Software-Unternehmen: Warum „Palantir“ so umstritten ist
Manche sehen in dem US-Unternehmen Palantir die ultimative Waffe gegen Terrorismus und Kriminalität, andere die letzte Stufe zum totalen Überwachungsstaat. Nun wird die Software des umstrittenen Konzerns möglicherweise bald auch in ganz Deutschland eingesetzt.
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Bundesinnenminister Alexander Dobrindt prüft einen möglichen Einsatz der Software von Palantir - und steht dafür in der Kritik. Doch warum eigentlich?
Ein Unternehmen verfügt über eine Software, die alle Daten, die ein Mensch in seinem Leben hinterlässt, zusammenführen und analysieren kann. Aussehen, Alter, Wohnort, Geschlecht, Familienstand, aber möglicherweise auch Hobbies, Zahlungsdaten, Religion, sexuelle Orientierung, Migrationsgeschichte – all das, und möglicherweise noch viel mehr, ließe sich aus verschiedenen Datenquellen automatisiert miteinander zu einem Profil verknüpfen, das dann wiederum von einer Künstlichen Intelligenz analysiert wird.
Für viele klingt das nach Überwachungsstaat à la George Orwell, für andere nach der ultimativen Waffe in der Bekämpfung von Terrorismus – und in den USA ist es schon heute Realität. Denn hier arbeiten Sicherheitsbehörden wie die CIA oder die Einwanderungsbehörde ICE bereits seit langer Zeit mit der Datenanalysesoftware des Unternehmens Palantir. So soll die ICE-Behörde unter Präsident Donald Trump die Software beispielsweise dafür nutzen, illegale Einwanderer*innen aufzuspüren und in Abschiebegefängnisse zu deportieren.
Palantir-Software bereits in einigen Bundesländern im Einsatz
In den Vereinigten Staaten ist die Software wegen genau solcher Anwendungsfälle bereits seit längerer Zeit umstritten. Und nun regt sich auch unter deutschen Datenschützer*innen Protest, denn Bundesinnenminister Alexander Dobrindt (CSU) prüft derzeit einen möglichen Einsatz der Software in deutschen Sicherheitsbehörden. So soll die digitale Infrastruktur der Polizei einheitlicher und souveräner werden, und Verbrechen soller besser und schneller aufgeklärt werden, erhofft sich Dobrindt.
Im Rahmen eines Gesetzentwurfs des Bundesinnenministeriums „zur Stärkung digitaler Ermittlungsbefugnisse in der Polizeiarbeit“ könnte der Einsatz der Palantir-Software beschlossen werden. Ganz neu wäre die Nutzung der Software von Palantir in Deutschland damit nicht – die Landespolizeien von Hessen, Nordrhein-Westfalen und Bayern arbeiten bereits seit Jahren mit Versionen, die an die Deutschen Datenschutzvorgaben angepasst wurden. In Baden-Württemberg ist die Einführung geplant, in Berlin wird sie diskutiert.
Palantir: Experte kritisiert Einbindung von KI
Die nun wahrscheinliche bundesweite Nutzung sorgt bei Expert*innen, wie Erik Tuchtfeld, für großen Unmut. „Ich würde mir wünschen, dass der Entwurf wieder in der Schublade verschwindet, aus der er gekommen ist“, sagte der Co-Vorsitzende des digitalpolitischen Vereins „D64“ dem „vorwärts“. Die größten Risiken sieht Tuchtfeld zum einen in der Abhängigkeit, in die sich Deutschland mit der Nutzung der US-Software begeben würde, zum anderen in der Funktionsweise der Software an sich.
Bei Palantir sei es „sehr undurchsichtig, wie hier welche Daten zusammenfließen“, kritisiert Erik Tuchtfeld. Tatsächlich hält die Firma den Code ihrer Software bislang geheim. Tuchtfeld sieht darin die Gefahr eines „digitalen Panoptikums“, in dem alle möglichen Daten gebündelt werden, ohne Gewissheit darüber, ob oder wann welche Daten auch wieder gelöscht würden. Diese Intransparenz in Kombination mit der Anwendung von Künstlicher Intelligenz, die Daten nach eigenen, oft kaum nachvollziehbaren Regeln in Muster, Eigenschaften und Auffälligkeiten kategorisiert, hält der Digitalexperte für gefährlich willkürlich.
