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SPD-Experte: Warum eine Reform der Erbschaftssteuer sinnvoll wäre

Michael Schrodi hat kürzlich den Vorsitz der AG Steuermythen in der SPD-Bundestagsfraktion übernommen. Im Interview erzählt er, welche Mythen in Deutschland am meisten verbreitet sind und warum sie vor allem den reichsten zehn Prozent nutzen.
von Jonas Jordan · 12. September 2023
Michael Schrodi, finanzpolitischer Sprecher der SPD-Fraktion, bei einer Rede im Bundestag.
Michael Schrodi, finanzpolitischer Sprecher der SPD-Fraktion, bei einer Rede im Bundestag.

Zahlen Sie als Bundestagsabgeordneter den Spitzensteuersatz?

Ja, das tue ich. Das ist auch gut so. Wir haben als Abgeordnete ein gutes Einkommen und dann können wir auch den Spitzensteuersatz zahlen. Denn mit einer höheren Belastung für Spitzenverdiener können wir die gesellschaftliche Mitte entlasten.

Die Frage zielt auf den Mythos ab, beispielsweise Facharbeiterinnen und Facharbeiter würden schon den Spitzensteuersatz zahlen. Warum ist das so verbreitet?

Weil die Menschen nicht zwischen Grenzsteuersatz und Durchschnittssteuersatz unterscheiden. Und weil der Bund der Steuerzahler und viele andere interessierte Lobbyverbände und Parteien immer wieder dieses falsche Bild zeichnen. Es kann sein, dass ein tarifvertraglich gut abgesicherter Arbeitnehmer in der Automobilbranche an die Grenze stößt, ab der 42 Prozent fällig werden. Es ist aber einer der größten Mythen, dass die Menschen glauben, sie zahlten auf das gesamte Einkommen 42 Prozent. Für den Grundfreibetrag bis 10.908 EUR bezahlt man gar keine Steuer. Der erste Euro, der über dem Grundfreibetrag liegt, wird mit 14 Prozent besteuert. Danach – für den Bereich zwischen 10.909 bis 62.809 EUR – steigt der Steuersatz linear-progressiv an. Erst für das Einkommen jenseits von 62.810 wird der Spitzensteuersatz von 42 Prozent fällig. Der Durchschnittssteuersatz dürfte bei 23 oder 24 Prozent liegen. Zudem haben viele eine verzerrte Vorstellung davon, was das zu versteuernde Einkommen ist. Nach Abzug z.B. des Grundfreibetrages, der Werbungskosten oder Betriebsausgaben, kommen die meisten nicht einmal in die Nähe des Spitzensteuersatzes.

War das der Grund, warum die Debatte um eine mögliche Kürzung des Elterngeldes für Familien mit einem zu versteuernden Jahreseinkommen von mehr als 150.000 Euro kürzlich so hitzig geführt wurde?

Diejenigen, die wirklich gut verdienen, und die wären ja betroffen gewesen, sind Meinungsführer in diesem Land. Sie wissen sich zu artikulieren und suggerieren, dass die Interessen, die sie vertreten, die Interessen der breiten Bevölkerung seien. So kommt es zustande, dass eine Petition zur Rücknahme der geplanten Kürzungen beim Elterngeld hunderttausendfach unterzeichnet wird, obwohl drei Viertel der Menschen gar nicht davon betroffen wären. Organisiert wird das über entsprechende Lobbyverbände wie den Bund der Steuerzahler oder die Initiative Neue Soziale Marktwirtschaft. Gleichzeitig haben die Petition zur Kindergrundsicherung weitaus weniger Menschen unterschrieben, obwohl davon nahezu alle Familien profitieren würden. Hier funktioniert die Interessenvertretung leider deutlich schlechter, weil den Betroffenen dafür viel weniger Geld und viel weniger Zeit zur Verfügung stehen.

Haben Sie einen Lieblingssteuermythos?

