Inland

Investitionen in die Sicherheit: Warum ein Sondervermögen allein nicht reicht

Russlands Krieg in der Ukraine und regelmäßige Angriffe von Hacker*innen auf die kritische Infrastruktur: Deutschland ist bedroht wie lange nicht mehr – im Inneren wie von außen. Will die Bundesrepublik wieder verteidigungsfähig werden, muss sie stark investieren, und zwar schnell.

von Jonas Jordan · 4. November 2024
Die Lage hat sich verändert: Nach Jahren des Sparens investiert Deutschland wieder massiv in die Bundeswehr, etwa in den Kauf von Hubschraubern.

Die Lage hat sich verändert: Nach Jahren des Sparens investiert Deutschland wieder massiv in die Bundeswehr, etwa in den Kauf von Hubschraubern.

Nur drei Tage nach Beginn des russischen Angriffskrieges in der Ukraine rief Bundeskanzler Olaf Scholz im Februar 2022 im Bundestag die „Zeitenwende“ aus. Zugleich schlug er ein Sondervermögen in Höhe von 100 Milliarden Euro vor, um die Verteidigungsfähigkeit Deutschlands zu stärken und den deutschen Bündnisverpflichtungen nachzukommen. Der Applaus war groß, die Summe schien gigantisch, das Sondervermögen wurde noch im selben Jahr von Bundestag und Bundesrat beschlossen und beispielsweise in neue Ausrüstung für die Bundeswehr gesteckt. „Diese 2,4 Milliarden Euro sind gut investiertes Geld“, lobte die Wehrbeauftragte Eva Högl.

Mehr als zwei Prozent des BIP für die Verteidigung

Weiteres Geld floss in neue Sturmgewehre, Transporthubschrauber und Ersatz für an die Ukraine abgegebene Panzer. Auch die Einrichtung einer 5.000 Soldat*innen zählenden Brigade in Litauen kostet bis zu sieben Milliarden Euro. „Wir werden jeden Zentimeter NATO-Gebiet verteidigen“, machte Verteidigungsminister Boris Pistorius in diesem Zusammenhang deutlich.

Alle NATO-Partner haben sich verständigt, dauerhaft mehr als zwei Prozent ihres Bruttoinlandsproduktes für Verteidigung auszugeben. „Wir werden dauerhaft diese zwei Prozent gewährleisten, die ganzen 20er Jahre über, auch die 30er Jahre“, kündigte Bundeskanzler Olaf Scholz Ende 2023 an. Damit das gelingt, braucht es mehr Geld. Denn das Sondervermögen wird spätestens Ende 2028 aufgebraucht sein.

125 Milliarden für die äußere Sicherheit

Um das Zwei-Prozent-Ziel zu erreichen, bräuchte es bis 2030 52,3 Milliarden Euro mehr. Das hat das „Dezernat Zukunft“, ein Forschungsinstitut mit Fokus auf Finanzpolitik, in einer ausführlichen Studie errechnet. Bei 2,5 Prozent wären es schon 193,3 Milliarden Euro bis 2030, bei drei Prozent 334,3 Milliarden Euro. Summen, bei denen einem schnell mal schwindlig werden kann. 

Insgesamt kalkulieren die Autor*innen der Studie konservativ mit einem Mehrbedarf in Höhe von 103 Milliarden Euro für die Verteidigungsfähigkeit Deutschlands bis zum Jahr 2030. Hinzu kommen 9,4 Milliarden Euro mehr für das Auswärtige Amt und 12,4 Milliarden Euro mehr für den Entwicklungsetat bis 2030. Das macht in Summe rund 125 Milliarden Euro für äußere Sicherheit bis 2030.

Ein Sondervermögen auch für die innere Sicherheit?

