Inland

Deutsches Finanzsystem: Braucht es eine Lobby gegen die Finanzlobby?

Immer wieder erschüttern Skandale die Finanzwelt – ob die Cum-Ex-Geschäfte der Hamburger Warburg-Bank oder die Insolvenz des Finanzdienstleisters Wirecard. „Finanzwende“-Gründer Gerhard Schick erklärt, warum das bislang selten Konsequenzen hatte.

von Finn Lyko · 2. Juli 2025
Der Sitz von Wirecard bei Nacht.

Ein „Gegengewicht zur Finanzlobby“ - das möchte Gerhard Schick mit seinem Verein Finanzwende e.V. schaffen.

Dass Finanzkriminalität im großen Stil für die Verantwortlichen bislang selten Konsequenzen hat, liegt vor allem daran, dass Banken und Konzerne erheblichen Einfluss auf die Politik haben, findet Gerhard Schick, Mit-Gründer und Vorstand der „Bürgerbewegung Finanzwende“. Seit 2018 versucht der Verein nach eigenen Angaben ein „Gegengewicht zur Finanzlobby“ darzustellen.

Hat Deutschland ein gerechtes Steuersystem?

Das kommt darauf an. Wir haben einen progressiven Einkommensteuertarif. Die Grundsteuer ist gerade korrigiert worden, nachdem das Bundesverfassungsgericht die bisherige als verfassungswidrig kritisiert hat. In Sachen Einkommensverteilung ist Deutschland im internationalen Vergleich im Mittelfeld. Wenn Null bedeutet, dass alle gleich viel haben, und Eins, dass einer alles hat, dann steht Deutschland bei der Einkommensverteilung etwa bei 0,3.

Bei der Besteuerung von großen Vermögen haben wir wiederum eine riesige Lücke – auch im internationalen Vergleich. Das ist einer der Gründe, warum das Vermögen in Deutschland so ungleich verteilt ist wie in kaum einem anderen Industriestaat – da stehen wir eher bei 0,8. Die Debatte um Gerechtigkeit und Verteilung findet aber häufig nur in Bezug auf die Einkommensverteilung statt.

Wie müsste ein gerechtes Steuersystem aussehen?

Da gibt es viele Stellschrauben, an denen man drehen könnte. Ein Beispiel ist die Erbschaftsteuer. In Deutschland wird auf kleine Vermögen im Erbfall zu Recht keine Erbschaftsteuer gezahlt. Die Ungerechtigkeit liegt zwischen der Mitte und ganz oben: Unterhalb 20 Millionen Euro vererbtem Vermögen wird tatsächlich neun Prozent Steuer gezahlt – oberhalb von 20 Millionen Euro aber nur noch etwa halb so viel, nämlich 4,7 Prozent. Das ist doch eindeutig ungerecht.

Oberste Gerichte haben immer wieder festgestellt, bei der Erbschaftsteuer stimmt etwas nicht. Das ist meines Erachtens die Baustelle, die jetzt angegangen werden müsste, aber im Koalitionsvertrag steht zu dem ganzen Thema Vermögensbesteuerung nichts. Dass es die SPD nicht geschafft hat, sich an dieser Stelle durchzusetzen, ist schon enttäuschend.

Gerhard Schick

Finanzwende e.V.

Es ist richtig, dass jede Form von Betrug bestraft wird, aber dann bitte auch wirklich jede.

Im schwarz-roten Koalitionsvertrag werden stattdessen vor allem die Bekämpfung von Steuerhinterziehung und entsprechende Maßnahmen dagegen, wie beispielsweise eine Registerkassenpflicht, in den Fokus gestellt. Finden Sie das richtig?

Bei der Umsatzsteuer gibt es auf jeden Fall großen Handlungsbedarf – da insgesamt ranzugehen ist durchaus sinnvoll. Das System bleibt aber weiterhin ungerecht. Da reicht es, sich anzuschauen, dass wir einerseits im Sozialbetrug relativ harte Strafen haben und der Staat auch ganz systematisch versucht, Betrug aufzudecken. Wenn jemand Bürgergeld bekommt, wird automatisch geprüft, ob er wirklich in keinem sozialversicherungspflichtigen Beschäftigungsverhältnis ist, und Menschen, die vielleicht 30.000 Euro im Bereich Sozialgelder betrogen haben, gehen dafür ins Gefängnis.

