Bundestagswahl: Können wirklich alle Deutschen wählen?
Das allgemeine Wahlrecht ist zwar im Grundgesetz verankert – für viele Deutsche ist die Teilnahme an den kommenden Bundestagswahlen immer noch mit großen Hürden verbunden. Der gemeinnützige Verein „Mehr Demokratie“ will das ändern.
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Für Deutsche die im Ausland leben ist die Bundestagswahl mit viel Bürokratie verbunden.
„Die Abgeordneten des Deutschen Bundestages werden in allgemeiner, unmittelbarer, freier, gleicher und geheimer Wahl gewählt“ – so steht es im Grundgesetz. „Allgemein“ bedeutet hier, dass jede*r Staatsbürger*in das Recht hat, zu wählen.
Dieses Recht mag in der Theorie tatsächlich für alle Deutschen gelten, in der Praxis ist es jedoch für viele mit großen Hürden verbunden. Wie beispielsweise für wohnungslose Menschen oder Menschen mit Behinderung, aber auch Analphabet*innen oder Deutsche, die im Ausland leben. All diese Gruppen haben also durch das Grundgesetz ein Recht auf politische Beteiligung – doch nach Angaben des gemeinnützigen Vereins „Mehr Demokratie“ machen insbesondere die etwa 6,2 Millionen funktionalen Analphabet*innen in Deutschland und die mehr als 3,5 Millionen Deutschen im Ausland deutlich seltener von diesem Recht Gebrauch als andere Gruppen. So forderten für die Bundestagswahl 2021 nur etwa 128.000 Wahlberechtigte aus dem Ausland ihre Wahlunterlagen überhaupt an.
Wenn bürokratische Hürden von der Wahl abhalten
Das habe oftmals spezifische Hürden als Grund, erklärte Alexander Trennheuser, der Bundesgeschäftsführer von „Mehr Demokratie“, bei einer Online-Pressekonferenz am Donnerstag. Während funktionale Analphabet*innen die Wahlunterlagen aufgrund von Sprache und Design kaum verstehen könnten, sei es für Deutsche im Ausland die komplexe Bürokratie, die die Menschen vom Wählen abhalte.
Der Verein „Mehr Demokratie“ sieht darin jedoch nicht nur eine Ungleichbehandlung, sondern auch erhebliche Auswirkungen auf die allgemeine Wahlbeteiligung. Im Vergleich: Bereits die 6,2 Millionen funktionalen Analphabet*innen und die 3,5 Millionen „Auslanddeutschen“ zusammen ergeben mehr Menschen, als insgesamt in Sachsen, Thüringen und Sachsen-Anhalt leben. In ganz Deutschland sind laut Statistischem Bundesamt etwa 59,2 Millionen Menschen für die kommende Bundestagswahl wahlberechtigt.
Neue Website hilft bei der Erstellung des Wahlantrags
Doch zumindest für die Wahlberechtigten im Ausland gibt es nun eine neue Website, die mit einer Wahlantragshilfe Abhilfe verspricht. Auf www.auslandswahl.de solle der sonst durchaus komplizierte Wahlantrag übersichtlich in verständliche Fragen übersetzt werden. Die können die Nutzer*innen dann in einzelnen Schritten beantworten, erklärte der Designer der Seite, Ernesto Rodriguez. Aus den angegebenen Daten wird dann der Wahlantrag digital erstellt.
Verein „Mehr Demokratie“ sieht staatliche Aufgabe
„Wir unterstützen das Projekt von Herrn Rodriguez sehr gerne“, so Alexander Trennheuser. Denn ein Kernthema von „Mehr Demokratie“ sei es, so vielen Bürger*innen wie möglich die Teilnahme an Wahlen zu ermöglichen. „Die Website, die Herr Rodriguez programmiert hat, sollte in unseren Augen eine staatliche Aufgabe sein“, gab er jedoch auch zu bedenken. Er bedauere, dass es bisher kaum derartig niedrigschwellige Angebote von staatlicher Seite gebe, so Trennheuser.
Neben der Wahlantragshilfe von auslandswahl.de unterstütze „Mehr Demokratie“ auch weitere Projekte, die die Wahlbeteiligung stärken wollen – so zum Beispiel einen Vorschlag für übersichtlicher designte Wahlunterlagen oder auch die Seite www.wahlbrief.de, die das Beantragen von Briefwahlunterlagen unabhängig von den Optionen der zuständigen Ämter ermöglicht.
Kurze Fristen durch Neuwahl zum Bundestag
„Aufgrund der kurzen Fristen kann das alles nur ein Einstieg sein“, erklärte Alexander Trennheuser weiter. Die vorgezogene Bundestagswahl erschwere Briefwahl sowohl im In- als auch im Ausland zusätzlich, da die pünktliche Zustellung der Unterlagen schnell nicht mehr garantiert werden kann – für die Wahl aus dem Ausland bereits ab dem 2. Februar. Langfristig wünsche er sich mehr staatliches Engagement für die gleichberechtigte Teilhabe an Demokratie, so der Bundesgeschäftsführer. Auch Gesetzesänderungen im Wahlrecht sieht er hier für notwendig.