Bundestagswahl: Wie ein linker Aufbruch in Deutschland gelingen kann
Wie kommen die Parteien links der Mitte gegen den Rechtsruck an? Darüber diskutierte SPD-Generalsekretär Matthias Miersch am Dienstag bei einem Triell zur Bundestagswahl. Im Raum stand auch die Frage, wie es um Rot-Rot-Grün in Deutschland steht.
Nils Michaelis
Diskutierten über linke Erfolgsstrategien: SPD-Generalsekretär Matthias Miersch (2.v.l.) mit Grünen-Co-Chefin Franziska Brantner (3.v.l.) und Bodo Ramelow von der Linken.
Matthias Miersch hat es an diesem Abend nicht weit. Für den SPD-Generalsekretär sind es nur wenige Gehminuten vom Willy-Brandt-Haus in Berlin-Kreuzberg zum Veranstaltungssaal der „taz“ in der Friedrichstraße. Auch in manchen politischen Grundsatzfragen gibt es eine gewisse Nähe zwischen Miersch und dem linksalternativen Blatt, wenngleich dieses die Sozialdemokratie eher kritisch als wohlwollend begleitet.
Rot-rot-grüne Bündnisse sind Geschichte
Rot-Rot-Grün: Zumindest auf Länderebene war das mal eine reale Machtoption. Die Koalitionen in Berlin (2016 bis 2023) und Thüringen (2014 bis 2024) haben es vorgemacht. Diese Bündnisse sind inzwischen Geschichte und auch im Bund zeichnet sich keine Mehrheit dafür ab. Umfragen sehen SPD, Grüne und Linke derzeit bei insgesamt 33 bis 36 Prozent. Und im laufenden Wahlkampf betonen die Parteien lieber Unterschiede als Gemeinsamkeiten.
An diesem Dienstagabend steht zumindest ein fast schon freundschaftlicher Austausch unter der Chiffre „R2G“ plötzlich wieder im Raum, und zwar leibhaftig. Kurz vor der Bundestagswahl am 23. Februar hat die „taz“ zu einem Triell unter der Überschrift „Rechte Narrative und linke Niederlagen“ eingeladen.
Es geht um die Frage, wie die (politisch recht weit gefasste) Linke in Deutschland aus der Defensive kommen und für einen neuen Aufbruch sorgen kann. Neben Miersch auf der Bühne sitzen Franziska Brantner, die Co-Vorsitzende der Grünen, und Bodo Ramelow, Thüringens ehemaliger Ministerpräsident von der Linken.
Herzliche Atmosphäre auf der Bühne
Die Atmosphäre könnte am Anfang kaum besser sein. Brantner und Miersch umarmen sich herzlich zur Begrüßung, mit seinen Gesprächspartner*innen ist der Sozialdemokrat per du. Und doch werden die gut 100 Minuten in dem fast voll besetzten Saal keineswegs eine Wohlfühlveranstaltung.
Die durch den Abend führenden „taz“-Journalistinnen Anna Lehmann und Sabine am Orde richten das Augenmerk immer wieder dorthin, wo es den drei Politiker*innen weh tut. Zum Beispiel auf die Frage, warum sich der prognostizierte Stimmenanteil für die AfD während der Regierungszeit der Ampel-Koalition verdoppelt hat. Und wie man diesen wieder dezimiert.
„Die vielen Krisen der letzten Zeit, vor allem Russlands Krieg gegen die Ukraine, verunsichern viele Menschen“, sagt Miersch. „In dieser Situation kann der Staat ihnen nicht die Sicherheit bieten, die sie sich wünschen“, ergänzt er mit Blick auf den engen finanziellen Spielraum des Bundes nach dem Haushaltsurteil des Bundesverfassungsgerichts vom Dezember 2023.
Matthias Miersch: „Wir brauchen einen handlungsfähigen Staat“
Für Miersch ist klar: „Wir brauchen einen starken und handlungsfähigen Staat, um zu Lösungen zu kommen.“ Brantner nickt zustimmend, übt aber auch Selbstkritik. „Der Dauerstreit in der Ampel war schlecht“, sagt sie. Auch hätte die Koalition beim Thema Klimaschutz die Verknüpfung von Nachhaltigkeit und sozialen Ausgleichsmaßnahmen stärker betonen müssen. Dies würden die Grünen nun im laufenden Bundestagswahlkampf tun.
Apropos Klimaschutz: Der Zulauf für Rechtsaußen-Positionen, so ist an diesem Abend zu hören, habe auch mit einer weit verbreiteten Ablehnung gerade der Klimaschutz-Maßnahmen zu tun. Viele Wähler*innen würden damit, auch dank AfD-Polemik, Zwang, Verbote und Verzicht verbinden, selbst wenn es dafür keine Faktengrundlage gibt.
„Solche Verzichtsdebatten sind toxisch“, sagt Miersch. An dieser Stelle wolle die SPD in der nächsten Bundesregierung etwas tun: „Gerade beim Thema Heizen brauchen wir mehr Förderinstrumente mit einer sozialen Komponente, um mehr Menschen den Übergang zum klimafreundlichen Heizen zu ermöglichen.“
Windparks: Mehr Akzeptanz, wenn Kommunen profitieren
Auch das Thema Windenergie polarisiert derzeit. Ramelow schlägt vor, dafür zu sorgen, dass Kommunen, in denen Windparks entstehen, von den Einnahmen profitieren. Dies würde die Akzeptanz in der Bevölkerung erhöhen.
Brantner sieht das Klima-Thema auch als Grundlage für ein optimistisches Bild von der Zukunft und will damit der pessimistischen Rhetorik von rechts das Wasser abgraben: „Wir sind die erste Generation, die einen klimaneutralen Wohlstand aufbaut. Das ist eine geile Sache. Diese Erzählung müssen wir viel stärker betonen.“
Für einen Aufbruch von links kommt es aber auch darauf an, die von rechts und Rechtsaußen geprägten Debatten umzudrehen: Darin herrscht auf der Bühne Einigkeit. Allerdings müssen sich Miersch und Brantner die Frage gefallen lassen, warum sich ihre Parteien SPD und Grüne stattdessen beim Thema Migration an der gegenwärtigen „Verschärfungsdebatte“ beteiligen würden.
Mehr Gemeinwohl gegen die Angst
Miersch kontert mit Positionen, die es künftig offensiver zu vertreten gelte: „Wir brauchen Einwanderung. Mit dem Fachkräfteeinwanderungsgesetz hat die Bundesregierung aus SPD, Grünen und FDP einen wichtigen Beitrag geleistet. Und das Grundrecht auf Asyl ist nicht verhandelbar.“
Doch genügt es allein, die eigene Politik besser zu verkaufen, um die rechtspopulistische und konservative Dominanz zu brechen? Im Kampf gegen Ängste und Ressentiments wirbt Ramelow für einen grundlegenden Politikwechsel. „Wir haben vergessen, an Gemeinschaft und Gemeinwohl zu denken“, sagt er. Er fordert die Rückkehr zum gemeinnützigen Wohnungsbau und kritisiert die Privatisierung von öffentlicher Infrastruktur. Brantner fordert mehr Bürgerbeteiligung, etwa in der Bildungspolitik.
Als die Argumente ausgetauscht sind, bleibt die Frage: Wie steht es um die Zukunft einer rot-rot-grünen Zusammenarbeit? Miersch zeigt sich offen dafür, zumindest in programmatischen Fragen wieder mehr das Miteinander zu suchen. Man darf wohl annehmen: nach dem Wahlkampf, versteht sich.