Behindertenbeauftragte Verena Bentele: Barrierefreiheit hilft allen
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Am Sonntag ist Internationaler Tag der Menschen mit Behinderung. Für wen ist er wichtiger – für die Menschen, die eine Behinderung haben oder diejenigen, die keine haben?
Der Tag ist für alle wichtig. Die Menschen mit Behinderungen können auf ihre Bedürfnisse und auf Hürden im Alltag aufmerksam machen. Den Menschen ohne Behinderung wird an diesem Tag ins Bewusstsein gebracht, dass es um Teilhabe und eine Welt für alle geht. Überzeugungsarbeit muss man natürlich vor allem bei denjenigen leisten, die keine Behinderung haben, da sie ihr Leben ohne Hindernisse für selbstverständlich erachten. Der Internationale Tag der Menschen mit Behinderung ist eine gute Gelegenheit dafür in Gespräch zu kommen.
Welche Probleme für Menschen mit Behinderung sind in Deutschland die drängendsten?
Entscheidend ist für mich zurzeit die Frage, wie es gelingen kann, die privaten Anbieter von Produkten und Dienstleistungen zur Barrierefreiheit zu verpflichten. Wenn mir als blindem Menschen meine Kaffeemaschine nur auf einem Display anzeigt, dass sie gereinigt werden muss, hilft mir das nicht weiter. Es müsste verpflichtend auch eine Sprachausgabe eingebaut sein. Ein anderes Beispiel sind Arztpraxen, die häufig nicht barrierefrei sind. Die Bereiche Kommunikation und Digitales – Stichwort barrierefreie Internetseiten – sind eine weitere Großbaustelle. Im Allgemeinen Gleichbehandlungsgesetz müsste dieser Bereich geregelt werden, es muss in der gerade begonnenen Wahlperiode dringend angepasst werden. Eine größtmögliche Barrierefreiheit hilft übrigens nicht nur Menschen mit Behinderung, sondern auch Älteren oder Menschen, die die deutsche Sprache gerade lernen. Alle haben etwas davon!
Vor ziemlich genau einem Jahr hat der Bundestag das Bundesteilhabegesetz beschlossen. Es soll Menschen mit Behinderung mehr Freiheit und Selbstbestimmung ermöglichen. Wie fällt Ihre Bilanz nach dem ersten Jahr aus?
Das Bundesteilhabegesetz ist eine der größten Sozialreformen. Wir haben schon jetzt damit erreicht, dass über die Teilhabe von Menschen mit Behinderungen und ihre Rahmenbedingungen breit diskutiert wird. Meine Erkenntnis ein Jahr nach dem Beschluss ist, dass es gute Dinge geben wird, wie etwa Frauenbeauftragte in Werkstätten für behinderte Menschen. Bei anderen Dingen muss allerdings noch nachgesteuert werden. Auch das ist eine Erkenntnis der vergangenen zwölf Monate.
Das Gesetz tritt stufenweise in Kraft. Ab dem 1. Januar wird es das sogenannte Budget für Arbeit geben. Wie verbessert es die Situation für Menschen mit Behinderung?
Das Budget für Arbeit bietet Menschen mit Behinderung die Möglichkeit, im inklusiven oder ersten Arbeitsmarkt Fuß zu fassen. Sie werden dabei finanziell vom Staat unterstützt, der 70 Prozent des Lohns übernimmt. Den Rest zahlt der Arbeitgeber. So soll ein Anreiz geschaffen werden, Menschen mit Behinderungen regulär zu beschäftigen. Meine Hoffnung ist groß, dass möglichst viele den Weg aus der Werkstatt rein ins Berufsleben schaffen werden.
Unabhängig davon, wie die künftige Bundesregierung aussehen wird: Was erwarten die Menschen mit Behinderung von ihr?
Die Forderung ist ganz klar: Es muss in der Teilhabepolitik weitergehen. Die neue Bundesregierung darf sich nicht auf dem Erreichten ausruhen, sondern muss sich weiter für die Belange für Menschen mit Behinderungen stark machen. Wir haben z.B. das Behindertengleichstellungsgesetz weiterentwickelt, um die Barrierefreiheit in der öffentlichen Verwaltung zu verbessern. Nun ist es an der Zeit, darauf aufzubauen und auch die private Wirtschaft in die Pflicht zu nehmen.
Dirk Bleicker | vorwärts
ist stellvertretender Chefredakteur des vorwärts. Er betreut den Bereich Parteileben und twittert unter @kai_doering.