Hinzu kommen Herausforderungen der inneren Sicherheit. Nach dem russischen Angriffskrieg auf die Ukraine häufen sich Attacken Moskaus von Hacker*innen und Drohnen auf die kritische Infrastruktur Deutschlands. Die Gefahr durch islamistischen Terrorismus hat zugenommen und die Folgen des Klimawandels werden immer dramatischer spürbar. Entsprechend kalkulieren die Autor*innen der Studie mit einem Mehrbedarf von 22,8 Milliarden Euro für den Zivil- und Katastrophenschutz bis 2030, bei dem der größte Anteil mit 17,5 Milliarden Euro auf die Kommunen und den Investitionsstau im Bereich Brand- und Katastrophenschutz entfällt. Für die Länder errechnen sie drei, für den Bund 2,3 Milliarden Euro an zusätzlichem Finanzbedarf. 

Für die Bundespolizei, das Bundeskriminalamt, den Zoll und den Verfassungsschutz setzen sie aufgrund dürftiger Quellenlage keine Mehrbedarfe an. Anders sieht das der Vorsitzende der Gewerkschaft der Polizei (GdP) Jochen Kopelke. Er fordert ein Sondervermögen für innere Sicherheit, das ebenfalls bei 100 Milliarden Euro liegen könnte. Denn nach Angaben der GdP benötigten die Sicherheitskräfte insbesondere im Kampf gegen Kriminalität und Terrorismus deutlich mehr Geld und Personal. Auch um moderne Schutzausstattung und einen besseren Schutz polizeilicher Liegenschaften gewährleisten zu können. Die SPD-Bundestagsfraktion beschloss während ihrer Klausurtagung Ende August, ein Sondervermögen für Investitionen in die innere Sicherheit, die Cybersicherheit und die Sicherheitsbehörden zu prüfen.

Autor*in
Jonas Jordan
Jonas Jordan

ist Redakteur des „vorwärts“. Er hat Politikwissenschaft studiert und twittert gelegentlich unter @JonasJjo

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2 Kommentare

Gespeichert von Rudolf Isfort (nicht überprüft) am Mi., 06.11.2024 - 19:06

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Prognosen sind immer unsicher, vor allem wenn sie die Zukunft betreffen - wie ein Witzbold mal treffend sagte. Die vom Forschungsinstitut „Dezernat Zukunft“ angestellte Analyse „bräuchte bis 2030 52,3 Milliarden Euro mehr“ für die Militärausgaben. Durch den Focus auf die Mehrausgaben hat die Analyse sich zusätzlich das Problem eingehandelt, dass auch die Vergleichszahl des Ausgangsjahres, sagen wir 2023, keine exakte ist. (Sie können ja mal versuchen, eine exakte Zahl für die Militärausgaben 2023 zu finden.) Zudem macht es nur wenig Sinn, die „Milliarden mehr“ zu kennen: die Milliarden, die insgesamt ausgegeben werden, die muss man kennen. Unter vereinfachten Annahmen sind sie leicht zu bestimmen.

2023 betrug unser BIP 4.185,6 Mrd. € (Stat. Bundesamt). Nehmen wir an, dass es von 2025 bis 2030 um diesen Wert pendelt, dann müssen wir jedes Jahr 83,7 Mrd. € in die Bundeswehr „investieren“ (2%). Bei 2,5% vom BIP ergäbe das einen jährlichen Betrag von 104,6 Mrd. € und 125,6 Mrd. € bei 3%. In sechs Jahren – 2030 ginge dann in die Summe ein - gäben wir somit für unsere Bundeswehr 502,3 Mrd.€ (2%), 627,8 Mrd. € (2,5%) oder 753,4 Mrd. € (3%) aus. (In einer Excel-Tabelle ließen sich die BIP’s leicht mit verschiedenen Zunahmen berechnen - derzeit sind allerdings eher Abnahmen anzunehmen.)

