Inland

Zoll-Deal mit den USA: „Für die Stahlindustrie eine absolute Katastrophe“

Künftig sollen auf Aluminium und Stahl aus der EU in den USA Zölle in Höhe von 50 Prozent erhoben werden. Timo Ahr, stellvertretender Vorsitzender der SPD-Fraktion im Saarland, will den „Zoll-Deal“ deshalb nachverhandeln. Von der Bundesregierung fordert er einen „Stahlgipfel“.

von Jonas Jordan · 1. August 2025
Stahlarbeiter in silberner Schutzkleidung beim Abstich flüssigen Stahls am Hochofen

Stahlarbeiter am Hochofen: Jetzt könnte mit den USA der zweitwichtigste Absatzmarkt wegbrechen.

Nach langem Ringen haben sich die EU und die USA vor einigen Tagen im Zollstreit geeinigt. Künftig sollen Zölle in Höhe von 15 Prozent auf die meisten Waren aus der EU fällig werden. Bei Stahl und Aluminium sollen es aber weiterhin 50 Prozent sein. Was halten Sie von der Vereinbarung?

Für die Stahlindustrie ist sie eine absolute Katastrophe. Es entsteht der Eindruck, dass EU-Kommissionspräsidentin von der Leyen den Fokus nicht auf Stahl gesetzt hat, sonst lägen die Zölle nicht bei 50 Prozent. Dabei ist Stahl für die Europäische Union von unschätzbarer Relevanz. Nur wenn die Stahlindustrie in Europa stark und stabil bleibt, wird die sozial-ökologische Transformation gelingen. Wir haben während der Corona-Pandemie gesehen, was passiert, wenn Lieferketten nicht mehr funktionieren. Ob für Off-Shore Windkraft oder Verteidigung, eine starke Stahlindustrie ist unverzichtbar. Diese Branche in den Verhandlungen so zu vernachlässigen ist ein Riesenproblem. Das wird die Stahlindustrie zusätzlich unter Druck setzen.

Welche Auswirkungen befürchten Sie?

Es gab bereits massive Einbrüche auf dem wichtigsten Absatzmarkt China. Jetzt könnte mit den USA der zweitwichtigste Absatzmarkt wegbrechen. Das schlägt bei uns als Exportland ordentlich ins Kontor. Deswegen darf man sich mit dieser Einigung nicht zufriedengeben, sondern muss beim Stahl nachverhandeln. Das Ziel muss sein, die europäische und auch die deutsche Stahlindustrie mit entsprechenden Maßnahmen auf europäischer Ebene zu schützen. Sonst können wir noch so viel über Transformation und resiliente Wertschöpfungsketten sprechen. Dann wird es am Ende nicht funktionieren. Wir müssen das Thema Stahl in Deutschland und Europa endlich ernst nehmen. Deshalb fordern wir als SPD einen bundesweiten Stahlgipfel.

Was erhoffen Sie sich davon?

Beim Wirtschaftsgipfel von Friedrich Merz spielte die Stahlindustrie keine große Rolle. Die Stahlindustrie ist jedoch zu relevant und die drohenden Einschnitte für Deutschland, aber auch für das Saarland wären zu groß, um das Thema nebenbei laufen zu lassen. Deshalb muss dieser Stahlgipfel alle Akteure dafür sensibilisieren, dass wir eine gemeinschaftliche Aufgabe haben, um die Industrie in Deutschland und Europa zu stärken. Stahl spielt dafür die entscheidende Rolle. Deshalb muss dieser Stahlgipfel schnellstmöglich kommen.

Timo
Ahr

Wenn wir jetzt europäisch nicht gegensteuern, sondern weiter mit Dumping-Stahl aus China überschwemmt werden, dann werden wir nicht weiterkommen.

Während die USA auf der einen Seite als Absatzmarkt wegbrechen, kommt auf der anderen Seite immer mehr Billigstahl aus Asien nach Europa. Muss der heimische Markt dagegen stärker geschützt werden?

Definitiv, innerhalb Deutschlands, aber auch innerhalb der Europäischen Union. Wir müssen in unserem Handelsraum dafür sorgen, dass die Aufträge an Unternehmen fließen, die ordentlich bezahlen und gewisse Umweltstandards einhalten. Die französische Staatsbahn SNCF bestellt grüne Schienen (deren Stahl klimaneutral produzidert wurde, Anm.d.Red.) bei einer französischen Tochtergesellschaft der Saarstahl AG. Diesem Beispiel folgend könnte die Deutsche Bahn zukünftig auch Schienen aus grünem Stahl beziehen. Diesen Doppeldruck müssen wir durch eine ordentliche Industriepolitik hier im Land, aber auch in der Europäischen Union entgegenwirken.

Aber steht grüner Stahl aktuell nicht auf sehr wackligen Füßen?

