Inland

Bundestag-Debatte zum Wehrdienst: Pistorius verteidigt „hitzige Debatte“

Union und SPD ringen um einen Kompromiss beim Wehrdienst. Das Thema hatte in den vergangenen Tagen für eine kontroverse Debatte gesorgt. Doch in der SPD ist man sich in wesentlichen Punkten einig.

von Lea Hensen · 16. Oktober 2025
Bundesverteidigungsminister Boris Pistorius (SPD) fordert flächendeckende Musterungen.

Bundesverteidigungsminister Boris Pistorius (SPD) fordert flächendeckende Musterungen.

Die Debatte um das Wehrdienst-Modell ging in die nächste Runde, diesmal auf offener Bühne: Am Donnerstag wurde der ursprüngliche Gesetzesentwurf für ein freiwilliges Wehrdienst-Modell im Bundestag beraten. Bundesverteidigungsminister Boris Pistorius (SPD) rechtfertigte die „hitzige Debatte“, die die Bundestagsfraktionen von SPD und Union in den vergangenen Tagen zum Thema führten. „Alles weniger, als eine leidenschaftliche, offene und hitzige Debatte über eine solche Frage wäre für mich eine Enttäuschung gewesen“, sagte er. „Dieses Thema verdient eine ehrliche und offene Debatte, weil es das Leben vieler, vieler Menschen betrifft.“

Die Wehrdienst-Frage hatte in den vergangenen Tagen für Auseinandersetzungen gesorgt. Die Union fordert eine Verschärfung des Entwurfs zum Wehrdienst-Modernisierungsgesetz, den Boris Pistorius im August auf den Weg brachte. Der Entwurf orientiert sich am Koalitionsvertrag, er sieht vor, dass alle 18-jährigen Männer ihre Bereitschaft zum Wehrdienst angeben, der Dienst selbst soll aber freiwillig sein. Frauen können Angaben zu ihrer Bereitschaft machen, müssen aber nicht. Der Bundesverteidigungsminister ist zuversichtlich, über dieses Modell 80.000 neue Soldat*innen zu gewinnen. Sollten sich nicht genügend Freiwillige finden, könne die Bundesregierung per Rechtsverordnung mit Beschluss des Bundestags die 2011 ausgesetzte Wehrpflicht wieder aktivieren. 

Pistorius fordert flächendeckende Musterung

Der Union reicht das nicht, sie will für den Wechsel vom freiwilligen zum verpflichtenden Wehrdienst einen verbindlichen Automatismus, sollten sich nicht genügend Freiwillige melden. Verhandler*innen von beiden Fraktionen hatten sich deswegen vor der offiziellen Debatte im Plenum um einen Kompromiss bemüht. Am Dienstag war eine Lösung in greifbarer Nähe. Wenn nicht genügend Freiwillige zusammenkommen, sollte ein Losverfahren einen Teil der Männer eines Jahrgangs zur Musterung verpflichten – und bei Bedarf und Eignung anschließend auch zum Wehrdienst. Doch Medienberichten zufolge blockierte der Bundesverteidigungsminister diesen Vorschlag. 

Pistorius besteht auf einer flächendeckenden Musterung gesamter Jahrgänge ab 2027 – im Unterschied zum Kompromiss, der die Auswahl zur Musterung dem Zufallsprinzip überlassen wollte. Am Donnerstag begründete Pistorius seine Forderung. Seit Aussetzen der Wehrpflicht in 2011 gebe es in Deutschland keine Wehrerfassung mehr, sagte er. Das Bundesverteidigungsministerium wisse also gar nicht, wie viele Personen potenziell zur Verfügung stünden. „Wir müssen wissen, wer unser Land im Spannungs- und Verteidigungsfall mit welchen Qualifikationen verteidigen kann“, sagte Pistorius. 

Die Idee zum Losverfahren ist damit nicht zwingend Geschichte. Der Bundesverteidigungsminister zeigte sich kompromissbereit. „Ich finde das okay, ich bin offen dafür, das parlamentarische Verfahren ist genau dafür da, das zu diskutieren“, sagte er. Klar sei, wenn Freiwilligkeit nicht ausreiche, führe kein Weg vorbei an einer Wehrpflicht.

