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Atomausstieg: Warum in Deutschland keine Blackouts drohen

Am kommenden Samstag ist es soweit: Deutschland steigt endgültig aus der Atomenergie aus. Ob die Versorgungssicherheit dennoch gewährleistet ist, darauf weiß SPD-Fraktionsvize Matthias Miersch eine Antwort.
von Sebastian Thomas · 13. April 2023
Ab dem 15. April Geschichte: Die Stromerzeugung aus Atomenergie.
Ab dem 15. April Geschichte: Die Stromerzeugung aus Atomenergie.

Wann und warum fiel in Deutschland die Entscheidung aus der Atomkraft auszusteigen?

Nach dem Regierungswechsel im Jahr 1998 nahm sich die erste rot-grüne Regierung auf Bundesebene dem Thema Atomausstieg an. Mit dem sogenannten „Atomkonsens“ – so genannt, weil es eine Vereinbarung zwischen der damaligen Bundesregierung und den Energieversorgungsunternehmen war – leitete die rot-grüne Regierung den Atomausstieg ein.

Allerdings machte 2010 die damalige schwarz-gelbe Bundesregierung diesen Konsens wieder rückgängig, ein „Ausstieg aus dem Ausstieg“. Die Laufzeiten verschiedener Atomkraftwerke in Deutschland verlängerten sich. Angesichts des Schreckens der Reaktor-Katastrophe in Fukushima 2011 beschloss CDU-Kanzlerin Angela Merkel aus der Atomenergie auszusteigen.

Diese Entscheidung wurde in der Öffentlichkeit als der „Ausstieg vom Ausstieg vom Ausstieg“ bekannt und führte zurück zum Atomkonsens. Eigentlich war der Ausstieg für Ende 2022 geplant, doch wegen der Energiekrise wurde er auf das Frühjahr des darauffolgenden Jahres, genauer auf Samstag, 15. April 2023, verschoben. Vorausgegangen war eine wochenlange Diskussion, welche Atomkraftwerke wie lange weiterlaufen sollen.

Schließlich machte SPD-Kanzler Olaf Scholz von seiner Richtlinienkompetenz Gebrauch: Das Wirtschafts- und Umweltministerium mussten die Rahmenbedingungen dafür schaffen, dass die drei verbliebenen Atommeiler nicht Ende 2022, sondern erst am erwähnten Ausstiegsdatum abgeschaltet werden.

Wie hoch ist der derzeitige Anteil der Atomkraft an der Stromerzeugung in Deutschland?

Laut Statistischen Bundesamt betrug der Anteil der Atomenergie an der gesamten deutschen Stromproduktion im vergangenen Jahr lediglich 6,4 Prozent. Aktuell wird in Deutschland mehr als die Hälfte des Stroms – 54 Prozent – aus konventionellen Energiequellen – Kohle, Kernenergie und Erdgas – erzeugt. Zum Vergleich: Etwas mehr als 46 Prozent des Stroms stammte 2022 aus erneuerbaren Energien – Windkraft, Sonnenenergie, Biogas und sonstigen erneuerbaren, unter anderem Wasserkraft.

Was sind die Vorteile des Atomausstiegs?

Die Energiebranche selbst hat kein Interesse mehr an der Kernkraft, sagte Kerstin Andreae, Chefin des Energieverbands BDEW, bereits im Februar 2022 in der „Süddeutschen Zeitung“. Sie sei zu risikobehaftet und teuer. Das bestätigt auch Matthias Miersch, Fraktionsvize der SPD im Bundestag – und ergänzt: Die Atomenergie produziere hochgiftigen Müll für 30.000 Generationen.

Dafür habe man noch kein Endlager. Da sei die Bundesumweltministerin gefragt. Allein aus diesem Grund sei es für ihn vernünftig, „keinen weiteren Atommüll zu produzieren und aus der dreckigen Atomkraft auszusteigen“. In einer Metastudie der Agentur für Erneuerbare Energien heißt es, dass wegen des Weiterbetriebs der Atommeiler regenerative Energiequellen abgeregelt werden.

So gingen große Mengen an Ökostrom verloren. Dazu äußerte sich Niedersachsens SPD-Ministerpräsident Stephan Weil im „Handelsblatt“ in Bezug auf den Weiterbetrieb des AKW Emsland: Erneuerbare, so erklärte er, würden immer wieder abgeschaltet, da der Strom aus Kernenergie Netzkapazitäten benötige. Das fällt durch den Abschied von der Atomkraft zukünftig weg.

