Inland

Warum der Mindestlohn auf über 14 Euro steigen muss

SPD-Chef Lars Klingbeil fordert eine deutliche Erhöhung des Mindestlohns. Co-Chefin Saskia Esken will dazu eine Reform der Kommission, die über die Höhe entscheidet. Was das ganze mit einer EU-Richtlinie zu tun hat, erklären wir hier.

von Vera Rosigkeit · 30. April 2024
Mindestlohn

Der Mindestlohn in Deutschland liegt aktuell bei 12,41 Euro, sollte aber mehr als 14 Euro betragen

Gewerkschaften und SPD wollen einen höheren Mindestlohn. Der liegt aktuell bei 12,41 Euro brutto die Stunde. Die Festlegung der Lohnuntergrenze wird jedoch nicht von der Regierung entschieden, sondern von der Mindestlohnkommission. SPD-Chefin Saskia Esken möchte die gesetzlichen Vorgaben für diese Kommission verändern, damit Entscheidungen nur noch im Konsens getroffen werden können, sagte sie der Hannoverschen Allgemeinen Zeitung am Montag. Eine Anhebung des Mindestlohns in Deutschland würde zudem den Vorgaben einer EU-Richtlinie folgen, die gemeinsame europäische Standards für die Berechnung armutsfester Mindestlöhne vorgegeben hat. Profitieren würden davon wohl mehr als acht Millionen Erwerbstätige in Deutschland. Wie das alles zusammenhängt, erklären wir hier.

Wie hoch der gesetzliche Mindestlohn in Deutschland aktuell ist

In diesem Jahr beträgt der Mindestlohn 12,41 Euro brutto die Stunde. In 2025 wird er um 41 Cent auf 12,82 Euro erhöht.

Wer über die Höhe des Mindestlohns entscheidet

In Deutschland entscheidet die Mindestlohnkommission über die Höhe der Lohnuntergrenze. Sie setzt sich aus insgesamt neun Mitgliedern zusammen. Jeweils drei Mitglieder vertreten Arbeitnehmer*innen auf der einen und Arbeitgeber*innen auf der anderen Seite. Diese sechs Mitglieder sind stimmberechtigt. Ohne Stimmrecht sind die zwei wissenschaftlichen Mitglieder der Kommission.
Die Beschlüsse der Mindestlohnkommission werden mit einfacher Mehrheit gefasst, wobei sich die Vorsitzende zunächst der Stimme zu enthalten hat. Wenn allerdings keine Stimmenmehrheit zustande kommt, macht die Vorsitzende einen Vermittlungsvorschlag.

Warum die SPD eine Reform bei der Kommission möchte

Die Entscheidung der Kommission im Juni 2023 über die Anhebung von 12 auf 12,41 Euro war keine Konsensentscheidung. Da sich die Vertreter*innen der Arbeitnehmer- und Arbeitgeberseite nicht verständigen konnten, stimmte die amtierende Vorsitzende der Kommission zugunsten der Vertreter*innen der Arbeitgeber. Gewerkschaften, Sozialverbände und auch die SPD protestierten nicht nur gegen die ihrer Meinung nach zu geringe Erhöhung, sondern auch weil er keine gemeinsame Entscheidung war. 

Was Olaf Scholz, Saskia Esken und Lars Klingbeil sagen

Enttäuscht darüber zeigte sich auch Bundeskanzler Olaf Scholz im Juli 2023 im ARD-Sommerinterview als er betonte, dass er es sich nicht habe vorstellen können, dass die Entscheidung keine gemeinschaftliche Entscheidung der Sozialpartner, sondern eine Mehrheitsentscheidung gewesen sei. „Für die Anerkennung wäre es wichtig, dass in der Zukunft möglichst gemeinsame Entscheidungen gesucht werden“, betonte er. 
Die Vorsitzenden der SPD Lars Klingbeil und Saskia Esken greifen diese Forderungen auf. Klingbeil erwartet von der Mindestlohnkommission beim nächsten Mal eine deutliche Erhöhung vorzuschlagen, sagte er vergangenen Freitag gegenüber der Stuttgarter Zeitung. Gleichzeitig ärgere er sich „bis heute, dass die Arbeitgeber beim letzten Mal einseitig eine stärkere Erhöhung des Mindestlohns blockiert haben, obwohl die Inflation dies erfordert hätte“. Esken fordert, die gesetzlichen Vorgaben für diese Kommission so zu verändern, dass Entscheidungen nur noch im Konsens getroffen werden können. „So ist es auch in Tarifverhandlungen üblich.“, erklärt sie der Hannoverschen Allgemeinen Zeitung. „Man müsse ich einigen, die eine Seite kann die andere nicht überstimmen. Das wäre auch beim Mindestlohn sinnvoll“, ist sie überzeugt.

