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Reform des Wahlrechts: Was sich ändern soll, was noch fehlt

Am Freitag hat der Bundestag erstmals über die Reform des Wahlrechts diskutiert. Die Redner*innen der SPD betonten dabei, warum das Parlament schrumpfen muss. Eine Neuerung wurde dabei vermisst.
von Kai Doering · 27. Januar 2023
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Es ist mittlerweile zu einem gewohnten Bild geworden. Nach jeder Bundestagswahl beginnt das Stühlerücken. Techniker*innen tragen neue Sitzmöglichkeiten in den Plenarsaal im Reichstagsgebäude und verschrauben sie im Boden. In den Nebengebäuden müssen neue Büros eingerichtet werden. Gleich mehrfach wurde in den vergangenen Jahren angebaut.

736 Abgeordnete hat der Bundestag zurzeit, so viele wie nie zuvor. Und 138 mehr als eigentlich vorgesehen. Das hat Folgen. „Abgesehen von finanziellen Fragen leidet die Arbeitsfähigkeit des Parlaments“, sagt etwa Detlef Müller in der ersten Lesung des Gesetzes zur Reform des Wahlrechts. Der wachsende Bundestag führe zu immer größeren Ausschüssen und erschwere den Austausch, erklärt der stellvertretende Vorsitzende der SPD-Bundestagsfraktion.

Vor allem die CSU profitiert von Überhangmandaten

Ursache für das aufgeblähte Parlament ist eine Besonderheit im deutschen Wahlrecht: Mit der Erststimme wird danach in einem von 299 Wahlkreisen ein*e Direktkandidat*in gewählt. Die Zweistimme geht an eine Partei. Ziehen über die Erststimme mehr Abgeordnete in den Bundestag ein als über die Zweistimme gedeckt sind, entstehen sogenannte Überhangmandate. Ein Phänomen, von dem vor allem die CSU in Bayern profitiert. Diese Überhangmandate wiederum müssen durch sogenannte Ausgleichsmandate kompensiert werden.

Damit soll nun Schluss sein. „Wir fahren den Bundestag auf seine Regelgröße zurück“, kündigt Sebastian Hartmann am Freitag an. Der SPD-Abgeordnete ist Obmann seiner Fraktion in der Kommission zur Reform des Bundeswahlrechts und zur Modernisierung der Parlamentsarbeit, die der Bundestag kurz nach der vergangenen Wahl eingesetzt hat. Aus jeder Fraktion sind Abgeordnete darin vertreten. Fast ein Jahr lang haben sie Expert*innen befragt und an einem gemeinsamen Entwurf für ein neues Wahlrecht gearbeitet, am Ende vergeblich.

Die Zweit- wird zur Hauptstimme

Mitte Januar haben SPD, Grüne und FDP deshalb einen eigenen Gesetzentwurf vorgelegt. Überhang- und Ausgleichsmandate sollen danach künftig entfallen. Der Bundestag wird auf 598 Mandate festgeschrieben. Um das zu erreichen, sollen künftig nur noch die Zweitstimmen, mit denen eine Partei gewählt wird, darüber entscheiden, wie stark diese im Bundestag vertreten ist. Im Gesetzesentwurf der Ampel wird sie daher „Hauptstimme“ genannt. „Die Hauptstimme ist die entscheidende Stimme für die Verteilung der Sitze“, erklärt Hartmann.

Nach Auszählung aller Stimmen werden Kandidat*innen in jedem Bundesland anhand ihrer Ergebnisse im Wahlkreis gereiht. Die Reihenfolge richtet sich nach dem prozentualen Anteil der Wahlkreisstimmen, beginnend mit dem höchsten Wahlkreisstimmenanteil. Die Sitze werden anhand dieser Reihenfolge an die gewählten Abgeordneten vergeben. Sind mehr Sitze der Partei zu vergeben, als Kandidat*innen in ihren Wahlkreisen gewonnen haben, werden diese in der Reihenfolge auf der Landesliste der Partei vergeben. Erringt eine Partei über die Erststimme mehr Direktmandate als über die Zweistimme gedeckt sind, entfallen diese künftig für Wahlkreiskandidat*innen mit schwachen Ergebnissen.

Die Parität fehlt noch

„Wir begrenzen zuverlässig die Größe des Bundestags auf 598 Abgeordnete, ohne Wahlkreise abzuschaffen“, erklärt der SPD-Abgeordnete Detlef Müller das Ziel. Auch die Bevorzugung einzelner Parteien, die vom derzeitigen Wahlrecht besonders profitieren, soll so beendet werden. „Unser Vorschlag betrifft alle Parteien im Verhältnis gleich“, sagt Müller und seine Fraktionskollegin Svenja Stadler ergänzt: „Wir stellen unsere Einzelinteressen zurück zum Wohle der Bürger.“ Mit der veränderten Gewichtung von Erst- und Zweitstimme sei das neue Verfahren „eine doppelte Legitimation“ für die Abgeordneten, findet Sebastian Hartmann. „Wir wagen einen großen Wurf“, ist er überzeugt.

Auch Marianne Schieder, Parlamentarische Geschäftsführerin der SPD-Bundestagsfraktion, lobt den Gesetzentwurf. „Ich hätte mir aber gewünscht, dass wir in der Frage der Parität weiterkommen.“ Zur gleichen Repräsentanz von Frauen und Männern im Parlament findet sich nämlich nichts im Gesetzentwurf. Auch nicht zur Absenkung des Wahlalters auf 16 Jahre.

Am 27. Januar wurde der Gesetzesentwurf in erster Lesung im Bundestag beraten und danach an die Ausschüsse überwiesen. Hier werden die Abgeordneten nun über Änderungen beraten. Gut möglich, dass sich auch in Sachen Parität und Wahlalter noch etwas tut. Nach derzeitiger Planung soll das neue Wahlrecht vor Ostern beschlossen werden.

Autor*in
Kai Doering
Kai Doering

ist stellvertretender Chefredakteur des vorwärts. Er betreut den Bereich Parteileben und twittert unter @kai_doering.

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