Inland

Frauenhass im Netz: Das steckt hinter der Mannosphäre

Im Internet organisieren sich Männergruppen, die gegen Frauen hetzen und sie für ihr persönliches Unglück verantwortlich machen. Das wird oft nicht nur für die Frauen gefährlich, sondern auch für die Demokratie.

von Lea Hensen · 8. März 2025
Im Internet hetzen Männergruppen der Mannosphäre gegen Frauen.

Im Internet hetzen Männergruppen der Mannosphäre gegen Frauen.

HB10 – was ist das? Im Periodensystem der chemischen Elemente sucht man die Abkürzung vergeblich. Was wissenschaftlich klingt, muss eher als Pseudowissenschaft bezeichnet werden. HB10 ist das Ziel von Männern, die sich in der sogenannten Pick-Up-Szene bewegen, und steht für: „Hot Babe“, „heiße Frau“. 

Pick-Up-Artist lässt sich zu Deutsch mit: „Verführungskünstler“ übersetzen, was harmloser klingt als es ist. Denn diese Männer haben es sich zur Aufgabe gemacht, anderen Männern beizubringen, wie man Frauen ins Bett manipuliert. Das ist ihr Geschäftsmodell. Wer sich in den Online-Foren der Szene umschaut, findet weitere Abkürzungen, denn die Schüler der Pick-Up-Artists brauchen offenbar Orientierung. So steht die 10 hinter dem HB für eine hundertprozentige Attraktivität, eine HB5 ist eher normaler Durchschnitt. Auf der Skala von 1 bis 4 sind unattraktivere Frauen eingeordnet, aus „Hot Babe“ wird dann „Ugly Girl“ (UG). Männer, die keinen Erfolg bei Frauen haben, heißen „Betas“. Sie geben viel Geld aus, um „Alphas“ zu werden.  

Pick-Up-Artists vertreten ein sexistisches und frauenverachtendes Weltbild, das vorgibt, dass Frauen, die Nein sagen, nicht unbedingt Nein meinen. Über vermeintliche Dating-Tipps bringen selbst ernannte „Männlichkeit“-Coaches ihren Schülern Techniken bei, mit denen sie ihre Herrschaft über Frauen wieder herstellen können. Dabei dürfen sie auch mal übergriffig werden. 

Frauen werden für das eigene Versagen verantwortlich gemacht

Pick-Up-Artists sind nur eine Ausprägung der sogenannten Mannosphäre, wie Wissenschaftler*innen ein loses Netzwerk an frauenfeindlichen, antidemokratischen Gruppierungen im Internet nennen. Unter dem Titel „Mapping the GerManospheres“ hat eine Pilotstudie der Freien Universität Berlin vor kurzem erstmals deutsche Strukturen dieser frauenfeindlicher Milieus untersucht und ihre Aktivitäten in Online-Foren, auf You-Tube-Kanälen, Social-Media-Plattformen und anderen Netzwerken ausgewertet.

Die Studie wird vollständig erst Ende April 2025 veröffentlicht, doch Zwischenergebnisse liegen schon vor. Die Wissenschaftler*innen haben im deutschsprachigen Internet mehr als 300 Accounts identifiziert, mit zum Teil Zehntausenden Followern, also einer großen Reichweite. Neben den Pick-Up-Artists gibt es die sogenannten Incels, kurz für: „involuntary celibates“ – Unfreiwillige im Zölibat, also: Männer, die unfreiwillig enthaltsam sind. Schuld daran sind ihnen zufolge die Frauen, auf die sie meinen, einen Anspruch zu haben. 

Indem sie Frauen abwerten, werten sich Incels selbst auf, erklärt Gülay Çağlar, Autorin der Studie. Die Bewegung sei vor allem in den USA verbreitet, aber auch in der deutschen Mannosphäre vorhanden. „Es gibt innerhalb der Gruppe Gewaltfantasien, die in manifeste Gewalt umschlagen können“, warnt Çağlar. 

International vernetzt

Andere Strömungen der Mannosphäre sind Männerrechts- und Väterrechtsaktivisten, die eine maskulinistische Gegenbewegung zum Feminismus fordern. Auch „Men Going Their Way“ (MGTOW) – Männer, die ihren eigenen Weg gehen – seien als kleine Gruppierung in Deutschland vertreten: Sie lehnen langfristige Beziehungen zu Frauen ganz ab und vertreten hierarchische Theorien. Einige MGTOWs sähen Frauen als „Parasiten“, so Çağlar, die Männer über das Scheidungsrecht ausnutzen würden, etwa indem sie Unterhalt für gemeinsame Kinder zahlen müssen.

Sehr stark seien in Deutschland die sogenannten Redpiller vertreten. Die Bewegung bezieht sich damit auf den Film „Matrix“, in dem der Protagonist Neo eine rote Pille schluckt, um die wahre Welt zu erkennen. Die Redpiller verstehen sich als Männer, die ideologisch „erwachen“ und erkennen, dass sie die Opfer in einer Welt sind, in der sich alles nur um Frauen dreht. 

Konkrete Zahlen, wie groß die Gruppen in Deutschland sind, gibt es nicht. Doch die Wissenschaftler*innen teilen zwei Erkenntnisse: Die Mannosphäre ist global vernetzt, die deutschen Gruppierungen spiegeln internationale misogyne Netzwerke wider. So sind die Redpiller in den USA eine weiter verbreitete Cyberkultur, der chauvinistische Influencer wie Andrew Tate angehören. Sie wird durch die von Trump und Musk propagierte „male supremacy" befeuert, die Vorherrschaft der Männer. Eine Besonderheit der deutschen Mannosphäre seien Männlichkeits-Coaches, die die Strömungen untereinander kombinieren und kommerzialisieren – etwa auf ihren YouTube-Kanälen.

Gefahr für die Demokratie

Die zweite Erkenntnis der Studie: „Frauenfeindliche Netzwerke im Netz sind nicht nur eine Gefahr für Betroffene, sondern auch für die Demokratie“, schreiben die Autor*innen. Die Studie zeige, dass diese Gruppen kein Randphänomen seien, sondern eine systematische Bedrohung für demokratische Werte. Immer wieder bringe die Mannosphäre gewaltbereite Einzeltäter hervor. So fanden sich bei den Attentätern von Halle (2019), Hanau (2020), Oslo (2011) und Toronto (2018) Hinweise auf eine Verbindungen zur Redpiller- oder Incel-Szene.

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