Meinung

Atomausstieg-Novelle: Die Quittung der schwarz-gelben Blamage

Es begann mit dem Ausstieg vom Atomausstieg 2010, setzt sich fort mit der Kehrtwende 2011 und endete vor dem Verfassungsgericht: Am 8. Juli 2011 wurde die Atomgesetz-Novelle verabschiedet. Es ist die Chronik einer teuren, schwarz-gelben Blamage.
von Benedikt Dittrich · 12. November 2020
Atomausstieg: Die Kehrtwende von Schwarz-Gelb sorgte 2011 für Chaos.
Atomausstieg: Die Kehrtwende von Schwarz-Gelb sorgte 2011 für Chaos.

Es ist der Herbst 2010. Sektkorken knallen, Politiker*innen von CDU, CSU und FDP lächeln in die Kameras. Norbert Röttgen (CDU), Rainer Brüderle (FDP) und Bundeskanzlerin Angela Merkel Arm in Arm mit Vertreter*innen der großen Energiekonzerne Eon, Vattenfall und RWE. Die Laufzeitverlängerung für Atomkraftwerke ist beschlossen, die Energiewende von Rot-Grün wird in die Länge gezogen, von einer notwendigen Brückentechnologie ist die Rede – was schon damals umstritten war.

Wenige Monate später: Im März 2011 setzt ein Tsunami die Atomreaktoren in Fukushima unter Wasser, Brennstäbe schmelzen, Kühltürme explodieren, eine ganze Region wird verstrahlt, die Auswirkungen belasten Mensch und Umwelt in Japan noch heute.

Die Kosten der doppelten Kehrtwende

Indes wird in Deutschland binnen kürzester Zeit der Beschluss von 2010 wieder abgeräumt, am Ende der von Rot-Grün beschlossene Atomausstieg sogar verschärft, mit dem Beschluss des Bundesrats am 8. Juli 2011 wird die Kehrtwende Gesetz. Doch die Novelle war überhastet und hatte unabsehbare Folgen, wie ein Urteil des Bundesverfassungsgerichts im November 2020 schlussendlich zeigt. Denn die damaligen Beschlüsse machten Investitionen und Planungen der Kraftwerksbetreiber*innen hinfällig und bereiteten so zahlreichen Klagen den Weg. Auch wenn nicht alle Erfolg hatten: Die Kehrtwende ist eine Blamage für die damalige Bundesregierung aus Union und FDP, die sich doch als besonders kompetent in Sachen Wirtschaft profiliert hatte. Und es ist ein Irrweg, der Jahre später Kosten in Milliardenhöhe verursacht.

Festgestellt hatte das Bundesverfassungsgericht dies schon 2016, daraufhin versuchte die damalige große Koalition die Entschädigungszahlungen rechtssicher zu regeln. Nun, vier Jahre später, kommen die Richter*innen erneut zu dem Schluss, dass das Gesetz immer noch nicht verfassungskonform ist und auch nie in Kraft treten konnte. Es steht also alles wieder auf Anfang.

Die Doppelmoral der Energiekonzerne – 2010 mit der Laufzeitverlängerung auf satte Gewinne hoffen und dann nach der Kurskorrektur auf dem Rechtsweg für Fehlinvestitionen entschädigt zu werden – ist dabei schon ärgerlich genug. Aber es wäre vor allem alles so einfach zu verhindern gewesen, hätten CDU, CSU und FDP damals einfach nichts gemacht. Keine Laufzeitverlängerung durchsetzen, keine neue Debatte über Atomkraft unterstützen, keine Änderung an der so mühsam von Rot-Grün ausgearbeiteten Energiewende vornehmen. Verwalten und bewahren – das können konservative Parteien doch eigentlich besonders gut.

Das Ergebnis eines schwarz-gelben Fehlers

Stattdessen wurde an beschlossenen Laufzeiten herumgedoktert, die später dann überhastet wieder verworfen wurden. Das Gericht urteilte am 12. November mit Bezug auf das Urteil von 2016, dass weder die Abnahme von Reststrommengen garantiert noch Ausgleichszahlungen sichergestellt sind. Es sind formale Fehler, die die große Koalition bis 2018 nicht ausmerzen konnte, begangen wurden sie aber schon 2011.

20 Jahre nach dem beschlossenen Atomausstieg steht also bei den Entschädigungszahlungen jetzt alles wieder auf Anfang mit unkalkulierbaren Kosten für Politik und Verbraucher*innen. Nur, weil eine neoliberal-konservative Regierung unbedingt dem Lobbyismus der Energiekonzerne nachgab und wenige Monate später eine überhastete Kehrtwende vollführte.

 

+++Der ursprüngliche Kommentar wurde anlässlich des Urteils des Bundesverfasssungsgerichts im November 2020 veröffentlicht. Am 8. Juli 2021 jährt sich der Beschluss zum neuen Atomausstieg zum zehnten Mal. +++

Autor*in
Benedikt Dittrich

war von 2019 bis Oktober 2022 Redakteur des „vorwärts“.

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