Inland

Bauernproteste: „Die Wut sitzt viel tiefer.“

Am Montag gibt es erneute eine Großdemo der Landwirt*innen in Berlin. Susanne Mittag, agrarpolitische Sprecherin der SPD-Bundestagsfraktion, hat Verständnis für die Proteste. Die Ursache gehe weit über die aktuellen Kürzungspläne der Bundesregierung hinaus.

von Kai Doering · 15. Januar 2024
Bauernprotest in Rheinland-Pfalz: Das eigentliche Problem der Landwirt*innen ist die Planungsunsicherheit.

Bauernprotest in Rheinland-Pfalz: Das eigentliche Problem der Landwirt*innen ist die Planungsunsicherheit.

Seit einer Woche demonstrieren deutschlandweit die Landwirt*innen gegen die Sparpläne der Bundesregierung. Haben Sie Verständnis für die Proteste?

Über manche Formen des Protests muss man sicher reden, aber die Empörung und den Wunsch, endlich gehört zu werden, kann ich gut verstehen. Auslöser der Proteste waren ja die Pläne der Bundesregierung, die Kfz-Steuerbefreiung für landwirtschaftliche Maschinen ebenso abzuschaffen wie die anteilige Steuerrückerstattung beim Dieselpreis. Hier ist die Regierung inzwischen ja größtenteils schon wieder zurückgerudert. Das war aber nur die Kirsche auf der Sahne. Die Wut der Landwirtinnen und Landwirten sitzt viel tiefer.

Susanne Mittag, agrarpolitische Sprecherin der SPD-BundestagsfraktionWie meinen Sie das?

Das eigentliche Problem der Landwirtinnen und Landwirte ist die Planungsunsicherheit, die sich über die letzten zehn bis 15 Jahre aufgebaut hat. Wie jedes andere Handwerk müssen Landwirte so gut es geht in die Zukunft blicken und danach ihre Investitionen planen. Das wird aber erschwert, wenn sich die politischen Rahmenbedingungen ständig ändern, sich Grenzwerte verändern oder Dinge, die heute noch erlaubt sind, morgen verboten werden. Erschwerend kommt hinzu, dass Länder, Bund und europäische Ebene jeweils eigene Gesetze beschließen, die Auswirkungen auf das Leben der Landwirte haben. Zur Wahrheit gehört aber auch dazu, dass vieles, was sich in letzter Zeit verbessert hat, bei den Landwirten offenbar noch nicht angekommen ist. Leider sind da auch viele Falschinformationen unterwegs.

Woran denken Sie dabei?

Es gibt einiges, das bereits gelöst ist, weiterhin als Problem empfunden oder zumindest so dargestellt wird, etwa Fragen des Baurechts bei Ställen oder der Einsatz von Glyphosat. Auch zum Sozialversicherungssystem der Landwirte habe ich schon abenteuerliche Behauptungen gehört. All das erhöht die ohnehin schon große Verunsicherung bei den Landwirten. Ich sehe deshalb auch die Landwirtschaftsverbände in der Pflicht, für Aufklärung zu sorgen.

Susanne Mittag

Ich hoffe, dass der Fanclub am Ende groß genug sein wird, dass wir für die Landwirtinnen und Landwirte noch etwas mehr erreichen können.

Eine Kritik lautet, dass die Politik in den vergangenen Jahren zu wenig mit dem Landwirt*innen geredet hätte. Empfinden Sie das auch so?

Nein. Wir sind bei allen Vorhaben in engem Austausch mit den Vertretern der Landwirtschaftsverbände. Allerdings höre ich durchaus Beschwerden von Landwirtinnen und Landwirten vor Ort, dass sie von ihren eigenen Vertretern kaum etwas erfahren. Das ist aber ein Problem, das die Politik nicht lösen kann. 

Auch abgesehen von Agrardiesel und Kfz-Steuer ist die Landwirtschaft ein hochsubventionierter Bereich. Daran gibt es seit Jahren Kritik. Wäre jetzt ein passender Zeitpunkt für einen Systemwechsel?

Die Forderung ist sicher populär, aber kaum umzusetzen, zumindest nicht von heute auf morgen. Es gibt ja durchaus Reformbemühungen, gerade auf europäischer Ebene, aber das braucht Zeit. Hinzu kommt, das vieles, was wir als SPD in der letzten Legislatur angestoßen haben, auf großen Widerstand bei CDU und CSU gestoßen ist. Deshalb halte ich die aktuellen Solidaritätsbekundungen gegenüber den Landwirtinnen und Landwirten aus Reihen der Union auch für scheinheilig. 

Schon vor Beginn der Protestwoche hat die Bundesregierung Abstriche bei ihren Plänen gemacht. Die Befreiung von der Kfz-Steuer soll bleiben und die Unterstützung beim Diesel nur schrittweise zurückgefahren werden. Reicht das aus, um die Wogen zu glätten?

Der Ansatz, den Landwirtinnen und Landwirten den Übergang hin zur Klimaneutralität zu erleichtern, ist auf jeden Fall richtig. Es gibt ja bereits erste Trecker, die mit Strom oder mit Wasserstoff betrieben werden. Allen ist klar, dass das die Zukunft sein wird. Die Landwirtinnen und Landwirte sind ja bereit, den notwendigen Wandel zu vollziehen und machen das auch schon. Sie müssen aber auch dazu in die Lage versetzt werden. Übergangsfristen sind deshalb wichtig. Was nicht funktionieren wird, ist eine Hauruck-Aktion von heute auf morgen.