Wird Deutschland mit Palantir von den USA abhängig?
Und dann ist da noch der Punkt der Abhängigkeit. „Hier bekommt ein amerikanisches Unternehmen Zugriff auf einen Teil der sensibelsten Daten, die der Staat von den in Deutschland lebenden Menschen speichert“, sagt Erik Tuchtfeld. In Zeiten wie diesen, in denen die Demokratie in den Vereinigten Staaten so instabil scheint wie wohl nie zuvor, sei das Risiko für Missbrauch besonders hoch.
Palantir selbst erklärte zwar laut verschiedener Medienberichte, dass das Unternehmen selbst keinen Zugriff auf die in der Software genutzten Daten habe. Der US-amerikanische „CLOUD Act“ verpflichtet IT-Unternehmen und Dienstleister jedoch per Gesetz dazu, US-Behörden auch auf im Ausland gespeicherte Daten Zugriff zu gewährleisten.
SPD-Bundestagsabgeordneter lehnt Palantir-Einsatz ab
Gleichzeitig gilt das Unternehmen Palantir als einer der Profiteure von Donald Trumps Politik. Einer der Gründer des Unternehmens, Peter Thiel, ist in den USA für seine rechtslibertären und antidemokratischen Äußerungen bekannt und gilt als einer der frühsten Unterstützer Donald Trumps aus dem Silicon Valley.
Auch der SPD-Bundestagsabgeordnete Johannes Schätzl lehnt den Einsatz der Palantir-Software in Deutschland deshalb ab. „Wer einem privatwirtschaftlichen Anbieter mit engen Verbindungen zu US-Geheimdiensten Zugang zu solchen sensiblen Daten gewährt, gefährdet aus meiner Sicht die Unabhängigkeit und demokratische Kontrolle unserer Sicherheitsarchitektur“, erklärte er gegenüber dem „vorwärts“. Palantir ist aus seiner Sicht keine neutrale IT-Lösung, zumal: „Eine solche Blackbox passt nicht zu einem demokratischen Rechtsstaat, der auf Transparenz, Nachvollziehbarkeit und staatlicher Verantwortung beruht“, so Schätzl.
Experte Tuchtfeld zu Palantir: „Es gibt die offensichtliche Alternative, es nicht zu tun.“
Noch ist nicht klar, ob und in welchem Umfang die amerikanische Datenanalysesoftware in Deutschland wirklich zum Einsatz kommen wird. Befürworter*innen argumentieren zwar, dass das alternativlos sei – sie halten die Nutzung einer solchen Software für unbedingt notwendig, und Palantir für das einzige Unternehmen, das sie anbietet. „Diese Software zu verwenden ist nicht alternativlos“, ist dagegen Erik Tuchtfeld überzeugt. „Es gibt ja die offensichtliche Alternative, es einfach nicht zu tun.“ Er sieht die SPD nun in der Verantwortung, gegen den Vorschlag des Bundesinnenministers zu halten und „Bürgerrechte und Grundrechte zu schützen“.
Tatsächlich soll sich neben SPD-Bundestagsabgeordneten wie Johannes Schätzl auch die niedersächsische Innenministerin Daniela Behrens (SPD) bereits gegen die Nutzung der Palantir-Software ausgesprochen haben. Zivilgesellschaftliche Organisationen wie D64, Amnesty International Deutschland oder der Chaos Computer Club wendeten sich an diesem Freitag wiederum in einem offenen Brief an die Bundesregierung und appellierten gegen einen Einsatz der Software. „Wir fordern Sie auf, sich für den Schutz aller Menschen und das Recht auf ein Leben frei von Massenüberwachung und Kontrolle einzusetzen. Palantir darf nicht in Deutschland eingesetzt werden“, heißt es darin.