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Radio Dreyeckland: Wieso der Link-Prozess die Pressefreiheit berührt

Dieser Fall sorgt für Aufsehen: Weil er auf ein linksradikales Portal verlinkt hat, muss sich ein Radio-Redakteur vor Gericht verantworten. Der Prozess wirft Fragen zur Pressefreiheit in Deutschland auf.

von Christian Rath · 18. April 2024
Stand der Protestierenden nahe dem Karlsruher Landgericht

Zeichen des Protestes: Anlässlich des Prozesses gegen einen Redakteur von Radio Dreyeckland haben Aktivist*innen einen Stand in der Nähe des Karlsruher Landgerichts aufgebaut.

Am Landgericht Karlsruhe hat am Donnerstag der Prozess gegen Fabian Kienert begonnen. Der Redakteur des Freiburger Alternativsenders Radio Dreyeckland (RDL) soll durch den bloßen Internet-Link die Fortführung einer verbotenen Vereinigung unterstützt haben. Der Prozess findet bundesweit Aufmerksamkeit. 

Kienert hatte im Juli 2022 auf der RDL-Webseite einen Artikel veröffentlicht, in dem es um die seit 2017 verbotene linksradikale Agitations-Plattform linksunten.indymedia ging. Der Text endet mit dem lapidaren Satz: „Im Internet findet sich linksunten.indymedia.org als Archivseite." Dabei war die Archivseite auch verlinkt.

Wegen dieses Links hat die Staatsanwaltschaft Karlsruhe bereits im April 2023 Anklage gegen Kienert erhoben. Er habe durch den Link die Fortführung der verbotenen Vereinigung linksunten.indymedia unterstützt, was laut Paragraf 85 des Strafgesetzbuches strafbar ist. Kienert drohen laut Gesetz bis zu drei Jahre Freiheitsstrafe oder eine Geldstrafe. 

Das Landgericht erkannte keine Straftat

Die Anklage wurde vom Landgericht Karlsruhe im Mai 2023 zunächst nicht zugelassen, denn es liege schon gar keine Straftat vor. Doch das Oberlandesgericht (OLG) Stuttgart sah das im Juni 2023 anders und ließ die Anklage zu. 

Nun findet der Prozess gegen Kienert also statt. Am 18. April wird zunächst die Anklage verlesen. Das Landgericht hat insgesamt sechs Verhandlungstage terminiert. Das ist erstaunlich umfangreich, da der Sachverhalt im Kern nicht umstritten ist. Kienert hatte den Artikel mit seinem Kürzel FK gekennzeichnet. Im Januar 2023 räumte er gegenüber der Polizei auch ausdrücklich ein, dass er der Autor ist - und wendete so eine Durchsuchung der RDL-Redaktionsräume ab.

Im Prozess stellen sich vor allem rechtliche Fragen. Kann ein bloßer Link in einem journalistischen Text bereits als Unterstützung einer verbotenen Vereinigung gelten? Dass hier die Pressefreiheit berührt ist, liegt auf der Hand. Wo endet Information, wo beginnt Propaganda? 

"Kritik muss möglich sein"

Das OLG Stuttgart stellte darauf ab, dass Kienerts Text als Ermunterung gewirkt habe, sich mit linksunten.indymedia zu solidarisieren. Ausdrückliche Formulierungen dieser Art finden sich allerdings nicht im Text. RDL kritisierte denn auch, dass es möglich sein müsse, kritisch über ein Vereinsverbot zu berichten. 

Die Organisation Reporter ohne Grenzen befürchtet im Fall einer Verurteilung "große Verunsicherung bei Redakteurinnen und Redakteuren in ganz Deutschland". 

Umstritten ist aber auch die Frage, wie eine bereits 2017 verbotene und seitdem nicht mehr aktive Plattform überhaupt unterstützt werden kann. Das OLG Stuttgart stellt auf das Hochladen des Archivs im Jahr 2020 ab. Dass die Vereinigung derzeit nicht aktiv ist, habe vor allem taktische Gründe. 

Das Landgericht Karlsruhe ist an die Rechtsauffassung des OLG Stuttgart zwar nicht gebunden. Allerdings dürfte die Karlsruher Staatsanwaltschaft, die sich in diesem Verfahren stark engagiert, im Fall eines Freispruchs wohl in Berufung gehen und dann wäre wieder das OLG Stuttgart zuständig. 

Ein Gutachten als Hoffnung

Doch vielleicht kommt es auf die bisher diskutierten Fragen gar nicht an. Denn das Landgericht Karlsruhe hat ein Gutachten in Auftrag gegeben, dessen Ergebnis auch die Staatsanwaltschaft und das OLG beeindrucken könnten. 

Der Diplom-Informatiker York Yannakos vom Fraunhofer-Institut für sichere Informationstechnologie kam zum Ergebnis, dass jeder, der einigermaßen programmieren kann, ein Archiv der Artikel veröffentlichen kann, die bis 2017 auf linksunten.indymedia veröffentlicht wurden. Dies wäre also nicht nur der Gruppe selbst möglich gewesen, sondern auch einer fremden Einzelperson. Sie musste nur rechtzeitig vor dem Verbot beginnen, die rund 830.000 Texte zu sichern. 

Vor dem Hintergrund dieses Gutachtens dürfte die Existenz des Archivs im Internet kein Indiz mehr für das Fortbestehen der Vereinigung linksunten.indymedia sein. Wenn es aber keine Hinweise für die Fortführung der Vereinigung gibt, dann kann sie auch nicht unterstützt werden, schon gar nicht mit einem bloßen Link. Ein Freispruch liegt also nahe. 

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Christian Rath

ist rechtspolitischer Korrespondent.

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