Ja, das ist so, auch weil politische Maßnahmen wie ein Stahlgipfel auf sich warten lassen. Wir haben in den vergangenen Jahren hier im Land mit dem Transformationsfonds und auch von der Bundesebene viel Geld akquiriert, um grünen Stahl auf den Weg zu bringen. Wir haben das im Schulterschluss mit den Unternehmen und den Beschäftigten gemacht, und wir haben ein klares Ziel, an dem wir im Saarland festhalten. Trotzdem steht dieses Gesamtprojekt immer noch auf wackeligen Beinen, weil wir von ganz, ganz vielen Dingen global abhängig sind. Wenn wir jetzt europäisch nicht gegensteuern, sondern weiter mit Dumping-Stahl aus China überschwemmt werden, dann werden wir nicht weiterkommen. Wir haben die Chance Jobs und Wertschöpfung zu sichern, aber dafür muss die Politik im Bund und in Europa die Weichen richtig stellen. Dafür trommeln wir und werden auch nicht müde, das weiter zu tun.

Was halten Sie von der Idee eines Stahl-Solis, so wie damals der Kohle-Pfennig?

Alles, was hilft, Brücken zu schaffen, damit die Stahlindustrie überlebt, kann sinnvoll sein. Es darf aber nicht sein, dass die Kosten für solche Brücken die Bürgerinnen und Bürger zahlen sollen. Da muss auch das Kapital ran. Noch hilfreicher wäre aber, das umzusetzen, was im Koalitionsvertrag steht. Damit wäre der Stahlindustrie geholfen. Die Wirtschaftsministerin kommt aus der Energiesparte und kennt die Bedürfnisse. Sie muss jetzt mehr Druck reinbringen. Das ist der klare Arbeitsauftrag an die Bundesregierung. Denn eine aktive Industriepolitik in Deutschland zu betreiben, wird in der Zukunft nicht weniger wichtig, sondern noch viel entscheidender.

Timo
Ahr

Wir werden weiter alles in unserer Macht Stehende tun, um dafür zu sorgen, dass Arbeitsplätze gesichert werden und Unternehmen ihre Standorte nicht verlagern.

Allein im Saarland arbeiten 12.000 Menschen in der Stahlindustrie. Wie können Sie ihnen Sicherheit und Zukunftsaussichten vermitteln?

Die Kolleginnen und Kollegen sind seit 2014 dauerhaft im Kampf um den Erhalt der Stahlindustrie. Ich ziehe den Hut vor den Betriebsräten und der IG Metall, die es neben diesen großen politischen, globalen Themen schaffen, sich um die Menschen und die Probleme im klassischen Arbeitsleben zu kümmern. Sie machen ihnen Mut und sorgen dafür, dass sie für ihre Arbeitsplätze auf die Straße gehen. Doch es wird zunehmend schwieriger, diese Zukunftsaussichten aufzuzeigen, wenn die Kolleginnen und Kollegen jede Woche von einer neuen Krise lesen, die direkte Auswirkungen auf die Stahlindustrie hat. 

Die Beschäftigten verzichten jetzt schon auf Einiges, damit es in der Stahlindustrie weitergehen kann. Das sind massive Einschnitte für die Menschen, die sie in Kauf genommen haben. Deswegen sind die Erwartungen hoch, dass es gelingt. Ich sage: Wir schaffen das, wir müssen das schaffen. Wir haben uns auf den Weg gemacht und wir halten daran fest, auch wenn andere rundherum abspringen. Denn grüner Stahl ist alternativlos und die Stahlindustrie ist für das Saarland, für Deutschland und für die EU systemrelevant. Wir müssen dafür sorgen, dass die Hoffnung nicht stirbt.

Ausreichend Arbeitsplätze zu schaffen, war das zentrale Thema beim Wahlerfolg der SPD im Saarland vor drei Jahren. Wie wichtig wird es, diesem Vertrauen der Menschen mit Blick auf die nächste Landtagswahl 2027 gerecht zu werden?

Wir sind die Partei der Arbeit und wollen für die Menschen, die jeden Tag alles geben, da sein und für sie Politik machen. Wir werden weiter alles in unserer Macht Stehende tun, um dafür zu sorgen, dass Arbeitsplätze gesichert werden und Unternehmen ihre Standorte nicht verlagern. Einige Ansiedlungserfolge sind uns auch schon gelungen. Zur Wahrheit gehört aber auch, dass uns in den vergangenen Jahren Einschläge getroffen haben, auf die wir keinen Einfluss haben. Trotzdem bleibt unser Versprechen, für die Arbeiterinnen und Arbeiter da zu sein.

Der Gesprächspartner

Timo Ahr ist SPD-Landtagsabgeordneter im Saarland. In einem Stahlkonzern absolvierte er eine Ausbildung zum Industriekaufmann und engagierte sich gewerkschaftlich in der IG Metall. Ahr ist stellvertretender DGB-Vorsitzender für Rheinland-Pfalz und das Saarland.

Timo Ahr im Anzug vor einer Hochofenanlage
Autor*in
Jonas Jordan
Jonas Jordan

ist Redakteur des „vorwärts“. Er hat Politikwissenschaft studiert und twittert gelegentlich unter @JonasJjo

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