Inland

Umkämpfte Wahlkreise: Hier lassen sich noch AfD-Direktmandate stoppen

Umfragen sagen für 72 Wahlkreise ein Kopf-an-Kopf-Rennen zwischen Direktkandidat*innen voraus. In fast der Hälfte von ihnen liegt die SPD gegen die AfD in Führung – noch. Wo jetzt jede Stimme zählt, um den Rechtsruck zu verhindern

von Lea Hensen · 22. Februar 2025
Maja Wallstein will in Cottbus das Direktmandat gegen die AfD verteidigen – und erhält dabei Unterstützung von den Grünen.

Maja Wallstein will in Cottbus das Direktmandat gegen die AfD verteidigen – und erhält dabei Unterstützung von den Grünen.

Zwei Tage sind es noch bis zur Bundestagswahl und für die AfD droht, das stärkste Ergebnis in ihrer Geschichte einzufahren. Umfragen sagen der in Teilen rechtsextremen Partei einen Stimmenanteil von rund 20 Prozent voraus. Doch in einigen Wahlkreisen wird es knapp für ihre Direktkandidat*innen: Wenige Erststimmen könnten dort darüber entscheiden, ob ein*e AfD-Kandidat*in mehr oder weniger in den Bundestag einzieht.

Durch das neue Wahlrecht sind die Erststimmen zwar weniger wichtig. Nicht jede*r Gewinner*in eines Wahlkreises zieht automatisch in den Bundestag. Eine Partei kann pro Bundesland nur so viele Direktmandate bekommen, wie es sich mit dem dortigen Zweitstimmen-Ergebnis deckt. Und doch zählt jede Stimme, um den Rechtsruck in Deutschland zu dämpfen.

SPD-Hochburgen wackeln

Umfragen für einzelne Wahlkreise sind in der Regel weniger repräsentativ als bundes- oder landesweite Prognosen, weil deutlich weniger Menschen befragt werden. Die Ergebnisse für einzelne Kandidat*innen können also stärker von den Vorhersagen abweichen. Allerdings sind sie immer auch ein Anhaltspunkt für Tendenzen, an denen sich die oder der Wähler*in orientieren kann.

Umfragen von „YouGov“ haben ergeben, dass die Kandidat*innen der AfD derzeit in 47 von insgesamt 299 Wahlkreisen führen. Demnach liegen alle davon in Ostdeutschland. Insgesamt 72 Wahlkreise werden von dem Portal als „unentschieden“ ausgewiesen, die besten Direktkandidat*innen unterscheiden sich dort um maximal fünf Prozentpunkte der Stimmen. 29 von ihnen sind Wahlkreise, in denen die SPD darum kämpft, ihre Führung zu erhalten.  

Mahmut Özdemir in Duisburg 

Das Ruhrgebiet galt über Jahrzehnte als die Herzkammer der deutschen Sozialdemokratie, doch in den vergangenen Jahren holte die AfD dort stark auf. Deswegen stehen bei dieser Bundestagswahl gleich mehrere SPD-Hochburgen in Nordrhein-Westfalen auf dem Spiel. Eine davon ist Duisburg, wo die SPD seit 1957 durchgängig beide Direktmandate gewonnen hat. Im Wahlkreis Duisburg I sieht es danach aus, dass Bundestagspräsidentin und SPD-Direktkandidatin Bärbel Bas wieder die meisten Stimmen bekommt. In Duisburg II liegt SPD-Kandidat Özdemir Mahmut laut „YouGov“ noch vorne, aber die AfD kommt ihm gefährlich nah. Mahmut hat den Wahlkreis seit 2013 immer direkt gewonnen. Duisburger Wähler*innen sollten ihn wählen, wenn sie verhindern wollen, dass der AfD-Kandidat Sascha Lensing in den Bundestag einzieht.

Sebastian Fiedler und Ingo Vogel in Essen

Auch in der traditionellen SPD-Hochburg Essen wird es eng. Im Wahlkreis Mühlheim-Essen I sitzt für die SPD der ehemalige Kriminalhauptkommissar Sebastian Fiedler im Bundestag, 2021 konnte er sich noch deutlich gegen die Unionsandidatin Astrid Timmermann-Fechter durchsetzen. Prognosen sagen jetzt ein Kopf-an-Kopf-Rennen voraus. Im Wahlkreis Essen II hingegen kandidiert Ingo Vogel (SPD) erstmals für den Bundestag. Der SPD-Politiker Dirk Heidenblut, der seit 2013 für den Wahlkreis im Bundestag saß, kandidiert nicht mehr. Den Umfragen zufolge könnte SPD-Kandidat Vogel den Wahlkreis gewinnen, doch Florian Fuchs (CDU) und Guido Reil (AfD) haben aktuell beide die zweitmeisten Stimmen.