Aber auf der anderen Seite vertraut der Staat, wenn es um die Erstattung von Kapitalerträgen durch Banken geht, den Banken jahrelang blind, obwohl wir bei Cum-Ex und Cum-Cum gesehen haben, dass ihnen nicht zu trauen ist. Trotzdem werden ohne genauere Prüfung einfach Millionen an Steuererstattungen herausgegeben. Im Vergleich bekommt man dann durchaus den Eindruck, dass hier irgendwas nicht stimmt. Es ist richtig, dass jede Form von Betrug bestraft wird, aber dann bitte auch wirklich jede.

Haben Sie ein Beispiel für diese Ungleichbehandlung?

Nun, bei jedem normalen Bürger, der seine Steuer nicht richtig zahlt, fordert das Finanzamt völlig zu Recht das Geld zurück, vielleicht gibt es sogar eine Strafe. Aber als beispielsweise die HSH Nordbank den Hamburger Behörden gesagt hat, dass sie Cum-Cum-Geschäfte in Höhe von 275 Millionen Euro gemacht hat, haben die Hamburger Behörden nichts getan. Das Geld wurde nicht zurückgezahlt.

Jetzt muss man sich mal versuchen vorzustellen, wie viele Erzieher, Polizistinnen, Lehrer, Kassiererinnen jedes Jahr Einkommensteuer zahlen müssen, bis man 275 Millionen Euro zusammen hat. Diese Entscheidung der Hamburger Politik, unter Olaf Scholz und Peter Tschentscher, ist ein Schlag ins Gesicht jedes normalen Bürgers in diesem Land. 

Was im Zusammenhang von Cum-Cum und Cum-Ex immer wieder diskutiert wurde, ist die Aufbewahrungsfrist. Diese bestimmt aktuell, dass Unternehmen ihre Buchungsbelege und Rechnungen acht Jahre lang aufbewahren müssen. Das Bundesfinanzministerium plant nun eine Ausweitung dieser Frist auf zehn Jahre. Nützt das bei der Aufklärung dieser Fälle?

Ich finde es richtig, dass Lars Klingbeil diesen Schritt geht – die Zehn-Jahres-Frist gab es aber vorher schon, bevor die Ampel sie unter dem Deckmantel von Bürokratieabbau auf acht Jahre verkürzt hat. Das ist also erst einmal die Korrektur eines Fehlers, den Christian Lindner und Marco Buschmann uns eingebrockt haben, als sie die Frist von zehn auf acht Jahre verkürzt haben. Das ist also keine wirkliche Verbesserung. Es geht nur darum, eine Verschlechterung zu korrigieren, weiter als davor ist man jedoch nicht.

Gerhard Schick

Finanzwende e.V.

Diese Umverteilung von unten nach oben könnte durch härtere Regeln verhindert werden.

Die Bürgerbewegung Finanzwende will außerdem nach eigener Aussage darauf hinwirken, dass „die Finanzmärkte den Menschen dienen sollen und nicht umgekehrt“. Was meinen Sie damit?

Da gibt es viele Beispiele – wie beispielsweise Finanzinvestoren, die in Pflegeheimen und Arztpraxen investieren und da große Rendite rausholen wollen. Im gewerblichen Bereich können das bei solchen Fonds auch mal 15 bis 20 Prozent im Jahr sein, aber mit einem Pflegeheim funktioniert das nicht.

Also werden die Renditen durch Steuertricks gemacht, durch Lohndumping und durch eine Verschlechterung der Pflegequalität. Das Kapital wird quasi aus den Heimen rausgezogen, und die Investoren profitieren davon. Diese Umverteilung von unten nach oben könnte durch härtere Regeln verhindert werden – etwa indem der Staat festlegt, dass solche Geschäfte zwar in produktiven Bereichen gemacht werden dürfen, denn natürlich braucht unsere Wirtschaft Kapital und Investitionen. Aber in Bereichen der Daseinsvorsorge, wo man solche Renditen nur durch miese Tricks erzielen kann, die der Gesellschaft schaden, hat das nichts zu suchen.

Warum gibt es dafür bisher keine politischen Mehrheiten?