Einigkeit zwischen Möller und dem Minister

„Wir brauchen einen attraktiven, sinnstiftenden Wehrdienst, damit sich genügend junge Männer und Frauen finden, die bereit sind, Dienst bei der Bundeswehr zu leisten“, sagte der Bundesverteidigungsminister. SPD-Vize-Fraktionsvorsitzende Siemtje Möller hatte am Dienstag den Kompromiss zum Losverfahren mitverhandelt, bekräftigte aber am Donnerstag ihre Einigkeit mit den Forderungen des Ministers. „Wir die Koalitionsfraktion, gemeinsam mit der Bundesregierung“, betonte sie in ihrem Beitrag, „reden über einen attraktiven, auf Freiwilligkeit basierenden, sinnstiftenden Wehrdienst, der an den Bedarfen der Bundeswehr in diesen aufgeheizten Zeiten orientiert ist und garantiert, dass die Bundeswehr durchhaltefähig ist.“ 

Die SPD-Verteidigungspolitikerin betonte, dass viele junge Menschen selbst für einen Pflichtdienst sind. In einer Umfrage der Liz-Mohn-Stiftung hatten sich nahezu zwei Drittel der jungen Menschen für einen geschlechtsneutralen Pflichtdienst ausgesprochen. „Ich finde, damit können wir arbeiten“, sagte Möller. Sie bedankte sich explizit bei Pistorius für den „exzellenten“ Gesetzesentwurf. „Vielen Dank, Herr Verteidigungsminister, für die viele Arbeit, die von Ihnen persönlich und ihrem Haus hineingesteckt wurde“, sagte sie.

Der CDU-Politiker Norbert Röttgen saß mit Siemtje Möller am Verhandlungstisch. Am Donnerstag erneuerte er die Forderung der Union, im Gesetz konkrete Zielvorgaben dazu aufzunehmen, wie stark die Bundeswehr von 2026 bis 2035 wachsen soll. „Damit wir wissen: Sind wir auf Kurs oder müssen wir nachsteuern?“ Röttgen argumentierte für das Zufallsverfahren. „Nach dem Zufallsverfahren trifft jeden Mann die gleiche Chance, das gleiche Risiko. In dieser Gleichheit liegt die Fairness und die Rationalität dieses Verfahrens, und darum haben wir uns für dieses Verfahren entschieden.“

Brief betont gemeinsame Linie beim Wehrdienst

In einem gemeinsamen Brief wandten sich Pistorius, Möller und der verteidigungspolitische Sprecher der SPD-Bundestagsfraktion am Donnerstagabend an ihre Fraktion, um ihre geeinigte Linie zu betonen. Sie schreiben, dass der Wehrdienst kein rein verteidigungspolitisches Thema sei, „sondern eines, das uns als Gesellschaft insgesamt betrifft und beschäftigt“. Deshalb sei es wichtig, die unterschiedlichen Perspektiven in der Fraktion zu diskutieren.

Die SPD-Politiker*innen betonen, man habe sich mit der Union auf einen „neuen und zeitgemäßen Wehrdienst“ geeinigt, der mit der früheren Wehrpflicht nicht zu vergleichen sei. Mit dem geplanten Modell könnten genügend Freiwilligen rekrutiert werden. Offen sei noch die Frage, ob ganze Jahrgänge zur Musterung verpflichtet werden oder einzelne Männer ausgewählt. „Gleichzeitig müssen wir aber auch vorsorgen“, schreiben die SPD-Verteidigungspolitiker*innen. Für denn Fall, dass die Bundeswehr die NATO-Verpflichtungen Deutschlands nicht erfülle könne, müssten klare gesetzliche Regelungen geschaffen werden. „Dabei ist klar: Darüber entscheidet der Bundestag. Einen Automatismus wird es nicht geben.“ Freiwilligkeit, attraktive Bedingungen und eine Entscheidung des Deutschen Bundestages bei einer möglichen Aktivierung von Pflichtelementen würden die Grundlage bilden für die anstehenden parlamentarischen Beratungen.

Wehrdienst soll 2026 in Kraft treten

Und so geht es nun weiter: Wie bei jedem Gesetzesentwurf stehen Expertenanhörungen und Ausschussberatungen an, bevor der Bundestag über das endgültige Gesetz abstimmt. Dabei sollen unter anderem verfassungsrechtliche Bedenken geklärt werden, wie zur sogenannten Wehrgerechtigkeit, wenn bei einem Losverfahren einzelne aus einem ganzen Jahrgang zum Wehrdienst verpflichtet werden und andere nicht. Der neue Wehrdienst soll – in welcher Ausgestaltung auch immer – zu 2026 in Kraft treten.

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Gespeichert von Armin Christ (nicht überprüft) am Fr., 17.10.2025 - 09:56

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So heißt das und nicht so euphemistisch "Wehrdienst".
Jeder Toaster und jede Waschmaschine muss verteigt werden damit "der Putin" daraus keine Höllenmaschine baut. Wieviele der Drohnenvorkommnisse können eindeutig auf Russland zurück geführt werden ?????

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