Mein Lieblingsmythos hat mit der Erbschaftssteuer zu tun. Ich erachte die Vermögensungleichheit als ein zentrales Problem unserer Gesellschaft. In Ostdeutschland fallen nahezu keine steuerpflichtigen Erbschaften an. Das ist historisch bedingt. Auch sonst sind die Freibeträge und die alle zehn Jahre gewährten Freibeträge in der Schenkungssteuer so hoch, dass Millionen steuerfrei übertragen werden können. Trotzdem wird so getan, als würde die Erbschaftssteuer die Mitte der Gesellschaft treffen. Es wird argumentiert, man müsse die Mitte der Gesellschaft davor schützen, dass sie ihr Haus verkaufen muss. Dabei wird unterschlagen, dass z. B. für eine eigengenutzte Immobilie im Grundsatz keine Erbschaftsteuer bezahlt werden muss. Im Endeffekt schützt man so die Privilegien der reichsten, einkommensstärksten Bevölkerungsschichten. Das betrifft vor allem die Betriebsvermögen. Denn deren Verschonung in der Erbschaftssteuer ist die größte steuerliche Subvention in Deutschland. So wird Vermögen leistungslos von Generation zu Generation weitergegeben. Darin liegt eine große Ungerechtigkeit. Die Vermögensungleichheit hat sich in Deutschland drastisch vergrößert. Im internationalen Vergleich haben wir eine geringe Vermögensbesteuerung. Deswegen sehe ich darin eine der Stellschrauben für eine Eingrenzung der sozialen Ungleichheit, der Vermögensungleichheit. Mit den Mitteln könnten wichtige Transformationsprojekte oder auch die Kindergrundsicherung finanziert werden.

Hubert Aiwanger von den Freien Wählern hat gefordert, die Erbschaftssteuer komplett abzuschaffen.

In der bayerischen Verfassung ist die Erbschaftsteuer festgeschrieben. Sie soll dazu beitragen, die Konzentration höchster Vermögen in den Händen weniger zu verhindern. Insofern handelt Hubert Aiwanger als stellvertretender bayerischer Ministerpräsident gegen die eigene bayerische Verfassung und zugunsten der Reichen.

Sie haben kürzlich den Vorsitz der AG Steuermythen übernommen. Was genau ist deren Aufgabe?

Lobbyorganisationen versuchen über das Steuerrecht Privilegien der Bestverdiener zu erhalten oder auszubauen. Sie tun das mit geschickten falschen oder halbwahren Behauptungen. Wir wollen über diese Mythen aufklären und einen Gegenpol setzen. Das tragen Mitglieder der SPD-Bundestagsfraktion. In unserem wissenschaftlichen Beirat sind zudem die führenden progressiven Ökonomen und Steuerexperten dieser Republik Mitglied.

Was haben Sie bis zum Ende der Legislaturperiode inhaltlich geplant?

Wir wollen dem Mythos einiger Lobbyorganisationen, wir hätten in Deutschland kein Einnahme-, sondern nur ein Ausgabenproblem eine eigene Erzählung und vor allem Faktenentgegensetzen und somit erklären, warum der Staat eine gute Einnahmebasis braucht. Zum Beispiel um zusätzliche Ausgaben wie die Kindergrundsicherung, im Bereich von Forschung und Entwicklung oder zum Erhalt und dem Ausbau von Infrastruktur und Daseinsvorsorge zu finanzieren.

Außerdem wollen wir uns mit der kalten Progression beschäftigen. Was ist eigentlich die kalte Progression? Muss man sie ausgleichen? In welcher Form wurde sie jetzt ausgeglichen? Wer hat davon profitiert? Ist das eine zielgerichtete Maßnahme gerade in solchen Krisenzeiten? Denn wir haben gesehen, dass mit dem Inflationsausgleichgesetz des letzten Jahres riesige Löcher in die Kassen gerissen wurden und die kalte Progression überkompensiert wurde. Und zwar zugunsten von Spitzenverdienern. In dieser Krisensituation sollte man lieber zielgerichtete Maßnahmen auf den Weg bringen, die kleine und mittlere Einkommen unterstützen. Das hat auch der Sachverständigenrat vorgeschlagen.

Autor*in
Jonas Jordan
Jonas Jordan

ist Redakteur des „vorwärts“. Er hat Politikwissenschaft studiert und twittert gelegentlich unter @JonasJjo

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