Parteileben

Ulrike Liedtke: Die Dirigentin des Brandenburger Landtags

Bis zum Mauerfall bestimmte Musik das Leben von Ulrike Liedtke. Danach ging sie in die Politik, obwohl sie das nie wollte. Nun kämpft die Präsidentin des Brandenburger Landtags darum, wieder Vertrauen in die Demokratie zu schaffen.

von Kai Doering · 17. September 2024
„Ich weiche nicht, wenn es schwierige Themen gibt.“ Die Brandenburger Landtagspräsidentin Ulrike Liedtke

„Ich weiche nicht, wenn es schwierige Themen gibt", sagt die Brandenburger Landtagspräsidentin Ulrike Liedtke.

Es ist ein warmer Abend im August als Ulrike Liedtke auf dem Marktplatz von Lindow in der Nähe von Rheinsberg einen Kanon anstimmt. „Guten Abend, liebe Leute, zum Gespräch mit Dietmar Woidke“, versucht sie die Menschen auf dem Platz zum Mitsingen zu bewegen. Als der Ministerpräsident kurz darauf den Platz betritt, haben einige mit eingestimmt.

„Die richtige Steuerfrau in schwierigen Zeiten“

Die Brandenburger SPD hat an diesem Abend zu einem „Strohballenfest“ eingeladen. Die Veranstaltungen überall im Land sind Teil des Sommerwahlkampfs für die Landtagswahl am 22. September. An diesem Abend ist die Tour zu Gast im Wahlkreis von Ulrike Liedtke. Auf einer Bühne gibt es Musik, die Feuerwehr hat einen Grill aufgebaut und verkauft Würstchen. Die Menschen sitzen dicht gedrängt auf Bierbänken.

Dietmar Woidke geht durch die Reihen, schüttelt Hände. Dann steht er neben Ulrike Liedtke. Die beiden sind die ranghöchsten Vertreter*innen Brandenburgs: er als Ministerpräsident, sie als Landtagspräsidentin. „Du warst die richtige Steuerfrau in schwierigen Zeiten“, lobt Woidke seine Parteifreundin. „Du hast einen Wahnsinnsjob gemacht.“

„Ordnungsrufe dürfen nicht zu einem Sport werden.“

Als Ulrike Liedtke das Amt nach der Landtagswahl 2019 übernahm, war die AfD gerade mit 23 Mandaten in den Landtag eingezogen. Sie stellt seitdem hinter der der SPD die zweitgrößte Fraktion. „Das Klima im Plenarsaal ist in dieser Zeit aggressiver geworden“, hat Liedtke beobachtet. Fast 80 Ordnungsrufe musste sie in den vergangenen fünf Jahren verteilen. In der gesamten Legislatur davor waren es nicht einmal zehn.

Ähnlich wie beim Bundestag will Ulrike Liedtke deshalb nach der Landtagswahl die Geschäftsordnung des Landtags ändern. Das Ordnungsgeld soll erhöht, die Zahl der Zwischenrufe eingeschränkt werden. „Ordnungsrufe zu bekommen, darf nicht zu einem Sport werden“, findet die 65-Jährige. Dabei sei das harte Durchgreifen eigentlich gar nicht ihr Ding. „Meist versuche ich als Landtagspräsidentin, Kontroversen freundlich zu lösen“, sagt sie.

Sie versucht, für Ausgleich zu sorgen

Bevor Ulrike Liedtke in die Politik kam, war die Musik ihre Welt. In Leipzig studierte sie Musikwissenschaften, arbeitete am Gewandhaus und wechselte nach ihrer Promotion an die Akademie der Künste der DDR. Nach der Wiedervereinigung war sie Gründungsdirektorin der Musikakademie Rheinsberg. Als Tochter einer Musikwissenschaftlerin und eines Dirigenten wurde Ulrike Liedtke die Musik in die Wiege gelegt – und das hilft ihr auch in der Politik.