Sind 753 Mrd. € in 6 Jahren viel? Die USA allein gab 2023 fürs Militär 916 Mrd. $ aus (Statista). Die Russische Föderation war mit 109 Mrd. US$ dabei. (Nach dieser Zählung bringt die BRD 66,8 Mrd. US$ auf die Waage (Statista).) „Allein Frankreich (53,6 Milliarden US-Dollar) und Deutschland (55,8 Milliarden US-Dollar) haben 2022 insgesamt so viel ausgegeben, wie Russland jetzt (2024) plant“ (IPG vom 11.4.2024). Trotzdem überbieten sich unsere Wortgewaltigen – auch die der SPD – darin, „mehr in unsere Sicherheit“ investieren zu wollen mit einer geradezu religiösen Inbrunst und der selbstsuggerierten Gewissheit, dass die Russische Föderation schon bald mit Raketen und Soldaten an unsere Türen klopfen will. Gut, dass die damit wartet, bis wir dank unserer, der russischen hoch überlegenen Wirtschaftskraft in einem Maße aufgerüstet haben, dass die Russische Föderation konventionell gar nicht mithalten kann. (Das BIP der (27) EU-Staaten lag 2023 bei 16.970 Mrd. €, das der Russischen Föderation gerade mal bei 1.997 Mrd. US$. Deutschland allein bringt 4.185 Mrd. € (Statista) in den Geldpool ein, aus dem wir Russland totrüsten können.) Eine herzerwärmende Situation für alle unsere Abschreckungsstrategen, wenn da nicht die lästige Tatsache der atomaren Weltmacht Russland zu berücksichtigen wäre. Da die Russischer Föderation nämlich auch stark auf Abschreckung setzt - man könnte statt Abschreckung auch Sicherheit(sinteressen) sagen -, muss sie ihre konventionelle Unterlegenheit halt atomar kompensieren: Abschreckung, Sicherheit, Friedensordnung sind schon eine vertrackte Angelegenheit, vor allem, weil zwei Parteien auch immer zwei Sichtweisen darauf haben. Aber dafür gibt es ja die Diplomatie, diese Perzeptionen anzugleichen. Jedenfalls hat es mal eine Zeit gegeben, in der es so war; wir haben uns stattdessen entschlossen, im existenziellen Konfliktfeld Abschreckung, Sicherheit, Friedensordnung die Perzeption unseres landläufigen Nachbarn nicht sonderlich zu berücksichtigen.

„Russlands Krieg in der Ukraine und regelmäßige Angriffe von Hacker*innen auf die kritische Infrastruktur: Deutschland ist bedroht wie lange nicht mehr – im Inneren wie von außen. Will die Bundesrepublik wieder verteidigungsfähig werden, muss sie stark investieren, und zwar schnell“. Das ist das Narrativ, das alle unsere Wortgewaltigen in jeder Talkshow, in fast jeder Zeitung, vor jedem Mikrofon herunterbeten. „Investieren“ meint, Panzer, Raketen, Drohnen, Flugzeuge usw. kaufen, je mehr, je besser – möglichst viele davon in den USA. Investitionsgüter, die dann im besten Falle vor sich hinrosten oder schlimmstenfalls gesprengt, verbrannt, abgeschossen oder sonstwie zerstört werden. In Fällen wie Afghanistan, Syrien, Irak, Libyen oder auf Nebenschauplätzen wie Mali usw. kann man sie dann mal unter halbwegs Realbedingungen testen, nicht zu vergessen in der Ukraine (Friedensgutachten 2024; S. 105). Ansonsten sind Manöver, die Verteidigung vor Angriffen aus Russland – mit atomarer Komponente – simulieren, Höhepunkte im Leben dieser Investitionsgüter. Einen Beitrag zum BIP, Merkmal von Investitionen, leisten sie während ihrer Nutzungsdauer nicht. Per Saldo: Sie senken unseren Lebensstandard, machen uns ärmer. Sie sind ökonomisch daher eher als Konsum-, als Verbrauchsgüter aufzufassen, müssten daher aus den (Steuer-) Einnahmen eines jeden Jahres genommen werden, auch wenn das „Deutschland harte Entscheidungen abverlangen wird – finanzielle auch politische. Wir müssen Strukturen verändern, auch Budgets neu verhandeln“. Klingbeil hat das schon am 21.6.2022 begriffen, aber nicht gesagt, welches Budget da vor allem gemeint sein wird. Dafür ein schuldenfinanziertes Sondervermögen aufzubauen, sollte sich aber verbieten. (Der Aufsatz geht bei seiner Analyse aber von einem solchen aus – darum auch oben das „bräuchte bis 2030 52,3 Milliarden Euro mehr“.)