Frankreich: Was sich Macron von seinem neuen Premier erhofft
Der 34-Jährige Gabriel Attal ist der jüngste Premierminister in der Geschichte Frankreichs. Er löst seine glücklose Vorgängerin Elisabeth Borne ab. Was sich Präsident Macron von diesem Wechsel verspricht, erklärt Adrienne Woltersdorf, Büroleiterin der Friedrich-Ebert-Stiftung in Paris, im Interview.
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Die eine geht, der andere kommt: In Frankreich ist Elisabeth Borne als Premierministerin zurückgetreten. Ihr Nachfolger ist der fast 30 Jahre jüngere Gabriel Attal.
In Frankreich ist Premierministerin Elisabeth Borne zurückgetreten. Präsident Macron soll zudem planen, zahlreiche Kabinettsmitglieder auszuwechseln. Was ist der Grund für die Regierungsumbildung?
Offiziell hat Emmanuel Macron noch keine Erklärung dazu abgegeben. Es gab aber in den letzten Tagen in Paris bereits Spekulationen. Die Regierung hat mit dem Gesetzesentwurf für ein neues Immigrationsgesetz im Dezember einen kräftigen Dämpfer erlitten. Dadurch haben sich in Macrons Partei Renaissance erhebliche ideologische Gräben aufgetan zwischen dem rechten und dem linken Flügel. Das Macron-Lager ist somit sehr geschwächt. Es scheint, dass Macron sich und seine Partei im Hinblick auf die Europawahlen im Juni besser aufstellen will, weil die Wahlprognosen für die politische Mitte recht düster sind.
Adrienne
Woltersdorf
Viele Kritiker fragen sich, ob man in Frankreich überhaupt noch in einer Demokratie lebe
Im Zuge des Immigrationsgesetzes musste Macron im Dezember Zugeständnisse an die Konservativen machen – auch an Marine Le Pens Rassemblement National. Wie sehr steht er unter Druck?
Macron hat seit den Parlamentswahlen 2022 weder in der Nationalversammlung noch im Senat eine Mehrheit. Was die Regierungszeit von Elisabeth Borne geprägt und auch beschädigt hat: Nach dem Sozialisten Michel Rocard ist sie die Premierministerin, die am meisten mit einer Verfügung regiert hat, die in Frankreich sehr verhasst ist – mit dem Artikel 49.3 der französischen Verfassung. Dieser erlaubt dem französischen Präsidenten ein „Durchregieren“, auch ohne Zustimmung einer Parlamentsmehrheit. Das hat Elisabeth Borne in ihrer 20-monatigen Regierungszeit ganze 23 Mal getan. Viele Kritiker fragen sich, ob man in Frankreich überhaupt noch in einer Demokratie lebe oder ob nur noch per Dekret regiert werde. Das zeigt, dass dem Macron-Lager eigentlich auf demokratischem Wege nichts mehr gelingt, außer unter Anwendung der politischen Keule, die dem französischen Präsidentenamt zusteht.
Mit Gabriel Attal steht Bornes Nachfolger bereits in den Startlöchern. Für welche Richtung steht der neue Premierminister?
Attal war zuvor Macrons Regierungssprecher und zuletzt Bildungsminister im Kabinett von Borne. Mit seinen 34 Jahren wird er der jüngste Premierminister, den Frankreich je hatte. Er gilt als Polit-Karrierist, den man politisch kaum verorten kann. Er ist quasi eine jüngere Ausgabe von Macron. Attal macht ebenfalls Politik ohne Ideologie und löst die Dinge eher technokratisch. So ist Macron damals auch angetreten.
Adrienne
Woltersdorf
Alles deutet darauf hin, dass die Rechten weiter erstarken.
Ist ein Sieg von Marine Le Pen bei den Europawahlen noch zu verhindern?
Derzeit führt das Le-Pen-Lager ohne Mühe die Umfragen an, zum Teil liegt es bei 30 Prozent im Hinblick auf die EU-Wahlen. Das sind sehr düstere Aussichten für die fünfte Republik. Alles deutet darauf hin, dass die Rechten weiter erstarken. Während die Le-Pen-Anhänger und die, die mit ihr sympathisieren, hochmotiviert sind und auf jeden Fall zu den Wahlurnen gehen werden, sind die übrigen Wählenden ratlos.
Das linke Lager ist durch interne Streitereien dezidiert geschwächt. Es scheint, dass es einfach keine politische Mitte mehr gibt. Es sieht jedenfalls nicht so aus, als würden die Franzosen noch einmal Wohlwollen zeigen und Macron wählen, nur um Marine Le Pen zu verhindern. Insofern ist auch in Frankreich mit einem deutlichen Sieg der politischen Rechten zu rechnen.
Warum sind die Franzosen derzeit so unzufrieden?
Das entspringt einer gefühlten und realen Verschlechterung der Lebensverhältnisse. Allen voran dominieren die Themen Migration und die sich verringernde Kaufkraft. Die Stimmung nach der Heraufsetzung des Rentenalters im letzten Jahr ist schlecht. Viele wichtige Reformen, sowohl in den Sozialsystemen als auch im Bildungssystem, sind steckengeblieben. Man könnte sagen, nicht unähnlich wie in Deutschland. Die größte Gefahr für Macron und die traditionellen Parteien ist nicht so sehr, dass ihre Anhänger ins Le-Pen-Lager überlaufen würden. Es steht eher zu befürchten, dass es eine große Abstinenz am Wahltag geben wird. Die größte Gruppe unter den Wahlberechtigten könnten die Nicht-Wählenden sein. Umfragen zeigen, dass viele Menschen es einfach aufgegeben haben, in diesem politischen System des Durchregierens Gehör zu finden. Macrons Regierungsstil hat massiv dazu beigetragen, aber auch die vielfältigen gesellschaftlichen Verwerfungen. Viele haben einfach nicht mehr das Vertrauen, dass es hier in Paris noch um sie und um ihre Probleme geht, weshalb selbst dieser Regierungsrücktritt und die Ernennung Attals kaum wirklich zu interessieren scheint.
Am 9. Januar erschienen im IPG-Journal.
leitet die Redaktion des IPG-Journals. Zuvor war er Leiter des Regionalbüros „Dialog Osteuropa“ der Friedrich-Ebert-Stiftung in Kiew. Er hat in Mainz und Kalifornien Politikwissenschaft, Jura und Amerikanistik studiert.