen, die Linke völlig nebensächlich, ja unwichtig erscheinen zu lassen und die bürgerliche Rechte am Nasenring durch die Abstimmung zu führen. Deren Chef Eric Ciotti, hat seine vormals bürgerlich-konservativen Republikaner unterdessen so sehr auf die Thesen des RN abgestimmt, dass es immer schwieriger wird, zwischen Konservativen und Rechtsradikalen zu unterscheiden. 

Die Wähler honorieren das ausschließlich Marine Le Pen. Das Abdriften erzeugt bei allen Wahlen vernichtende Resultate für die republikanische Rechte. Sie ist darüber hinaus das zentrale Problem für Emmanuel Macron, der keinen zuverlässigen Verbündeten hat, und zwar für den gesamten Rest seiner Amtszeit. 

Nach links will er nicht (mehr) gucken und rechts, herrschen unter Ciotti Chaos und Anbiederung an Ultrarechts. Es stellt sich die Fragen, wie Macron ohne eigene Mehrheit weiter regieren will. Von dem kraftvollen Erneuerer, als der er einst angetreten war, ist nichts mehr zu erkennen.

Kompromisse unerwünscht

Frankreich ist auf Polarisierung ausgelegt, auf zwei gegensätzliche Lager, wobei dem jeweils Stärkeren qua Wahlsystem eine Mehrheit verschafft wird, die das Regieren ermöglicht. Kompromisse, Koalitionen und Austausch sind weder vorgesehen noch eingeübte Praxis.

Im Gegenteil, zwar schaut man bisweilen neidisch auf die deutsche Sehnsucht zum Ausgleich, aber meist doch eher mitleidig, nicht nur, wenn die Ampel sich schwer tut, den Kompromiss zu finden.

Dafür kann Macron im Präsidialsystem theoretisch auch ohne Mehrheit im Parlament mit Notverordnungen und dem Paragrafen 49.3 weiter regieren. Aber er weiß natürlich, wie undemokratisch das letztlich ist und welche verheerenden Folgen das mit sich brächte. Marine Le Pen würde nicht nur die Europawahlen im kommenden Juni mit großen Sicherheit gewinnen, sondern dann eben auch die Präsidentschaftswahlen 2027. Das wäre dann die ultimative Niederlage für Macron.

Deutliche Mehrheit

Oder aber, er nimmt den Kampf um die öffentliche Meinung endlich auf, wie allen voran die Tageszeitung „Le Monde“ ihm dieser Tage rät. Er sei schließlich nicht mittellos, steht da zu lesen, weil die Franzosen letztlich politische Spielchen und Ranküne nicht schätzten. Und im Gegensatz zu seiner Rentenreform habe das Einwanderungsgesetz laut allen Meinungsumfragen eine deutliche Mehrheit in der Bevölkerung „Dies ist der einzige Vermögenswert, der in seinen Händen bleibt“, schreibt die Zeitung. 

Zum Kampf gehört zwingend aber auch, dass Macron endlich damit anfängt, die Bürger*innen ernst zu nehmen und ihnen seine Politik zu erklären. Kommunikation heißt das Zauberwort. Und das ist mehr als eine Ansprache zur besten Sendezeit im TV.

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Kay Walter

ist freiberuflicher Journalist in Paris.

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