Weil eine der besten Investitionen, die man als reicher Mensch oder als Bank machen kann, Lobbyismus ist. Die „Stiftung Familienunternehmen und Politik“ hat beispielsweise laut Lobbyregister Summen im einstelligen Millionenbereich für Lobbyarbeit ausgegeben. Über die letzten 20 Jahre haben sie und ihre Vorgängerorganisation also vielleicht 40 Millionen Euro investiert. Genau wissen wir das nicht, aber die Größenordnung ist realistisch. Damit haben sie aber wiederum Politiker auf ihre Seite gebracht und dadurch Steuerprivilegien sichergestellt, sodass seit 2009 Erbschaftsteuer in der Größenordnung von 80 Milliarden Euro nicht gezahlt werden musste. Sie haben sozusagen aus 40 Millionen 80 Milliarden Euro gemacht. So eine Rendite bekommt man in keinem Wirtschaftszweig, aber durch Lobbyismus schon.

Manchmal schaffen es zivilgesellschaftliche Organisationen und Politiker, sich dagegen zu wehren. Aber im Bereich der Erbschaftsteuer können wir ganz klar sehen, dass sich die Investition in politische Lobbyarbeit durch die vermögendsten Familien dieses Landes für sie mehr als rentiert hat.

Der Gesprächspartner

Gerhard Schick ist Mit-Begründer und Vorstand des Vereins „Bürgerbewegung Finanzwende“, der sich für eine nachhaltige Finanzwirtschaft einsetzt. Von 2005 bis 2018 war er Mitglied des Bundestages für die Grünen.

Gerhard Schick steht gestikulierend an einem Rednerpult.

Ist das ein parteiübergreifendes Problem?

Ich denke schon. Es gibt in allen Parteien eine kleine Gruppe, die die große Steuerkriminalität wirklich bekämpfen will. Die ist aber häufig erstmal damit beschäftigt, die Politik, die für die Finanzlobby oder sehr Vermögende gemacht wurde, mühsam rückgängig zu machen.

Und dann gibt es Politiker wie Olaf Scholz und Peter Tschentscher, die das Profil einer SPD, die Steuergerechtigkeit im Blick hat, ruinieren – ein Profil, das jemand wie Norbert Walter-Borjans oder jetzt Michael Schrodi aufgebaut haben. Anderswo gibt es aber auch ähnliche Figuren: In der CDU ist das beispielsweise der ehemalige erste Bürgermeister Hamburgs, Ole von Beust, oder bei den Grünen der ehemalige Vizekanzler Joschka Fischer, die beide für René Benkos Signa-Gruppe lobbyiert haben. Gegen René Benko ermittelt jetzt die Staatsanwaltschaft.

Ihr Verein, die „Bürgerbewegung Finanzwende“ macht wiederum Lobbyarbeit gegen die Finanzlobby. 

Wir versuchen mit Finanzwende eine Gegenkraft aus der Gesellschaft aufzubauen, indem wir auf diese Themen aufmerksam machen. Gerade wenn es um das Thema Erbschaftsteuer geht wollen wir dafür sorgen, dass aus der Gesellschaft heraus so viel Druck kommt, dass wir endlich ein faires Erbschaftssteuerrecht kriegen.

Braucht es aus ihrer Sicht strengere Transparenzgesetze für Lobbyismus?

Auf jeden Fall. Aber Transparenz allein reicht noch nicht. Wir müssen das Wissen über die Verflechtungen und über die Lobbykontakte auch nutzen. Das Entscheidende ist, dass es für Politiker karriereschädlich wird, wenn sie sich auf die Seite von Kriminellen stellen oder offensichtlich ungerechte Steuergesetze machen.

Autor*in
FL
Finn Lyko

ist Volontärin in der vorwärts-Redaktion.

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Gespeichert von Peter Boettel (nicht überprüft) am Mi., 02.07.2025 - 16:30

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Hoffen wir, dass es nicht bei den Ankündigungen bleibt, sondern baldmöglichst umgesetzt wird. Denn seit mehreren Wahlperioden ist auf diesem Gebiet so gut wie nichts geschehen. Dies hat wesentlich zu den Wahlerfolgen der AfD beigetragen, obwohl die AfD sogar die Reichen weiter schonen und die Armen schröpfen will. Leider wird dies jedoch von deren Wähler*innen nicht zur Kenntnis genommen. Deshalb sollte die SPD auch eine offensivere Öffentlichkeitsarbeit betreiben, obwohl dies bekanntermaßen bei unserer überwiegend neoliberalen Presselandschaft schwierig ist.
Man kann der Initiative "Finanzwende" nur viel Erfolg bei ihrer Arbeit wünschen.

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