Inland

Studie schlägt Alarm: Wie digitale Gewalt politisches Engagement gefährdet

Mehr als jeder zweite politisch engagierte Mensch in Deutschland hat virtuellen Hass erfahren. Eine neue Studie zeigt, welche Konsequenzen das für Politik und Zivilgesellschaft hat. Die Organisation HateAid fordert schnelle und entschlossene Gegenmaßnahmen.

von Finn Lyko · 15. Januar 2025
Eine neue Studie zeigt: Digitale Gewalt betrifft häufig politisch Engagierte - und bedroht so die Demokratie.

Eine neue Studie zeigt: Digitale Gewalt betrifft häufig politisch Engagierte - und bedroht so die Demokratie.

Immer wieder ist Gewalt im Netz ein Thema. Ganz egal, gegen wen: Virtueller Hass verbreitet sich schnell und nimmt zu, insbesondere vor wichtigen Wahlen wie der anstehenden Bundestagswahl. Unter Umständen führt er auch zu einer Radikalisierung im analogen Raum, warnen Expert*innen. Und damit auch zu realer Gewalt.

Das alles seien „keine Breaking News“, ordnete Moderator Frank Joung die Lage zu Beginn einer Pressekonferenz am Mittwochvormittag in Berlin ein. Die Studie der Technischen Universität München, die hier vorgestellt wurde, zeigt jedoch erstmals anhand konkreter Zahlen auf, wie digitale Gewalt spezifisch gegen politisch engagierte Menschen aussieht, wie diese sie wahrnehmen, und welche Konsequenzen sie hat – und kommt zu einem besorgniserregenden Ergebnis.

Frauen werden häufiger und in anderer Qualität angefeindet

In Zusammenarbeit mit der gemeinnützigen Organisation HateAid hat die Technische Universität München 1.114 Menschen aus verschiedenen politischen Ebenen und Berufsfeldern online zu ihren Erfahrungen mit digitaler Gewalt befragt. Darunter waren politische Aktivist*innen, Journalist*innen, Wissenschaftler*innen und Politiker*innen aller Ebenen und der dort vertretenen Parteien. Zusätzlich wurden qualitative Interviews mit einigen der befragten politisch aktiven Frauen geführt.

Von diesen 1.114 Befragten berichteten 58 Prozent von Anfeindungen im Internet. Zwischen Männern und Frauen zeigten sich dabei durchaus Unterschiede. Unter den politisch engagierten Frauen berichteten 63 Prozent von digitaler Gewalt, unter den Männern 53 Prozent. Auch gaben 24 Prozent der Frauen an, dass ihnen im Internet sexuelle Gewalt angedroht wurde – im Gegensatz zu 3 Prozent der befragten Männer.

Diese Zahlen zeigen, dass es auch bei digitaler Gewalt eine klare „geschlechtsspezifische Dimension“ gebe, erklärte Janina Steinert, Professorin an der Technischen Universität München, dazu. Frauen erhielten der Studie zufolge besonders häufig Androhungen sexueller Gewalt und herabwürdigende Kommentare zu ihrem Aussehen. Politisch aktiven Männern wiederum werde deutlich häufiger physische Gewalt angedroht, so Steinert.

Wenn aus digitaler Gewalt physische Gewalt wird

In manchen Fällen bleibt es jedoch nicht bei reinen Androhungen von Gewalt – das erlebte auch Bundestagsvizepräsidentin Yvonne Magwas (CDU). Sie nehme seit langem eine Zunahme der digitalen Gewalt war, berichtete sie auf der Pressekonferenz. „Wenn einmal jemand im Netz eine Beleidigung postet, fühlen sich andere ein Stück weit ermutigt, mitzumachen“, erklärte Magwas und machte klar: „Das geht irgendwann an die Substanz“.

Doch es kam noch schlimmer: Was zunächst mit herabwürdigenden Kommentaren aus dem AfD-Lager begann, mündete im Fall der CDU-Politikerin letztendlich in einem versuchten Anschlag. Als sie auf einer Demokratie-Demo eine Rede hielt, zündete eine Person neben ihr einen Sprengsatz. Die Polizei fasste den Täter, erzählte Magwas, für sie sei nun jedoch klar, dass sie sich aus der Öffentlichkeit zurückziehen werde.

Studie sieht Repräsentation von Frauen in Gefahr

Die Studie macht zudem deutlich: Nicht nur die Qualität der Gewalt, sondern auch die Reaktionen auf die erlebte Gewalt fallen in der Konsequenz je nach Geschlecht unterschiedlich aus. So schränkten 66 Prozent der betroffenen Frauen und 53 Prozent der betroffenen Männer nach eigenen Angaben die Nutzung sozialer Medien ein, passten ihren Ton und ihre Inhalte an. Und: Für 22 Prozent der Frauen kam, im Gegensatz zu zehn Prozent der Männer, ein kompletter Rückzug aus der politischen Arbeit infrage.

Janina Steinert sieht darin eine gefährliche Entwicklung: „Wir können digitale Gewalt als fundamentale Bedrohung für die politische Repräsentation von Frauen verstehen“, erklärte sie, „dabei sind Frauen bereits jetzt in Parlamenten und Parteien unterrepräsentiert“.

HateAid fordert politische Maßnahmen

Für HateAid ergeben sich aus den Ergebnissen der Studie verschiedene Forderungen an die Politik. „Gewalt gegen Personen des öffentlichen Lebens ist kein privates, sondern ein gesellschaftliches Problem“, so die Geschäftsführerin der Organisation, Anna-Lena von Hodenberg. Daher müsse digitale Gewalt auch gesellschaftlich angegangen werden.

Einen wichtigen Schritt sehe HateAid dabei in der konsequenten Durchsetzung des Digital Services Act (DSA) der Europäischen Union, erklärte von Hodenberg. Man müsse dafür sorgen, „dass Plattformen nach demokratischen Grundwerten reguliert werden“ – dazu gehöre auch, dass digitale Gewalt gegen politisch Engagierte nicht algorithmisch verstärkt werde.

Mit Blick darauf, dass sich viele der Betroffenen nach Angaben der Studie mit der digitalen Gewalt und ihren Folgen allein gelassen fühlen, seien zudem spezialisierte Anlaufstellen für betroffene digitaler Gewalt in Parteien oder anderen Institutionen dringend notwendig, forderte von Hodenberg. Auch müssen Justiz und Strafverfolgungsbehörden die notwendigen Ressourcen zur Verfügung gestellt werden, damit diese digitale Gewalt effektiver und schneller ahnden können.

Auch die Zivilgesellschaft ist in der Pflicht

Letztlich sei es jedoch ebenso wichtig, die Zivilgesellschaft für das Thema zu sensibilisieren. Auch Yvonne Magwas erzählte, dass sie eine klare Position gegen den Hass, den sie erlebte, Online vermisst hatte – „Zivilcourage im Netz ist genauso wichtig, wie Zivilcourage auf der Straße“, sagte die Bundestagsabgeordnete.

Dass sich digitale Gewalt bereits jetzt in einem erheblichen Ausmaß auf das politische Engagement der Bevölkerung auswirke, müsse die alle alarmieren, appellierte auch Anna-Lena von Hodenberg. „Die Institutionen in diesem Land sind nur so stark, wie die Menschen, die sich in ihnen engagieren“, warnte sie – daher sei es nun wichtig, diese engagierten Menschen auch vor den Angriffen gegen sie zu schützen und in ihrem Engagement zu unterstützen.

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