Urteil zur Wahlrechtsreform: Was sich nun ändert – und was noch offen ist
Das Bundesverfassungsgericht hat die von der Ampelkoalition vorgelegte Reform des Wahlrechts im Kern bestätigt. Allerdings erklärte es die Streichung der Grundmandateklausel für verfassungswidrig. Was das mit der 5-Prozent-Hürde zu tun hat und wie es nun weitergeht.
IMAGO / Achille Abboud
Mit der Wahlrechtsreform soll sich künftig die Zusammensetzung des Bundestags verändern.
Karlsruhe urteilte über das neue Wahlrecht, das der Bundestag im März 2023 mit den Stimmen der Ampel-Koalition beschlossen hat. Die Ampel wollte damit den Bundestag, der aktuell 734 Abgeordnete umfasst, dauerhaft auf 630 Sitze verkleinern. Deshalb wurden Überhang- und Ausgleichsmandate abgeschafft, ebenso die Grundmandateklausel. Das Konzept war aber sehr umstritten. Gegen das reformierte Bundeswahlgesetz klagten beim Bundesverfassungsgericht die CSU, das Land Bayern, die CDU/CSU-Abgeordneten im Bundestag und die Linke.
Was das Gericht rügt
Gerügt hat das Bundesverfassungsgericht nur den Wegfall der Grundmandateklausel. Diese Regelung ermöglichte bisher Parteien den Einzug in den Bundestag, wenn sie zwar an der 5-Prozent-Hürde scheitern, aber mindestens drei Direktmandate in den Wahlkreisen holen. 2021 profitierte die Linke davon, die bundesweit nur 4,9 Prozent der Stimmen erreichte. Die CSU wäre mit 5,2 Prozent der Stimmen fast auch auf die Regelung angewiesen gewesen.
Das Verfassungsgericht entschied, dass die 5-Prozent-Klausel ohne Grundmandatsklausel verfassungswidrig ist. Grundsätzlich sei die 5-Prozent-Hürde zwar gerechtfertigt, um die Funktionsfähigkeit des Bundestags zu sichern. Bei der CSU sei die 5-Prozent-Klausel aber nicht nötig, weil ihr Einzug in den Bundestag nicht zur Zersplitterung des Parlaments beitrage. Traditionell schließe sich die CSU mit der CDU zu einer gemeinsamen Fraktion zusammen.
Wo das Gericht zustimmt
Keine Einwände hatte das Verfassungsgericht gegen den Kern des neuen Wahlrechts, wonach die Parteien nur noch soviele Sitze im Bundestag erhalten, wie ihnen nach dem Zweitstimmen-Ergebnis zustehen. Wenn eine Partei mehr Wahlkreise gewonnen hat, als ihr Sitze zustehen, gehen die prozentual schwächsten Wahlkreisgewinner leer aus. Dies kann zwar dazu führen, dass es nicht mehr in allen Wahlkreisen direkt gewählte Abgeordnete gibt. Dies verstoße aber nicht gegen das Grundgesetz, das dem Gesetzgeber einen weiten Gestaltungsspielraum gebe. „Der Gesetzgeber kann Änderungen einführen, die ein Umdenken der Wähler erfordern“, sagte Doris König, die Vizepräsidentin des Gerichts.
Grundmandatsklausel und Fünf-Prozent-Hürde
Der Gesetzgeber kann nun die Fünf-Prozent-Klausel neu regeln, muss dies aber nicht. Das Gericht hat keine Frist gesetzt. Bis zu einer Neuregelung gilt wieder die alte Grundmandatsklausel. Das heißt: Wenn eine Partei nur 4,8 oder 2,8 Prozent der Zweitstimmen erhält, aber in drei Wahlkreisen am meisten Erststimmen erhält, kann sie mit allen ihr prozentual zustehenden Abgeordneten in den Bundestag einziehen. Dies gilt nicht nur für die CSU, sondern auch für die Linke und andere Parteien.
Bei einer Neuregelung der Fünf-Prozent-Klausel könnte der Bundestag auch mehr als drei Grundmandate verlangen, zum Beispiel fünf Mandate. Alternativ könnte der Bundestag aber auch die Fünf-Prozent-Hürde auf vier oder drei Prozent absenken oder Parteien, die wie cDU und CSU gemeinsam eine große Fraktion bilden, ausnehmen. Der Gestaltungsspielraum sei groß, betonten die Richter*innen.
Das Urteil war schon am späten Montagabend bekannt geworden, weil es mit einem speziellen Link auf dem Server des Gerichts abrufbar war. „Das Gericht prüft, wie es dazu kommen konnte“, sagte Vizepräsidentin König bei der Urteilsverkündung.