„Meine innere Disziplin habe ich sicher aus der Musik“, sagt sie. Zudem komme es in einem Orchester sehr darauf an „sensibel aufeinander zu hören“, auch das sei eine Parallele zur Politik. Wie ein Dirigent „eine Verhältnismäßigkeit zwischen den Klängen der Instrumente“ herstellen müsse, sorge sie als Landtagspräsidentin für einen Ausgleich zwischen den Fraktionen, auch wenn sich manche vor allem mit lauten Tönen hervortäten.

Raus aus der Nische

Zur Politik kam Ulrike Liedtke als Seiteneinsteigerin. „Am Gewandhaus und an der Akademie der Künste führte ich ein Nischenleben“, erinnert sie sich. Dann kam das Jahr 1989. Am Bahnhof Hohenschönhausen in Berlin sah sie einen Abreißzettel, der zur Mitarbeit in der SDP, der sozialdemokratischen Partei der DDR, aufrief. Als sie die abgedruckte Nummer anrief und fragte, ob sie mitmachen könne, antworte ihr Gegenüber, mitmachen allein reiche nicht, Ortsvereine müssten gegründet werden. „Ich habe dann mit einigen Nachbarn bei Plätzchen und Tee in unserer Wohnung die SDP-Gruppe Neu-Hohenschönhausen mitgegründet“, erzählt Ulrike Liedtke.

Ulrike
Liedtke

Corona hat uns mehr geschadet als wir uns bisher eingestehen.

Nach der Wiedervereinigung verließ sie ihre „Nische“ endgültig. Liedtke wurde Abteilungsleiterin für Musik, Theater, Museen und Film in der Berliner Magistrats- und Senatsverwaltung und entwickelte u.a. das erste Kulturkonzept für Berlin mit. Zwölf Jahre lang war sie Mitglied und zeitweise Vorsteherin der Bezirksverordnetenversammlung von Berlin-Hohenschönhausen. „Ich wollte eigentlich nie in eine Partei eintreten“, sagt Ulrike Liedtke. „Dafür hatte ich in der DDR zu viele Karrieristen erlebt.“ Geduldige Genossen leisteten Überzeugungsarbeit.

Sie will Vertrauen zurückgewinnen

Als die Menschen in der DDR im Herbst 1989 auf die Straße gingen und gegen das morsche Regime demonstrierten, war auch Ulrike Liedtke dabei. Umso mehr schmerzt es sie, dass die AfD im vergangenen Landtagswahlkampf mit dem Schlachtruf der damaligen Demonstrierenden warb: „Wir sind das Volk!“ „Das ist schon verletzend und stößt die Menschen, die damals mutig viel riskiert haben, vor den Kopf“, findet Liedtke.

Den aktuellen Wahlkampf empfindet sie als noch polarisierter. „Viele Menschen haben eine vorgefertigte Meinung und sind für Argumente verschlossen. Es gibt kaum eine Möglichkeit, ins Gespräch zu kommen“, hat Ulrike Liedtke in den vergangenen Wochen beobachtet. Es gehe ein regelrechter Riss durch die Gesellschaft. Einen Ursprung sieht die 65-Jährige in der Corona-Zeit. Ost-Deutsche hätten ein Frühwarnsystem gegenüber Bevormundung. Das sei ein Ergebnis aus der Zeit der DDR-Diktatur und den westlichen Betriebsübernahmen Anfang der 90er Jahre. Die Pandemie habe ihr Erinnerungen geweckt. Aus einem „Gefühl der Bevormundung“ durch die Schutzmaßnahmen sei bei vielen ein Gefühl von „Vertrauensbruch“ entstanden. „Corona hat uns mehr geschadet als wir uns bisher eingestehen“, ist Ulrike Liedtke überzeugt.

Vertrauen in die Politik und die Demokratie zurückzugewinnen sieht sie deshalb als eine der wichtigsten Aufgaben für die kommenden Jahre an. Gespräche wie die beim Strohballenfest in Lindow seien dafür eine wichtige Grundlage. Den Menschen, die dort im August auf Bierbänken saßen, versprach Liedtke: „Ich weiche nicht, wenn es schwierige Themen gibt.“

Autor*in
Kai Doering
Kai Doering

ist stellvertretender Chefredakteur des vorwärts. Er betreut den Bereich Parteileben und twittert unter @kai_doering.

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