Markus Töns in Gelsenkirchen 

Der Wahlkreis Gelsenkirchen ist seit Gründung der Bundesrepublik in den Händen der Sozialdemokrat*innen. Diesmal könnte es für Markus Töns (SPD) aber eng werden. Zweimal schon hat der SPD-Politiker in Gelsenkirchen das Direktmandat geholt, nun rückt ihm der AfD-Kandidat Friedhelm Rikowski gefährlich nah. „YouGov“ sagt 28 Prozent für die SPD und 26 Prozent für die AfD voraus.

Hakan Demir in Neukölln 

In Berlin-Neukölln kandidiert SPD-Politiker Hakan Demir erneut für den Bundestag, Prognosen sagen ihm 20 Prozent voraus. Bei der Bundestagswahl 2021 erhielt die AfD noch weniger als acht Prozent in dem Berliner Bezirk. Nun droht Demir sein Mandat an den Vorsitzenden des AfD-Bezirksverbands Robert Eschricht oder Ottilie Klein von der CDU zu verlieren, die beide ungefähr gleichauf sind in den Umfragen.

Uwe Schmidt in Bremerhaven 

Im zweiten Bremer Wahlkreis Bremerhaven sitzt Uwe Schmidt seit 2017 für die SPD im Bundestag. Auch dieser Wahlkreis ist seit Gründung der Bundesrepublik fest in den Händen der SPD – es zählt also jede Stimme, um das Mandat des AfD-Kandidaten Arno-Heinz Staschewski zu verhindern.

Grünen in Cottbus unterstützen Maja Wallstein

Um AfD-Direktkandidat*innen verhindern, treffen auch Angehörige anderer Parteien ungewöhnliche Entscheidungen. So erklärten zwei Bürgermeister in Mecklenburg-Vorpommern, ihre Erststimmen im Wahlkreis Mecklenburgische Seenplatte II – Landkreis Rostock III an die SPD zu geben – obwohl sie selbst anderen Parteien angehören. Sascha Zimmermann, Bürgermeister der Kreisstadt Güstrow und Mitglied der FDP, und Axel Müller, Bürgermeister der Kleinstadt Malchin und CDU-Politiker, wollen am Sonntag den SPD-Direktkandidaten Johannes Arlt wählen – und nicht die Kandidaten ihrer Parteien.

Einen ähnlichen Aufruf starteten in Brandenburg die Grünen. Dort hat SPD-Politikerin Maja Wallstein (SPD) 2021 den Wahlkreis Cottbus – Spree-Neiße gewonnen. Vier Jahre später hat die AfD starken Zuwachs bekommen und liegt laut Prognosen von „YouGov“ mit einem Stimmenanteil von 40 Prozent weit vorne. Für die SPD stehen die Chancen auf ein Direktmandat demnach nicht gut. Um Wallstein zu unterstützen und ein Direktmandat der AfD zu verhindern, haben die Grünen der Kreisverbände Cottbus und Spree-Neiße sich gegen eine eigene Direktkandidatur entschieden. Eine Woche vor der Wahl starteten sie einen Aufruf. „Wir möchten, dass unser Wahlkreis von einer Person vertreten wird, die fest auf dem Boden des Grundgesetzes steht“, erklärte Co-Vorsitzende des Grünen-Kreisverbands Cottbus Doris Tuchan in einer Mitteilung.

Der Co-Vorsitzende Christoph R. Alms ergänzte, Wallstein sei eine verlässliche Demokratin. „Ihr kontinuierlicher und engagierter Einsatz für Toleranz, Respekt und Vielfalt, gegen Hass, Hetze und Rechtsextremismus ist kein Feigenblatt. Maja Wallstein setzt sich überzeugend und leidenschaftlich für diese Werte und für unsere Demokratie ein“, sagte er.

Aktuelle Entwicklungen zur Bundestagswahl 2025 gibt es zum Nachlesen in unserem Newsticker.

Autor*in
Lea Hensen
Lea Hensen

ist Redakteurin des „vorwärts“.

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