Durch den Weiterbetrieb der deutschen Atomkraftwerke gehen hohe Mehrkosten einher, die durch Netzengpässe entstehen. Diese bezahlen die Verbraucher*innen: Allein 2021 wurden Energieversorger*innen mit insgesamt 807 Millionen Euro für nicht eingespeisten Strom entschädigt. Diese Kosten haben sich durch den Atomausstieg zukünftig erledigt.

Matthias Miersch blickt in diesem Zusammenhang auf das französische Nachbarland: „Der größte europäische Energiekonzern EDF muss inzwischen komplett verstaatlicht werden, weil er die finanziellen Lasten der Atomkraft allein nicht mehr schultern kann.“ Das Unternehmen vermeldete für 2022 einen Rekordverlust von knapp 18 Milliarden Euro.

Drohen in Deutschland jetzt Blackouts?

Laut der Bundesnetzagentur bleibt das Stromnetz auch nach der Abschaltung der letzten drei Atomkraftwerke und bei einem schnellen Ausstieg aus der Kohleverstromung stabil. Auch der steigende Energiebedarf, unter anderem durch Wärmepumpen oder E-Mobile, bringen das Netz nicht ins Wanken. „Auf den kommenden, schrittweisen Atomausstieg haben wir uns lange vorbereitet“, sagt Matthias Miersch.

Bundeswirtschaftsminister Robert Habeck (Bündnis 90/Die Grünen) hat die Stromversorgung mehreren Stresstests unterzogen – das Ergebnis: „Es drohen keine Blackouts. Blackouts drohen viel eher im Nachbarland Frankreich, das mit aller Kraft auf Atom setzt. Hier ist die Versorgung alles andere als stabil“, erklärt Matthias Miersch. Frankreich habe 2022 so wenig Atomstrom produziert wie seit drei Jahrzehnten nicht mehr.

Das liege insbesondere an den anhaltenden technischen Problemen, die Frankreich mit seinen alternden Atomkraftwerken hat. „In mehreren Rohrleitungen wurden Korrosionsrisse entdeckt“, erklärt der SPD-Fraktionsvize. Die Folge: Rund die Hälfte der 56 französischen AKW mussten vorrübergehend vom Netz genommen werden.

„Dazu kommt die Problematik, dass die Flüsse zu wenig Wasser führen und die AKW nicht ordentlich gekühlt werden können.“ Eine Gefahr, die mit Fortschreiten des Klimawandels noch zunehme. „In der Folge erreichten unsere Stromexporte nach Frankreich mit knapp neun Terrawattstunden einen neuen Höchstwert“, sagt Matthias Miersch.

Könnten Atomkraftwerke nicht als Ergänzung für erneuerbare Energien genutzt werden?

Darauf hat der SPD-Fraktionsvize eine klare Antwort: „Atommeiler lassen sich nicht flexibel genug steuern.“ Windkraft- und Solaranlagen müssten jedes Mal vom Netz genommen werden, wenn viel Wind weht und die Sonne scheint. Deshalb brauche man regelbare Gaskraftwerke, die in Zukunft auch mit Wasserstoff betrieben werden können. „Hier kommt es jetzt darauf an, die richtigen Rahmenbedingungen für einen schnellen Zubau dieser Kraftwerke zu schaffen. Auch Geothermie, Biomasseanlagen und Wasserkraft liefern ihren Beitrag zur Grundlast.“

Was passiert, wenn der Wind gerade nicht weht oder die Sonne nicht scheint?

Dann stehen laut Matthias Miersch immer noch die erwähnten wasserstofffähigen Gaskraftwerke, Biomasse, Geothermie und Wasserkraft zur Verfügung. Hinzu komme, dass die sogenannte Dunkelflaute immer nur regional auftritt, so dass auch Stromimporte aus anderen Regionen genutzt werden können. „Klar ist aber auch, dass wir unsere Speicherkapazitäten ausbauen müssen.“

Dabei verweist er auf die E-Autos: „Intelligent eingebunden können sie ein riesiges virtuelles Kraftwerk bilden, das unser Stromnetz stabilisiert.“ Alle wissenschaftlichen Studien hätten ergeben: Mit den erneuerbaren Energien könne man „eine umweltfreundliche, sichere und kostengünstige Energieversorgung aufbauen“.

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