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Faktencheck: Steht der Haushalt 2025 wieder auf der Kippe?

Der Bundesfinanzminister will den Haushaltsentwurf 2025 neu verhandeln und stützt sich dabei auf zwei Gutachten. Dabei sind diese gar nicht einer Meinung. Wir erklären, warum.

von Lea Hensen · 2. August 2024
Christian Lindner will den Haushaltskompromiss neu verhandeln.

Christian Lindner will den Haushaltskompromiss neu verhandeln.

Die Ampel-Parteien haben lange um den Haushalt 2025 gerungen. Anfang Juli einigten sich Scholz, Habeck und Lindner auf einen Entwurf, der die Schuldenbremse einhält. Allerdings gibt es darin eine offene Haushaltslücke von 17 Milliarden Euro, die das Kanzleramt mittels mehrerer Vorhaben halbieren will. 

Bundesfinanzminister Christian Lindner (FDP) hat diese finanzpolitischen Kniffe von Gutachtern überprüfen lassen. Im Ergebnis sei der Haushaltsentwurf „verfassungsrechtlich problematisch und nicht umsetzbar", teilte das Finanzministerium am Donnerstag mit. Lindner will deswegen neu verhandeln und brachte erneut geringere Sozialausgaben ins Spiel. „Maßnahmen zur Stärkung der Treffsicherheit der Sozialausgaben, über die bislang keine politische Einigung erzielt werden konnte, könnten den Handlungsbedarf reduzieren“, hieß es aus dem Finanzministerium. An der Schuldenbremse will Lindner nicht rütteln.

Welche Vorhaben stellen die Gutachten infrage?

Bundeskanzler Olaf Scholz (SPD), Wirtschaftsminister Robert Habeck (Grüne) und Finanzminister Lindner hatten sich auf folgende haushaltspolitische Kniffe geeinigt, um die Finanzlücke um acht Milliarden Euro zu reduzieren:

Die Bundesregierung will ungenutzte Gelder aus der Gas- und Strompreisbremse umwidmen, um die Haushaltslücke zu schließen.

Zuschüsse an die Deutsche Bahn und die Autobahn GmbH sollten in Darlehen umgewandelt werden. Dadurch muss der Bund Kredite aufnehmen, die später durch Einnahmen zurückgezahlt werden. Die Darlehen würden dann als „finanzielle Transaktionen“ verbucht und nicht bei der Schuldenbremse angerechnet.

Welche Gutachten gibt es?

Bundesfinanzminister Christian Lindner (FDP) hat den Bundeskanzler über die Ergebnisse der Gutachten am Donnerstag in einem Brief informiert. Darin spricht Lindner von einem Gutachten „zu finanzverfassungsrechtlichen Fragen“ durch Rechtsprofessor Johannes Hellermann der Universität Bielefeld. Das Gutachten sowie der Brief von Lindner liegen dem „vorwärts" vor. Das zweite Gutachten sei, so Lindner, eine Einschätzung des „Wissenschaftlichen Beirats beim Bundesministerium der Finanzen“, „die sich insbesondere mit den ökonomischen Fragestellungen“ befasst. Die Gutachten prüfen also zwei verschiedene Aspekte: zum einen, ob der Haushaltsentwurf juristisch verfassungskonform ist – zum anderen, ob er wirtschaftlich ist.

Was sind ihre Ergebnisse?

Was die Umwidmung der Gelder aus der Gas- und Strompreisbremse angeht, kommen beide Gutachten zu einem übereinstimmenden Ergebnis. Demnach stammen die Mittel, die für die Gas- und Strompreisbremse vorgesehen waren, aus Notlagenkrediten. Da das Bundesverfassungsgericht aber bereits Ende 2023 die Umwidmung von Corona-Krediten als verfassungswidrig eingestuft hatte, raten beide Gutachten davon ab, erneut Mittel aus Krediten umzuwidmen.

Zu einem unterschiedlichen Ergebnis kommen die Gutachten, was die Darlehen für Deutsche Bahn und Autobahn GmbH betrifft. Hellermann bewertet diese als „rechtlich zulässige finanzielle Transaktion“ und „nicht schuldenbremsenrelevant“. Durch eine konkrete Ausgestaltung der Darlehen könne garantiert werden, dass sie verfassungsrechtlich sind. Der Rechtsexperte gibt zu bedenken, ob die Autobahn GmbH die Darlehen zurückzahlen kann. Anders als die Deutsche Bahn hat die Gesellschaft nämlich selbst keine Einnahmen. Sein Vorschlag: Der Bund könnten einen Teil der Mauteinnahmen rechtlich zu Einnahmen der Autobahn GmbH machen, damit die Rechnung wieder aufgeht.

Der wissenschaftliche Beirat hält die Darlehen aus wirtschaftlicher Perspektive für nicht sinnvoll. Auch die Deutsche Bahn habe demnach zu geringe Einnahmen, um die Schulden zurückzuzahlen, so die Begründung.

Und jetzt? 

Lindner empfiehlt, anstelle von Zuschüssen oder Darlehen das Eigenkapital der Deutschen Bahn um 3,6 Milliarden Euro zu erhöhen. Das Finanzloch würde sich dann um diesen Betrag reduzieren. 

Saskia Esken nannte die Bewertung des Gutachtens am Freitag „in fachlicher Hinsicht eigenwillig“. Aus den Gutachten ergebe sich nicht unbedingt die Notwendigkeit, den Haushalt neu verhandeln zu müssen. Die SPD-Parteichefin kritisierte, dass Lindner die Einschätzung am Tag des Gefangenen-Austauschs mit Moskau veröffentlicht habe. „Das ist rücksichtslos und überschreitet für mich die Grenze des Erträglichen in einer Koalition“, sagte sie. 

Auch Rolf Mützenich prangerte die „ungewöhnliche Kommunikation“ durch den Finanzminister an. „Obwohl das juristische Hauptgutachten die finanziellen Transaktionen im Kern für möglich hält, kommt das Ministerium zu der Auffassung, dass die verfassungsrechtlichen Zweifel überwiegen“, sagte er. Rein fachliche Gründe müssten innerhalb der Bundesregierung geklärt werden. „Alles andere führt zur Verunsicherung und erweckt den Eindruck, dass hier Spielchen gespielt werden, die dem Ernst der Lage nicht gerecht werden“, so der Vorsitzende der SPD-Bundestagsfraktion.

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2 Kommentare

Gespeichert von Peter Boettel (nicht überprüft) am Di., 06.08.2024 - 10:59

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Wie lange treibt Blockademinister Lindner seine Spielchen fort? Vermutlich wird er nach verheerenden Wahlergebnissen in Ostdeutschland nach der Methode Genscher/Lambsdorff gemeinsam mit Merz und der AfD versuchen, den Kanzler zu stürzen und mit seinen Komplizen eine rechte Regierung zu bilden mit Steuergeschenken an die Reichen und Leistungskürzungen bei den Armen.

Gespeichert von Martin Holzer (nicht überprüft) am Mi., 07.08.2024 - 12:51

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SPD und Grüne nehmen also in Kauf, dass der Haushalt eventuell wieder als verfassungswidrig abgelehnt wird? Schon erstaunlich wie leichtfertig man hier vorgeht obwohl man verfassungswidriges Verhalten sonst bei anderen energisch bekämpft.