Sie sprechen sich also für eine vollständige Rücknahme der Kürzungen aus?

Wir müssen sehen, was da im parlamentarischen Verfahren noch möglich ist. Ich hoffe, dass der Fanclub am Ende groß genug sein wird, dass wir für die Landwirtinnen und Landwirte noch etwas mehr erreichen können. 

Autor*in
Kai Doering
Kai Doering

ist stellvertretender Chefredakteur des vorwärts. Er betreut den Bereich Parteileben und twittert unter @kai_doering.

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3 Kommentare

Gespeichert von max freitag (nicht überprüft) am Mo., 15.01.2024 - 07:51

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Bauern, und habe auch nicht nachvollziehen können, warum man denen noch nachgegeben hat bei der KFZ Steuer. Wird hier im Artikel weiterer Nachgiebigkeit der Weg bereitet? Ich habe so die Befürchtung beim Lesen. Die Bauern vernichten mit ihrer Wirtschaft unsere Lebensgrundlagen (Insektensterben, Nitratverseuchung des Grundwassers, Beregnung von Flächen mit abgepumpten Grundwasser auch in Wasserschutzgebieten) um nur die wichtigsten Punkte zu nennen. Und daraus leitet sie den Anspruch auf staatliche Stütze ab. Also, !Wir wollen die Lebensgrundlagen vernichten, und ihr sollt es bezahlen". Zugespitzt, keine Frage, aber letztendlich geht es darum.
Wir brauchen die Landwirtschaft nicht, jedenfalls nicht in dieser Intensität. Anderenorts werden Lebensmittel in besseren Qualitäten und zu geringeren Kosten in ausreichender Menge produziert. Die Agrarpolitik der EG, und die der BR steht diesen Quellen im Wege. Noch einmal zusammengefasst. Stoppt die Agrarsubventionen, und fangt an, in dem ihr jetzt diesen frechdreisten Protesten nicht nachgebt.

Die Verseuchung des Grundwassers mit Nitrat hat u.a. die Ursache, daß (fast) landlose Hühner- und Schweinehalter ihr Viehzeuch vorwiegend mit Importfutter (Fleisch dann für den Export), also Soja und Mais aus Übersee füttern. Richtig ist, daß genau die von Herrn Ruckwied vertreten werden. Rinder werden im Gegensatz zu den üblichen Behauptungen kaum mit Soja gefüttert. Dem kann man aber mit Flächengebundener Viehhaltung entgegenwirken - das hat der Seehofer abgeschafft. Dann wurde die ganzjährige Stallhaltung von Rindern intensievst durch landwirtschaftliche "Berater" durchgedrückt, regionale Schlachthöfe wurden geschlossen, und die Veterinärämter tun ihr übriges mit "Verordnungen" (teilweise sehr phantasievoll interpretiert) um den Bauern das Leben schwer zu machen.
Erhielten die Erzeuger um 1960 noch ca. 70% des Endverbraucherpreises, so können sie froh sein heute voch 25% davon zu erlösen.
Billigimporte sind keine Lösung, den genau das fördert die Agrarindustrie in den Ländern des Südens zu Lasten der Kleinbauern und bringt internationale Verwerfungen (Befrieden wir das mit Waffenexporten).

Gespeichert von Peter Boettel (nicht überprüft) am Mo., 15.01.2024 - 12:54

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Genossin Susanne Mittag hat Recht, wenn sie sagt, die Ursache gehe weit über die Kürzungspläne hinaus. Dabei muss allerdings erwähnt werden, dass der Bauernverband immer lieber gegen SPD-geführte Regierungen als über Unions- geführte Regierungen protestiert hat. Schon Adenauer saget: "Für die Bauern baruchen wir nichts zu tun, die wählen uns sowieso." So hatten auch in der Folgezeit die Agrarminister der sozialliberalen Koalition unter Willy Brandt und Helmut Schmidt immer mehr für die Bauern geleistet, so etwa bei Verhandlungen in der damaligen EWG oder beispielsweise die Einführung einer Krankenversicherung für Landwirte.
Und wichtig ist, grundsätzlich darauf hinzuweisen, dass den Bauern im Gegensatz zu den Endverkäufern wie Discountern, Bäckern oder Metzgern die Preise von den Abnehmern diktiert werden und die Erzeugerpreise oft eher fallen als steigen, während die Endpreise für Fleisch, Wurst oder Backwaren stets gestiegen sind. Und fast zufällig erscheint folgende Meldung unter https://www.tagesschau.de/wirtschaft/verbraucher/milchpreise-
getreidepreise-100.html.
Nahezu grotesk erscheinen auch Verordnungen der EU zu kostspieligen Umbaumaßnahmen in Ställen oder die Verpflichtung zum Umbau von Milchautomaten, damit Kassenbons erstellt werden können. An welchen Getränke- oder Zigarettenautomaten müssen sonst Kassenbons erstellt werden? Daran wird erkenntlich, dass viele Verordnungen nur der Schickane dienen.