Paragraf 218: Scheitert die Legalisierung von Abtreibungen an der Union?
Fraktionsübergreifend will eine wachsende Gruppe von Abgeordneten Paragraf 218 aus dem Strafgesetzbuch streichen und Schwangerschaftsabbrüche legalisieren. Vor allem die CDU um Friedrich Merz sperrt sich. Die SPD erhöht nun den Druck.
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Demonstration zur Abschaffung von Paragraf 219: Eine deutliche Mehrheit der Deutschen will, dass Abtreibungen legalisiert werden.
Wenn der Bundestag an diesem Donnerstag über die Neuregelung von Schwangerschaftsabbrüchen diskutiert, wird das anders ablaufen als gewohnt. Treten normalerweise Redner*innen für ihre Fraktion ans Pult im Sitzungssaal, werden sie diesmal für sich selbst sprechen. Der Antrag, mit dem Schwangerschaftsabbrüche aus dem Strafgesetzbuch gestrichen und stattdessen ins Schwangerschaftskonfliktgesetz aufgenommen werden sollen, wurde nämlich als „Gruppenantrag“ von Abgeordneten verschiedener Fraktionen eingebracht.
Was passiert im Rechtsausschuss?
328 Abgeordnete, vor allem von SPD und Grünen, aber auch von der Linken, haben den Antrag bisher unterzeichnet, unter ihnen auch Bundeskanzler Olaf Scholz. Es fehlen also noch 39 Stimmen, damit der Antrag im Plenum eine Mehrheit bekommt. Soweit ist es am Donnerstag aber ohnehin noch nicht. In der sogenannten ersten Lesung geht es zunächst darum, Argumente vorzutragen und auszutauschen. Danach wird der Antrag in den Rechtsausschuss überwiesen, in dem sich die Fach-Abgeordneten weiter mit den Inhalten beschäftigen, Expert*innen anhören und ggf. Änderungen erarbeiten.
Für einen Beschluss ist am Ende nicht nur eine Mehrheit im Bundestag notwendig, sondern vorher auch ein Beschluss des Ausschusses, den Antrag für eine zweite und entscheidende dritte Lesung wieder ins Plenum zu überweisen. Und das könnte an CDU/CSU und FDP scheitern. Stimmen ihre Abgeordneten im Rechtsausschuss gegen die Überweisung, könnte der Antrag nicht mehr bis zur Bundestagswahl am 23. Februar beschlossen werden.
„Die Möglichkeit für alle, Farbe zu bekennen“
„Ich fordere die Union auf, den Weg für die zweite und dritte Lesung freizumachen“, sagte deshalb am Mittwoch die Erste Parlamentarische Geschäftsführerin der SPD-Bundestagsfraktion, Katja Mast. Aus ihrer Sicht ist die Entkriminalisierung von Schwangerschaftsabbrüchen überfällig. „Das Thema ist entscheidungsreif und kann noch vor dem 23. Februar beschlossen werden“, ist Mast mit Blick auf die vorgezogene Bundestagswahl überzeugt. Der fraktionsübergreifende Antrag sei „die Möglichkeit für alle, Farbe zu bekennen“.
Mast kündigte an, innerhalb der SPD-Fraktion die Abstimmung freizugeben, sobald der Termin feststeht. Die Abgeordneten wären damit nicht an die Linie der Fraktion gebunden, sondern könnten frei entscheiden. „Unser Bestreben ist, dass es eine Experten-Anhörung im Ausschuss gibt und wir dann noch in dieser Legislatur eine zweite und dritte Lesung haben.“ Aus Masts Sicht könnte das in der letzten Januarwoche stattfinden. Dann ist die voraussichtlich drittletzte Sitzungswoche vor der Wahl geplant.
Große Mehrheit in der Bevölkerung ist für Legalisierung
Den größten Verbündeten sieht Katja Mast dabei außerhalb des Parlaments. Fast drei Viertel der Deutschen (74 Prozent) sprachen sich Ende November in einer repräsentativen Forsa-Umfrage dafür aus, Schwangerschaftsabbrüche innerhalb der ersten zwölf Wochen ohne Einschränkungen zu erlauben. „Die Gesellschaft ist viel weiter als Friedrich Merz und seine CDU“, sagte Mast am Mittwoch. Nachdem der Oppositionsführer zunächst erbost auf den Gruppenantrag reagiert hatte, ist er inzwischen etwas zurückgerudert. „Natürlich kann man sich nach so vielen Jahren noch einmal neu mit dem Thema beschäftigen“, sagte Merz am 30. November gegenüber den „Stuttgarter Nachrichten“.
Zurzeit sind Schwangerschaftsabbrüche bis zur zwölften Woche möglich, wenn vorher eine Beratung stattgefunden hat. Die Schwangeren bleiben dabei straffrei. Allerdings ist es häufig schwierig, ein*e Ärzt*in zu finden, die den Eingriff vornimmt, eben weil er strafrechtlich bewehrt ist. Aus demselben Grund werden die Kosten für den Eingriff nicht von den Krankenkassen übernommen, sondern müssen von den Schwangeren selbst bezahlt werden.
Dirk Bleicker | vorwärts
ist stellvertretender Chefredakteur des vorwärts. Er betreut den Bereich Parteileben und twittert unter @kai_doering.