Inland

Warum die Regenbogenflagge in Wismar jeden Mittwoch am Rathaus hängt

Um ein Zeichen gegen rechte Anfeindungen zu setzen, hat Wismars SPD-Bürgermeister Thomas Beyer beschlossen, jeden Mittwoch die Regenbogenflagge am Rathaus zu hissen. Im Interview sagt er, was ihn dazu bewegt hat und warum er das Flaggen-Verbot auf dem Bundestag für falsch hält.

von Jonas Jordan · 28. Juli 2025
Bürgermeister Thomas Beyer vor der Regenbogenflagge am Rathaus der Stadt Wismar

Bürgermeister Thomas Beyer vor der Regenbogenflagge am Rathaus der Stadt Wismar

Wir sprechen an einem Mittwoch. Hängt die Regenbogenflagge heute wieder am Rathaus?

Ja. Als ich heute Morgen zum Dienst kam, hat sie mich begrüßt.

Sie haben entschieden, die Regenbogenflagge an jedem Mittwoch am Rathaus aufhängen zu lassen. Warum?

Es gibt verschiedene Gründe. Als ich neulich die Hochschule in Wismar besucht habe, wurde mir berichtet, dass dort die Regenbogenflagge vor dem Hauptgebäude der Hochschule bereits mehrfach angegriffen und einmal sogar von Nazis runtergerissen wurde, die anschließend Videos mit dem Hitler-Gruß vor der Regenbogenflagge veröffentlicht haben. Mit Blick auf die bundesweite Debatte finde ich es ausgesprochen schräg, bei der Regenbogenflagge parteipolitische Neutralität ins Feld geführt wird. Deswegen habe ich mich entschlossen, dieses Symbol für Vielfalt in der Stadtgesellschaft mitten in der Woche an jedem Mittwoch zu zeigen. Das ist auch von vielen Leuten begrüßt worden. Ich bin auf der Straße angesprochen worden, aber es gibt natürlich auch andere, die das nicht gut finden.

Thomas 
Beyer

Es ist nicht das erste Mal, dass die Regenbogenflagge vor dem Rathaus hängt, aber jetzt wollte ich das noch regelmäßiger machen.

Gab es aus der Richtung entsprechende Reaktionen?

Auf den Social-Media Plattformen durchaus, aber ich habe keine Zuschriften oder ähnliches bekommen. Alle wissen, dass ich hier mein Hausrecht wahrnehme. Insofern kann ich das auch allein entscheiden. Es ist ohnehin nicht das erste Mal, dass hier die Regenbogenflagge vor dem Rathaus hängt. Zu bestimmten Anlässen haben wir sie schon seit Jahren gehisst, aber jetzt wollte ich das noch regelmäßiger machen. Denn die Ausgrenzungstendenzen in der Gesellschaft gegenüber lesbischen und schwulen Menschen wird immer größer. Sie werden zunehmend angegriffen. Insofern ist das auch ein Zeichen der Solidarität.

Bei der Bundestagswahl im Februar hat die SPD in Wismar 19,5 Prozentpunkte eingebüßt, die AfD gewann 16 Prozentpunkte dazu und wurde stärkste Kraft. Wird es dadurch schwieriger, für die gesellschaftliche Akzeptanz von Vielfalt einzustehen?

Mich hat das erschüttert. Die Kommunalwahl im vergangenen Jahr hat die SPD noch gewonnen und stellt nach wie vor die größte Fraktion in der Bürgerschaft. Trotzdem merken wir das Erstarken der AfD. Die Aggressivität sowohl gegenüber Geflüchteten als auch gegenüber Lesben und Schwulen hat zugenommen. In Wismar versuchen wir Alltagsrassismus immer wieder zu thematisieren. Wir haben eine ganze Reihe von Projekten, in denen wir uns damit auseinandersetzen, aber gegen diese allgemeine Tendenz kommen wir auch nur schwer an.

Thomas
Beyer

Das ist respektlos. Ich habe kein Verständnis für die Äußerung von Friedrich Merz.

Bundeskanzler Friedrich Merz hat mit der Begründung, der Bundestag sei kein „Zirkuszelt“, gegen die Regenbogenflagge am Reichstagsgebäude argumentiert. Was haben Sie bei dieser Äußerung gedacht?

Das ist respektlos. Ich habe kein Verständnis für so eine Äußerung. Ich halte auch die Entscheidung der Bundestagspräsidentin Julia Klöckner für falsch, vor allen Dingen die Begründung mit Verweis auf die Neutralität. Es geht darum, zu sagen: Egal, ob schwul, lesbisch, transsexuell oder heterosexuell – sie gehören alle zu dieser Gesellschaft. Genau das drückt diese Flagge aus. Sie ist ein großes Versöhnungs- und Freiheitszeichen. Das hat mit politischer Neutralität nichts zu tun.

Würden Sie sich wünschen, dass noch mehr Oberbürgermeister*innen Ihrem Beispiel folgen und auch dieses Versöhnungszeichen prominent am Rathaus hissen?

Das müssen die Kollegen selbst entscheiden. Ich freue mich über jeden, der so etwas ähnliches macht. Das tun auch einige. In Neubrandenburg hat dagegen die Stadtvertretung einen gegenläufigen Beschluss gefasst hat, was dazu geführt hat, dass mein Kollege Silvio Witt als Oberbürgermeister zurückgetreten ist. Mich hat das extrem betroffen gemacht. Ich kenne ihn sehr gut und habe auch bis zum heutigen Tage Kontakt zu ihm, aber er hat damit auch ein Zeichen gesetzt. Das fand ich ausgesprochen gut. Er hat sich offen zu seiner Homosexualität bekannt und natürlich ist das auch ein persönlicher Angriff auf ihn gewesen. Diese Geschichte hatte ich im Hinterkopf, als ich diese Entscheidung getroffen habe.

Sie sprachen von Vorfällen an der Hochschule, wo die Regenbogenflagge abgerissen wurde. Was würden Sie machen, wenn so etwas auch mit der Flagge am Rathaus passiert?

Erstens Anzeige erstatten. Sofern wir das dokumentieren können, natürlich auch dokumentieren und das dokumentierte Material ebenfalls der Polizei übergeben. Dann wird eine neue Regenbogenflagge aufgehängt.

Autor*in
Jonas Jordan
Jonas Jordan

ist Redakteur des „vorwärts“. Er hat Politikwissenschaft studiert und twittert gelegentlich unter @JonasJjo

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