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Untersuchungsausschuss zum Atomausstieg: „Die Union reitet ein totes Pferd“

Am Donnerstag nimmt der Untersuchungsausschuss des Bundestags zum Atomausstieg seine Arbeit auf. SPD-Fraktionsvize Matthias Miersch kritisiert, CDU und CSU verdrehten dabei die Tatsachen. Aufklären müsse die Union vielmehr ihren eigenen Kurs.

von Lars Haferkamp · 4. Juli 2024
Atomausstieg: Erst rein, dann raus, jetzt wieder rein – der Kurs von CDU und CSU beim Ausstieg aus der Nutzung von Atomkraft sorgt für Verwirrung und Unverständnis.

Atomausstieg: Erst rein, dann raus, jetzt wieder rein – der Kurs von CDU und CSU beim Ausstieg aus der Nutzung von Atomkraft sorgt für Verwirrung und Unverständnis.

Matthias Miersch, am Donnerstag nimmt der Bundestagsuntersuchungsausschuss zum Atomausstieg seine Arbeit auf. Sehen Sie bei dem Thema Aufklärungsbedarf?

Nein. Nur wenige Themen wurden in Deutschland so gründlich und intensiv diskutiert wie der Atomausstieg. Auch der Streckbetrieb, also die Verlängerung der Laufzeit der letzten drei Kraftwerke um drei Monate bis Ende März 2023, wurde in der Bundesregierung gründlich abgewogen und breit öffentlich diskutiert. Wenn überhaupt, dann ist der Zickzack-Kurs der Union aufklärungsbedürftig.

Friedrich Merz und Alexander Dobrindt behaupten, die Bundesregierung habe beim Atomausstieg „nicht zum Wohle Deutschlands, sondern ausschließlich nach der Logik grüner Parteipolitik entschieden“. 

Das ist nun wirklich eine populistische Verdrehung der Tatsachen. Schließlich hatte Angela Merkel nach der Nuklearkatastrophe in Fukushima 2011 eine Ethikkommission eingesetzt, um die technischen und ethischen Aspekte der Atomkraft zu überprüfen. Diese Kommission wurde vom ehemaligen CDU-Umweltminister Klaus Töpfer geleitet. Auch sie kam zu dem Ergebnis, dass der Ausstieg nötig ist, weil es bessere und risikoärmere Alternativen zur Atomkraft gebe. In Ihrer Regierungserklärung am 9. Juni 2011 erklärte die Bundeskanzlerin: „In Fukushima haben wir zur Kenntnis nehmen müssen, dass selbst in einem Hochtechnologie-Land wie Japan die Risiken der Kernenergie nicht sicher beherrscht werden können.“ Der Atomausstieg ist und bleibt deshalb ein Gebot der Vernunft.

Besonders im Fokus von CDU und CSU stehen Wirtschaftsminister Habeck und Umweltministerin Lemke. Wie bewerten Sie das Agieren der beiden grünen Minister*innen beim Atomausstieg?

Beide Minister haben dem Ausschuss Rede und Antwort gestanden. Ich glaube nicht, dass ein Untersuchungsausschuss zu weiteren Erkenntnissen kommen würde.

Sie sind also mit dem Aufklärungswillen von Habeck und Lemke zufrieden?

Ich gehe davon aus, dass sie gegenüber dem Parlament die Vorgänge in ihren Häusern transparent offengelegt haben, weil es nichts zu verbergen gibt.

Matthias
Miersch

Die Union reitet ein totes Pferd.

Welche Rolle hat die Union beim ersten Atomausstieg der Regierung Schröder, bei der Laufzeitverlängerung und beim erneuten Ausstieg der Regierung Merkel gespielt?

Die Union fährt einen gefährlichen Zickzack-Kurs: 2002 stimmte sie gegen den Atomausstieg und die Energiewende hin zu den Erneuerbaren. 2010 stieg sie aus dem Atomausstieg aus und verlängerte die Laufzeiten. Nach Fukushima wieder die Wende zum Ausstieg. Markus Söder war einer der ersten, der vehement den Atomausstieg forderte, sodass die „Zeit“ damals im Mai 2011 titelte: „Die CSU will die Speerspitze des Atomausstiegs sein.“ Jetzt wieder der Einstieg. Da blickt doch keiner durch. Hätten sie die unter Rot-Grün eingeleitete Energiewende hin zu den Erneuerbaren Energien konsequent fortgesetzt, stünde unser Land heute besser dar. Dann wären 100 Prozent Erneuerbare Energien vermutlich schon jetzt in greifbarer Nähe und wir müssten nicht in kurzer Zeit die Versäumnisse der Unionsregierungen nachholen.

Wie bewerten Sie die Rolle rückwärts von Friedrich Merz beim Atomausstieg?

Es lässt mich ratlos zurück – vor allem, weil Friedrich Merz mit seinen Plänen völlig allein dasteht. Es findet sich kein Unternehmen, das in neue Atomkraftwerke investieren will. Die Kosten und Risiken sind viel zu hoch. Der Zug ist abgefahren. Alle deutschen Energiekonzerne setzen auf die günstigen Erneuerbaren. Die Union reitet ein totes Pferd.

Wird das Machtwort von Bundeskanzler Olaf Scholz, der im Oktober 2022 den vorübergehenden Weiterbetrieb von drei Atomkraftwerken anordnete, im Ausschuss auch eine Rolle spielen?

Nein, der Atomausstieg war beschlossene Sache – es gab sehr ernste Sicherheitsbedenken, die gegen einen Betrieb der Meiler sprachen, der über den Streckbetrieb hinausging. Der Kanzler hat alles richtig gemacht.

Matthias
Miersch

ist stellvertretender Vorsitzender der SPD-Bundestagsfraktion, zuständig für Umwelt, Klimaschutz, Energie, Landwirtschaft und Verbraucherschutz.

Matthias Miersch ist als stellvertrender Vorsitzender der SPD-Bundestagsfraktion zuständig für Umwelt, Klimaschutz, Energie, Landwirtschaft und Verbraucherschutz.

Manche sehen in dem Untersuchungsausschuss schon eine Art Vorlauf für den Bundestagswahlkampf 2025. 

Natürlich ist das Wahlkampf, was hier von CDU und CSU veranstaltet wird.

Macht die Forderung der Union nach einem Comeback der Atomkraft eine mögliche Koalition nach der Wahl mit der SPD unmöglich?

Ich bin mir sehr sicher, dass die SPD keiner Regierung angehören wird, die ein Comeback der Atomkraft beschließt. Ich glaube aber auch nicht, dass CDU und CSU die Energiewirtschaft dazu bringen können, wieder in die Atomkraft einzusteigen. Die Energiewirtschaft hat längst erkannt, dass die Erneuerbaren Energien sicherer, günstiger und nachhaltiger sind. Da wird es kein Zurück mehr geben.

Das Interview wurde schriftlich geführt.

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