Was die EU-Mindestlohnrichtlinie mit der Höhe des deutschen Mindestlohns zu tun hat 

Im September 2022 hat die Mehrheit der europäischen Abgeordneten für eine neue EU-Mindestlohnrichtlinie gestimmt. Da die EU den Mitgliedstaaten weder einen gemeinsamen europäischen Mindestlohn  noch die Höhe nationaler Mindestlöhne vorschreiben darflegt die Richtlinie gemeinsame Berechnungs- und Statistikstandards für die Berechnung von armutsfesten Mindestlöhnen fest. Die SPD-Europaabgeordnete Gaby Bischoff erklärt im vorwärts-Interview: „Als europäische Sozialdemokratie haben wir erreicht, das folgende Kriterien in der Richtlinie festgehalten werden: der Mindestlohn eines Landes sollte mindestens 60 Prozent des nationalen Bruttomedianlohns bzw. 50 Prozent des Bruttodurchschnittslohns betragen. Die Forschung geht davon aus, dass das die Mindestanforderung für einen existenzsichernden Lohn ist.“ Für die Umsetzung haben die Mitgliedsstaaten zwei Jahre Zeit, also bis Herbst 2024.

Warum die Tarifbindung in die Richtlinie mit ein bezogen wurde

Für Gaby Bischoff war es richtig, die Tarifbindung in die Richtlinie für europäische Mindestlöhne einzubeziehen. „Mindestlöhne sind ein wichtiges Hilfsmittel, aber gute Löhne und faire Arbeitsbedingungen werden durch Tarifverträge erreicht“, sagt sie. Die Richtlinie sieht für Mitgliedstaaten, in denen weniger als 80 Prozent der Arbeitsverhältnisse unter den Geltungsbereich von Tarifverträgen fallen, künftig Aktionspläne entwerfen und umsetzen müssen. Deutschland zählt dazu. Darin müssen sie konkrete Maßnahmen und einen Zeitplan nennen, um Tarifverhandlungen zu fördern.

Wie hoch ein Durchschnittslohn in Deutschland ist

Laut Statistischen Bundesamt verdiente ein bzw. eine Beschäftigte in Vollzeit im April 2023 durchschnittlich 4.323 Euro brutto im Monat. Das entspricht einem Stundenlohn von 25,94 Euro. 

Warum der DGB Niedersachsen von mindestens 14 Euro als Untergrenze ausgeht

Auf X, ehemals Twitter, fordert der DGB Niedersachsen am Montag eine deutliche Erhöhung des Mindestlohns in Deutschland, um die Vorgaben der EU-Mindestlohnrichtlinie einzuhalten. Dort heißt es: „Eine EU-Richtlinie, die bis November in nationales Recht umgesetzt werden muss, nennt als Richtwert für einen armutsfesten Lohn 60 Prozent des mittleren Einkommens. In Deutschland wären dies mindestens 14 Euro pro Stunde. Der Mindestlohn muss also deutlich erhöht werden.“

Die SPD in Sachsen hat bereits in der vergangenen Woche klargestellt, dass sie einen Mindestlohn von 15 Euro fordert. Petra Köpping, SPD-Spitzenkandidatin zur bevorstehenden Landtagswahl, sagte dem Nachrichtenportal T-Online am Donnerstag: „Die Steigerung auf 12,41 Euro am Jahresanfang war viel zu gering. Wir brauchen einen Mindestlohn von 15 Euro, damit die Menschen von ihrer Arbeit leben können.“

So viele Beschäftigte verdienen weniger als 14 Euro

Profitieren würden von einem Mindestlohn über 14 Euro derzeit mehr als acht Millionen Erwerbstätige in Deutschland. Das geht aus der Antwort des Bundesarbeitsministeriums auf eine Anfrage der Partei Die Linke im Bundestag hervor, über die der Spiegel am Montag berichtete. Die Angaben beziehen sich auf April 2023.

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Vera Rosigkeit

hat Politikwissenschaft und Philosophie in Berlin studiert und ist Redakteurin beim vorwärts.

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